nicht den Leuten in der ersten Klasse vorsetzen!«
Sebastian hatte sich angewöhnt, ständig ein kleines Notizbuch bei sich zu haben, um die Anweisungen seines Chefs, die täglich auf ihn einprasselten, nicht zu vergessen.
»Rede auch mit Teichmann! Er soll ein Angebot ausarbeiten, wie wir der Reichsbahn exzellentes Essen zu einem günstigen Preis anbieten können.« Aschinger war nun sehr zufrieden mit sich, hatte er doch vor den Augen seiner Angebeteten bewiesen, dass er die Zügel in der Hand halte.
»Du denkst wohl nur an die Arbeit?«, hauchte Sieglinde von Weinberg.
Aschinger schnurrte wie ein satter Kater und sagte selbstgefällig: »Ja, man muss immer auf dem Quivive sein, wie die Juden sagen. Die Welt steckt voller Möglichkeiten. Und, Johnny, notiere doch, dass wir uns mal mit den Nazigrößen in Verbindung setzen. Die können doch ihre Veranstaltungen auch bei uns im Haus Rheingold abhalten. Bei deren Durst wird das unseren Bierumsatz ganz schön in die Höhe treiben. Teichmann kennt doch den Goebbels. Er soll sich mal mit dem Herrn Gauleiter von Berlin zusammensetzen.«
»Ist schon notiert, Herr Aschinger.«
»Sehr schön! Unsere Fahrt nach Paris hat sich vielleicht auch schon geschäftlich gelohnt.« Er rieb sich die Hände.
»Pfui, vorhin fandest du die Nazis noch vulgär!«, maulte die Weinberg.
»Man kann sich im Geschäftsleben eben nicht immer seine Partner aussuchen. Man muss jede Möglichkeit nutzen. Deswegen trete ich noch lange nicht in die Partei ein.«
»Denkst du nur ans Geld?«, fragte sie missmutig.
»Das fragt mich eine Bankierstochter?«
»Mein Vater ist auch ein Zahlenmensch, aber mit diesen Leuten würde er niemals Geschäfte machen. Niemals!«
Aschinger lief rot an und ergriff ihre Hand. »Na gut, wenn es dir so viel bedeutet, verzichte ich auf das Geschäft mit den Nazis. Johnny, streich die Idee! Sollen die Nazis doch woanders schlechtes Bier trinken! Zufrieden, Sieglindchen?«
»Du bist ein Schatz. Danke dir!«
»Na, siehst du! Alles wieder gut?«
»Natürlich, Fritzchen!«
Johnny verfolgte dies mit offenem Mund. Er hatte noch nie erlebt, dass Aschinger auf ein sicheres Geschäft verzichtete. Sebastian schloss daraus, dass es Aschinger mit dieser Frau ernst war, und er machte sich Sorgen um ihn. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es mit dieser kapriziösen Frau und dem nüchternen Fritz Aschinger lange gutgehen würde.
Sie gingen in den Schlafwagen zurück, wo für jeden ein Abteil reserviert war.
»Geh schlafen, Johnny, wir sehen uns morgen früh. Du bist sicher müde.«
Aschinger schickte ihn mit einem freundlichen Klaps auf die Schulter in sein Abteil. Sebastian dachte über die vergangenen Stunden nach. Er mochte Fräulein Weinberg nicht. Sie war leichtsinnig und oberflächlich und glaubte, etwas Besonderes zu sein. Aber sowohl hinsichtlich der Nazis als auch der Werbekampagne hatte sie sich anständig verhalten. In Paris angekommen, würde er Harry Damrow anrufen und ihm mitteilen, dass Aschinger sein Einverständnis gegeben hatte. Der Zug jagte durch die Dunkelheit einem Ziel entgegen, das er nur aus Büchern kannte, ein Traumgebilde, das er so prächtig wähnte wie das alte Rom. Eingelullt von dem Schaukeln des Waggons schlief er ein und verschlief fast die Zeit. Er wusch sich nur kurz, rasierte sich, und als er an Aschingers Abteil klopfte, rief dieser: »Geh schon mal vor! Wir kommen in den Speisewagen nach.« Es scheint eine gute Nacht gewesen zu sein, nach seiner Stimme zu urteilen, dachte Sebastian belustigt. Er bestellte sich ein Omelett und eine große Tasse Kaffee und sah aus dem Fenster. Draußen flog eine flache Landschaft unter einem wolkenverhangenen Himmel vorbei. Sie waren bereits in Frankreich. Nicht viel anders als in Deutschland, dachte er enttäuscht. Er hatte Hügel erwartet mit prächtigen Schlössern darauf und vor ihnen grüne Wiesen, auf denen sich weiße Pferde tummelten. Fritz Aschinger und die Baroness kamen in den Speisewagen. Sieglinde von Weinberg nestelte an ihrem Haar und warf Sebastian einen herausfordernden Blick zu, als sie sich setzte. Er sah schnell zur Seite. Beide wirkten übernächtigt. »Könnte auch die Mark Brandenburg sein«, sagte Sebastian unzufrieden, nachdem er sie beide begrüßt hatte, und wies aus dem Fenster.
