aus Paris, die so großartig wie die Mistinguette ist. Sie werden zufrieden sein. Unser Haus ist seit Monaten ausverkauft.«
»Na schön, dann zeigen Sie uns mal die Grotte in unserem Moulin Rouge!« Aschinger lachte künstlich.
Mit vielen Bücklingen und großen Gesten führte sie der Geschäftsführer in eine Ecke, die mit glitzernden Steinen, die an Eiskristalle erinnerten, ausgeschmückt war. Zwei Ober eilten herbei und reichten die Karten. Aschinger bestellte Jahrgangschampagner und nach kurzer Verständigung mit der Baroness als Hauptgericht Hummer. Sebastian wurde nicht gefragt. Ihm war das nur recht so, er fühlte sich ohnehin wie das fünfte Rad am Wagen.
Fräulein Weinberg erzählte Aschinger von Paris und London und dass dies die einzigen Städte seien, in denen man leben könne – nicht besonders taktvoll gegenüber jemandem, der im Volksmund »Der König von Berlin« genannt wurde. Fritz Aschinger schien dies aber nichts auszumachen, er starrte sie an, als wäre sie die Inkarnation aller Frauen, als habe er endlich, nach langem Suchen, eine Frau entdeckt, die seinen hohen Ansprüchen genügen konnte – eine Königin: teuer, kapriziös, schön und aus gutem Hause. Doch ob sie für Aschinger die richtige Frau war, da hatte Sebastian doch große Zweifel. Sie sprang von einem Thema zum anderen und erzählte vom Segeln vor Kiel, von Strandwanderungen auf Sylt, vom Osterfest in Rom und von Mondscheinfahrten vor Capri. Das Leben schien für sie ein einziges Fest zu sein. Mit ihrem hohen, melodischen Tonfall erinnerte sie Sebastian an einen Singvogel, der munter flötete und sein Gefieder spreizte, um das Männchen anzulocken – und Fritz Aschinger tat ihr den Gefallen zu reagieren.
»Nun erzählen Sie doch einmal, was Sie das ganze Jahr so anstellen!
In Berlin ist doch sicher auch eine Menge los«, sagte sie nach ihrem Redefluss über das aufregende Leben der oberen Zehntausend.
Fritz Aschinger warf Sebastian einen hilflosen Blick zu. »Ich arbeite.«
»Sie können doch nicht jeden Tag arbeiten!«
»Nein … doch, ich habe eben so viel zu tun.«
»Machen Sie keinen Urlaub? Sagen Sie bloß, Sie waren noch nicht in Monte Carlo oder in Nizza oder Cannes!«
»Nein, das war ich nicht«, stammelte er.
»Herr Aschinger hat ja nicht nur ein Hotel, sondern viele, außerdem Konditoreien und Bäckereien sowie fast dreißig Bierquellen. Das verlangt seine ständige Anwesenheit«, kam Sebastian ihm zu Hilfe.
»So? Dafür gibt es doch Leute wie … Sie! Jawohl, habe ich nicht recht, Herr Aschinger? Dafür hat man doch seine Leute! Sie müssen doch auch mal ausspannen. Und gute Hotels gibt es auch an der Côte d’Azur. Das Negresco in Nizza ist ein Traum von einem Hotel! Der Fürstenhof ist ja ganz nett, aber gegen das Negresco fehlt doch dieser französische Esprit, wenn Sie wissen, was ich meine. Nichts für ungut! Ah, jetzt kommt der Entfesslungskünstler!«
Der Artist wurde in Ketten gelegt und obendrein in einen Käfig gesperrt, der danach mit einem Tuch verhüllt wurde. Es gab einen Tusch, und Rauchwolken stiegen auf und verdeckten den Käfig. Nun stand der Mann ohne Ketten neben dem Käfig. Sebastian langweilte die Nummer, aber die Baroness schien sich köstlich zu amüsieren. Danach kam der Clown Grock auf die Bühne, ein Höhepunkt des Abends. Auch Fritz Aschinger ließ sich von ihrer Begeisterung anstecken, und bald warfen er und die Baroness sich übermütig Papierschlangen zu. Sebastian sah immer wieder auf die Uhr und fluchte innerlich, dass die Zeit so langsam verging.
»Und was machen Sie den lieben langen Tag?«, wandte sich Sieglinde von Weinberg in einer Pause an Sebastian.
Der Hummer war serviert worden. Sebastian wusste nicht, wie man mit dem Besteck die Schale knackte, und war gerade dabei, sich von Aschinger abzugucken, wie man dem Hummer das Fleisch entlockte. »Ich … arbeite.«
»Und was machen Sie in den Ferien?«, fragte sie unzufrieden.
