meenste det?«, fragte sie erschrocken und blieb stehen. »Wohin gehen wir eigentlich? Wollen wir nicht ins Dixieland?«
»Hoffst du, da den Klaus wiederzusehen?«, fragte er feindselig. Er hatte es sich so vorgestellt, dass er ihr unter die Nase reiben wollte, was sie verpasst hatte, um dann einfach tschüs zu sagen und sie stehenzulassen. Und nun ließ er sich doch in eine Diskussion mit ihr ein.
»Wie kommste denn uffn Klaus?«
Sebastian hatte mittlerweile bemerkt, dass sie immer dann berlinerte, wenn sie angespannt war oder sich gehenließ. »Ich habe euch gesehen. Er hat dich vor dem Wertheim abgeholt.«
»Ach das! Wir haben uns zufällig getroffen.«
»Ach ja? Ihr habt euch geküsst.«
»Spionierst du mir etwa nach? Det is doch die Höhe!«
»Nein, ich wollte dich abholen und dir von meiner Beförderung erzählen – und da seh ich euch Arm in Arm.«
»Mit dem Klaus, det is nüscht. Nur eine alte Freundschaft, sonst nüscht. Ehrenwort!«
»Und deswegen knutscht ihr miteinander?«, höhnte er.
»Nein, ham wir nich!« Sie stampfte mit dem Fuß auf, doch ihr Gesicht zeigte nicht nur Empörung, sondern auch die Angst, dass sie einen großen Fisch an der Angel gehabt und nun verloren hatte.
»Ich habe euch zusammen gesehen.«
»Det hatte nüscht zu bedeuten, glaub mir!«
Nun sah er sie so, wie sie war: eine kleine intrigante Lügnerin mit einem hübschen Gesicht und Kussmund, mit billigen Kleidern nach der neuesten Mode, die aber trotzdem gewöhnlich an ihrem schönen Körper wirkten. Ein Flittchen, mit nichts anderem im Kopf, als sich zu amüsieren. »Leb wohl!«, sagte er und drehte sich um.
»Du bist verrückt! Du kannst mir hier doch nicht so einfach stehenlassen!«, rief sie ihm hinterher, lief ihm nach und hakte sich wieder bei ihm ein. »Sebastian, sei doch vernünftig! Ick liebe doch nur dich«, beteuerte sie.
»Und den Klaus und wer weiß wen noch.«
»Du bist ’n Schuft!«, schrie sie und ließ seinen Arm los. »Ja, ick liebe den Klaus! Det is een richtiger Mann, der weiß, wie man mit Frauen umjeht, und nicht so eine Memme und Landei. Det is noch een Kerl, und er sieht tausendmal besser aus als du und hat stets die richtigen Klamotten an. Wir sind seit Jahren ein Paar, und wenn er mir will, dann braucht er nur mit dem Finger zu schnippen. Hau ruhig ab, du Spießer! Klaus hat janz recht, dass de keinen Arsch in der Hose hast.«
»Dann wissen wir ja beide bestens über uns Bescheid«, hatte er kalt erwidert und war gegangen, Uschi heulend zurücklassend. So hatte sie geendet. Seine erste große Liebe. Davon war etwas zurückgeblieben, woran er nicht gern dachte. Von der ersten Verwundung der Liebe blieb ein vager Schmerz übrig.
Sebastian hatte sich später von Gisela Kloppke trösten lassen, aber bald danach auch diese Beziehung beendet. Nicht dass er sie weniger mochte, aber der Altersunterschied hatte für ihn doch etwas Peinliches. Er war ihr dankbar für das, was er mit ihr erlebt hatte, denn auch die Liebe will gelernt sein, aber ein Verhältnis daraus zu machen erschien ihm dann doch unpassend. Es war viel Egoismus dabei, dass er nicht mehr zu ihr ging. Doch Gisela Kloppke hatte es genau so erwartet und klammerte nicht. Sie wusste, dass er auf dem Weg nach oben war, und verstand, dass sie ihn dabei nur stören würde.
Ihr Mercedes war nun in der Saarbrücker Straße angekommen, und Sebastian tauchte aus seinen Erinnerungen auf. Der Zentralbetrieb am Prenzlauer Berg sah von weitem aus wie eine Nibelungenfestung. Mit einem riesigen Turm überragte er alle anderen Häuser. In dem trutzigen Bau schlug das Herz der Bierquellen, Bäckereien, Konditoreien und Luxushotels. Eine Fabrik, die mit neuesten Produktionsmethoden arbeitete. Es war Fritz Aschingers Angewohnheit, hier einmal in der Woche unangemeldet aufzutauchen und nach dem Rechten zu sehen. Wie sein Vater veranstaltete er sogar gern Führungen, um die Presse, wichtige Kunden oder Politiker von der Qualität der Speisen, von der Sauberkeit und technischen Raffinesse des Betriebs zu überzeugen. Die Zeitungen honorierten dies mit hymnischen Kommentaren über die Modernität des Aschinger-Konzerns, die sich wie bezahlte Werbung lasen.