»Das ist die Champagne. Vor Paris, in der Île de France, wird die Landschaft lieblicher«, erklärte die Baroness.
»Wird hier der berühmte Champagner …«
»Sag mal, Johnny, hast du in der Schule ständig geschlafen?«, brummte Aschinger.
»Ja«, gab Sebastian zu, »ich war ein hoffnungsloser Fall. Bestimmt hatte ich gerade von d’Artagnan und Lady Winter geträumt.«
»Und so jemanden mache ich zum Sekretär!«, erwiderte Aschinger in gespielter Verzweiflung. Das Frühstück wurde gebracht, und Aschinger hatte daran einmal mehr etwas herumzumäkeln. Die Brötchen seien nicht frisch, die Wurst von zweifelhafter Qualität, und der Käse gehöre in den Abfall. »Es wird Zeit, dass wir den Laden übernehmen, Johnny!«
»Jetzt fangt nicht wieder an, von Geschäften zu reden! Es ist ja nicht zum Aushalten mit euch!«, schritt die Baroness ein.
Fritz Aschinger hob abwehrend die Arme. »Ist schon gut, Sieglindchen! Kein Wort mehr von der Arbeit, versprochen!«
Die Landschaft wurde hügeliger. Die Wolkendecke riss auf, und nun sah Sebastian zwar noch keine Schlösser, aber eine Landschaft, die den Zauber ausströmte, der mit seinen Tagträumen übereinstimmte. »Wunderschön!«, sagte er mit belegter Stimme. »Mir ist, als wäre ich schon hier gewesen, als wäre ich hier mit den Königen geritten oder hinter Napoleon mit der Grande Armée nach Preußen gezogen.«
»Hört euch das an!«, sagte Aschinger und blickte zur Decke. »Solch einen Spinner habe ich um mich!«
»Er ist ein romantischer Mensch«, verteidigte ihn die Baroness.
»Ihr ergänzt euch gut: Während du zu viel an Zahlen denkst, denkt er an Menuette, Degenkämpfe und die Prinzessin, die es auf einem weißen Pferd zu entführen gilt.«
Sebastian bekam einen roten Kopf. Hoffentlich trägt sie nicht noch dicker auf, sonst wird Aschinger noch eifersüchtig, dachte Sebastian.
Dann fuhren sie in Paris ein. Zuerst sah es nicht anders aus als in Berlin. Mietskasernen, baufällige Fabriken, schmutzige Hinterhöfe. Nur die Aufschriften an den Wänden – Dubonnet oder Châteauneuf du Pape – verrieten, dass man in Frankreich war. Am Bahnhof Gare de l’Est war Endstation. Auf dem Bahnsteig wurden sie bereits von dem Hotelpersonal erwartet, das das Gepäck übernahm. Der Geruch auf dem Bahnsteig war anders als in Berlin. Es roch nach verbranntem Gummi, nach Ruß, nach scharf geröstetem Kaffee, Knoblauch und schwarzen Zigaretten. Sie gingen, die Kofferträger als Vorhut, durch die drängenden Menschen hinaus auf den Vorplatz, wo auf der anderen Straßenseite die Bistros wie eine Perlenkette um den Bahnhof lagen. Die Sonne war herausgekommen und kündigte einen schönen Herbsttag an.
»Herrlich, wieder in Paris zu sein!«, rief die Baroness und wirkte nun nicht mehr müde und überanstrengt, sondern sah so frisch aus, wie es dem Morgen entsprach.
Sie stiegen in den riesigen Kraftwagen, den das Hotel geschickt hatte, und die Baroness sagte etwas auf Französisch zum Chauffeur. Dieser nickte eifrig.
»Ich habe ihm gesagt, dass er eine Runde um den Place de la Concorde machen und dann zurück am Palais Royal vorbei zur Opéra fahren soll«, erklärte sie. »Das ist zwar ein kleiner Umweg, aber jedes Mal, wenn ich in Paris bin, muss ich diese Runde drehen.«
Auf der Place de la Concorde sprangen die Fontänen. Die Champs Élysées mit dem fernen Arc de Triomphe sah aus wie eine Straße zum Himmel. Sie fuhren über die Rue de Rivoli am Hotel Regina mit der goldenen Jeanne d’Arc vorbei, ließen rechts das Palais Royal zurück, um dann auf die Oper zuzufahren, deren Engel glanzvoll von dem Zeitalter des letzten Kaisers kündete.
Sebastian starrte fasziniert auf die drängenden Menschenmassen auf den Bürgersteigen, auf die um sie herumwuselnden