»Keine Ahnung, ich hatte noch nie welche.«
»Er ist gar nicht lustig, Herr Aschinger!«
»Er ist frisch aus der Provinz«, sagte Aschinger gönnerhaft, »aber er lernt schnell. Er wird, wenn er in dem bisherigen Tempo weitermacht, schon bald auch wissen, wie man sich amüsiert.«
Sebastian hätte am liebsten geantwortet: Als ob du das wüsstest, großer Chef! Aber natürlich verkniff er sich die Bemerkung.
»Er hat ganz ernste Augen«, sagte sie nachdenklich, aber so distanziert, als spräche sie von einem Pferd oder Hund. »Ich mag ernste Menschen – manchmal jedenfalls. Oh, jetzt kommt die Französin!« Sie klatschte in die Hände.
Die zierliche Frau mit einem grell geschminkten Mund sang Paris, je t’aime d’amour. Das Publikum raste vor Begeisterung.
»Ach, ich würde jetzt am liebsten gleich nach Paris fahren!«, rief sie enthusiastisch, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff wie ein Gassenjunge.
Fritz Aschinger schien sich über ihr exaltiertes Benehmen köstlich zu amüsieren. Mittlerweile war man bei der zweiten Flasche Champagner angelangt. Als die Baroness zum Nasepudern verschwunden war, fragte Aschinger seinen Sekretär: »Was hältst du von ihr?«
»Sie ist sehr … kapriziös, so nennt man das wohl. Ich habe aber keine Ahnung von Frauen.«
»Sie ist so erfrischend! So ganz anders als die Damen hier in Berlin. Sie lebt und reißt einen mit, nicht wahr, Johnny?«
»Na ja, wenn man sich mitreißen lassen will.«
»Sie gefällt dir nicht?«, fragte er enttäuscht.
»Sie ist schön, verwöhnt und sehr … anstrengend.«
»Sie ist eben nicht so schwerblütig wie die Norddeutschen. Sie ist so anregend wie Champagner.«
Es scheint ihn schwer erwischt zu haben, dachte Sebastian. Nun, ihre körperlichen Vorzüge waren unübersehbar. Aber passte diese mondäne Frankfurterin zu einem so schwerblütigen Menschen wie Aschinger?
Nun trat eine Musikgruppe mit schwarz angemalten Gesichtern auf und spielte einen Charleston. Die Baroness kam zurück und griff nach Aschingers Hand.
»Charleston, meine Lieblingsmusik! Ich möchte tanzen!« Aschinger folgte ihr zögernd wie ein Hammel auf dem Weg zur Schlachtbank. Während sie ekstatisch die Füße schmiss und dabei mit den Händen wedelte, tappte er wie ein Tanzbär linkisch um sie herum. Es war offensichtlich, dass Tanzen nicht zu seinen Stärken gehörte. Schließlich kamen sie an den Tisch zurück, Aschinger schweißnass und sich das Gesicht wischend. Erschöpft warf er sich auf den Stuhl. Die Kapelle spielte nun einen Tango.
Sieglinde von Weinberg sah Sebastian herausfordernd an. »Ich liebe Tango! Tanzen Sie mit mir, Johnny!«
»Ich kann nicht tanzen.«
»Ich zeige es Ihnen, es geht ganz leicht.«
»Los, tanze mit Baroness Weinberg!«, forderte ihn Aschinger auf.
»Ich kann nicht, Herr Aschinger, ich habe noch nie Tango getanzt.«
»Na los, man schlägt einer Dame nichts ab!«, sagte er mit böse blickenden Augen.
Sebastian seufzte. Sieglinde von Weinberg nahm ihn bei der Hand und zog ihn auf die Tanzfläche. Was ist denn nur mit Fritz Aschinger los?, fragte er sich. So kannte er ihn gar nicht. Nun würde er sicher genauso dumm aussehen wie der Chef. Die Baroness ergriff seine Hand, drückte sich an ihn und schwenkte ihn mit ruckartigen Bewegungen herum. Nachdem er sich eine Zeitlang von ihr führen ließ und von den anderen Tänzern einiges abgeguckt hatte, klappte es ganz gut.
»Es geht doch!«, sagte sie triumphierend mit spöttisch funkelnden Augen.
»Na ja, gleich werden Ihnen die Füße weh tun.«
»Dann werden Sie sie mir massieren müssen.«
Er hatte Mühe, im Takt zu bleiben. Der Druck ihrer Schenkel auf sein Zentrum tat ein Übriges, ihn zu verwirren. Sie schien sich über seine Verlegenheit köstlich zu amüsieren.