Fritz Aschinger nahm Sebastian bei der Schulter und zeigte ihm stolz, dass sein Zentralbetrieb so etwas wie der »Bauch von Berlin« war. »Wenn wir doch einen Zola hätten, der könnte beschreiben, was mein Vater und mein Onkel hier geschaffen haben!«
Und Sebastian musste ihm recht geben, dass hier in der Saarbrücker Straße einer der ersten Betriebe in Deutschland war, in dem Lebensmittel auf industrielle Weise hergestellt wurden. Zuerst führte Aschinger ihn in die Großschlachterei, in der an den Fleischerhaken unzählige Schweine hingen, und sie sahen zu, wie sie aufgeschnitten und die Innereien herausgenommen wurden und dann in großen Bottichen zur Weiterverarbeitung verschwanden. Mit kleinen Wolken vor dem Mund erklärte Aschinger ihm, wie viele Würste sie produzierten.
»Wir können die Kapazität mühelos auf fünfzigtausend Bierwürste hochfahren. Merke dir, das Problem in der heutigen Zeit wird bald nicht mehr die Produktion, sondern der Absatz sein. Deswegen, mein Junge, schätze ich deine Ideen. Im Vertrieb braucht man Köpfchen. Auf die Vermarktung müssen wir uns konzentrieren, denn nur dann können wir diese Maschinerie am Laufen halten.«
Sie gingen aus dem großen Kühlraum mit den unzähligen Schweineleibern, die wie überdimensionale Frösche an den Haken hingen, in die Wursterei, wo an langen Tischen die Därme mit Fleisch prall gefüllt wurden. Aschinger zeigte ihm die riesigen Bottiche, wo die Würste mit großen Schaufeln in das kochende Wasser eintauchten. Würste wurden hier an langen Fließbändern so industriell wie Automobile hergestellt. In einer anderen Abteilung saßen fünfzig Frauen an einem langen Tisch, mit nichts anderem beschäftigt, als Kartoffeln, die vorher in einem Bad gereinigt worden waren, nun mit flinken Händen zu schälen und in riesigen Bottichen zu sammeln. Der gesamte Produktionsprozess wurde ständig von Kontrolleuren überwacht, die mit Argusaugen auf Sauberkeit und Hygiene achteten. Dann führte Aschinger Sebastian in den zweiten Stock und zu einem überdimensionalen Eierkocher, der fast tausend Eier aufnehmen konnte. »Das macht uns in Deutschland so schnell keiner nach!«, kommentierte Aschinger stolz.
Auch die riesige Fischabteilung war beeindruckend. Es roch nach Meer und Salz, aber der Geruch war nicht unangenehm.
»Unser Fisch ist frisch. Wir haben Verträge mit Fischergenossenschaften in Stralsund und in Hamburg und natürlich auch mit den Flussfischern rund um Berlin. Es wird täglich angeliefert, denn das Geheimnis einer guten Mahlzeit ist nun einmal Frische«, erklärte Aschinger und drehte dabei an seiner roten Nelke im Knopfloch.
War all dies schon beeindruckend genug, so wurde es noch von der riesigen Backhalle übertroffen, die nicht nur für die berühmten Aschinger-Brötchen sorgte, sondern in der auch Pfannkuchen sowie alle möglichen Torten und je nach Jahreszeit Apfel-, Kirsch-, Pflaumen- oder Nusskuchen gebacken wurden.
»Unsere Sachertorte kann sich mit der in Wien ohne weiteres messen!«, behauptete Aschinger. Er zeigte Sebastian außerdem die Kaffeerösterei und die Wäscherei für die Hotels, wo Hunderte von Mädchen dabei waren, die Bettwäsche zu bügeln. »Wir stellen sogar unseren Mostrich, unsere Limonade und unser Selterwasser selbst her. Wir sind in der Lebensmittelherstellung autark, nur leider bleibt bei dem ganzen Aufwand zu wenig hängen«, seufzte Aschinger. Dann führte er Sebastian zu den Lagern, riesigen Hallen mit Tausenden von Säcken voll Zucker, Rohkaffee, Schokolade, mit Weinregalen sowie Bierfässern. Sebastian musste Aschinger recht geben: Der Zentralbetrieb hier in der Saarbrücker Straße war der Bauch von Berlin. Und über all dies herrschte Fritz Aschinger.
In den verschiedenen Höfen drängten sich Lastwagen und Pferdegespanne mit der Aufschrift Aschinger AG.
»Eine ungenutzte Möglichkeit«, sagte Sebastian spontan.
»Was ist ungenutzt?«, fragte Aschinger verblüfft.
»Diese Lastwagen sind doch ständig in Berlin unterwegs. Sie sollten noch irgendeinen Appell an den Seitenflächen haben. So etwas wie ›Wer klug ist, isst gut bei Aschinger‹. Und