Heinz-Joachim Simon

Der große Aschinger


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Niemand hielt sich an die Verkehrsregeln, die durch die Hupen ersetzt wurden – und doch lief alles glimpflich ab. Er wusste nicht, wohin er zuerst sehen sollte. Paris schien hier in der Mitte der Stadt nur aus Palästen zu bestehen, die dem Aschinger-Palais nicht nachstanden.

      Dann fuhren sie auf einen Platz, auf dem eine große Säule stand. Der Platz wurde von Häusern umsäumt, die allesamt wie die Wohnstatt von Königen aussahen.

      »Der Place Vendôme«, sagte die Baroness seufzend. »Die Säule dort ist aus den erbeuteten Kanonen von Austerlitz gegossen worden. Der Cäsar dort oben soll Napoleon darstellen. Und das hier vor uns, Johnny, ist das berühmte Ritz, das beste Hotel der Welt!«

      Aschinger brummte missvergnügt. Der Wagen hielt vor dem Hotel. Der Portier eilte herbei und riss die Wagentür auf.

      »Willkommen im Ritz, Herr Aschinger!«, begrüßte er sie auf Deutsch. Es hatte sich bis nach Paris herumgesprochen, dass Aschinger der deutsche Ritz war. Sie brauchten nicht an die Rezeption zu gehen, der Geschäftsführer, der Aschinger gut kannte, empfing sie persönlich.

      »Schön, Fritz, dich wieder einmal bei uns zu haben! Diesmal bist du früher dran als sonst.«

      »Ja, diesmal wollen wir uns in Paris ein wenig amüsieren.«

      »Großartig! Ob du ins Moulin Rouge oder in die Opéra willst, wir werden dafür sorgen, dass du die besten Plätze erhältst.«

      »Darf ich dir meine Begleiterin, die Baroness von Weinberg, vorstellen?«, sagte Aschinger mit sichtlichem Stolz.

      Der Geschäftsführer, ein schmaler, kleingewachsener Mann mit einem Menjoubärtchen, verbeugte sich zu einem Handkuss. »Madame, wir werden uns bemühen, Ihnen jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Die Freunde von Herrn Aschinger sind auch unsere Freunde. Sie werden sehen, dass wir es zu würdigen wissen, den König von Berlin und seine Begleitung bei uns zu haben«, sprudelte er, sichtbar angetan von der Baroness.

      »Schon gut, mon ami «, sagte Aschinger und klopfte ihm auf den Rücken. »Heute Abend essen wir im Hotel. Für morgen Abend bestell bitte einen Tisch im Le grand Vefour. Dann sehen wir weiter.«

      Sebastian wurde von Aschinger nicht vorgestellt. Er gehörte zu den Domestiken.

      Sie wurden unter den Blicken des Concierge und der Angestellten hinter dem rotbraun blitzenden Tresen vom Geschäftsführer zum Fahrstuhl geführt. Die Gäste an der Rezeption sahen sich wegen des Auftriebs nach ihnen um.

      Sie wurden zur Präsidentensuite geführt, die an der Fensterfront zum Place Vendôme lag. Wenn Sebastian durch Aschingers Haus und den Fürstenhof schon an einigen Luxus gewöhnt war, so wurde der von diesem hier im Ritz noch übertroffen. Die Räume sahen aus, als hätte man das Schloss Versailles hierher versetzt. Die Suite glitzerte golden und silbern, und ein Kristallkronleuchter von der Größe eines Wagenrades ließ, verstärkt durch die Spiegel, den Salon wie einen Diamanten aufleuchten. Überall standen mächtige Blumenbouquets in hüfthohen chinesischen Vasen. Auf den Tischen mit den goldverzierten Füßen lockten riesige Schalen mit Obst. Sie gingen auf teuren türkisfarbenen Teppichen aus Isfahan. In den Vitrinen stand kostbares Porzellan aus Limoges.

      Aschinger nickte gleichmütig. »Schön, alles wie gehabt.«

      »Wenn irgendetwas fehlt, sag es bitte!«

      »Es ist alles in Ordnung, mon ami. Johnny, deine Suite ist nebenan. Wir treffen uns in einer halben Stunde unten am Empfang.«

      Der Hoteldirektor führte Sebastian nach draußen an das Ende des Korridors und schloss eine kleine Suite auf. »Ich hoffe, Sie werden sich bei uns wohl fühlen«, sagte er und wies mit einer Verbeugung auf das mit Stilmöbeln eingerichtete Zimmer.

      Sebastian ging ans Fenster. Er sah auf einen kleinen Innenhof, in dem Kastanien standen. Seitlich hatte er einen Blick auf Napoleon, der – als Cäsar verkleidet – als Statue über dem Place Vendôme thronte.

      »Ich hoffe, es entspricht Ihren Wünschen«, sagte der Geschäftsführer.

      Sebastian nickte. »Es ist alles bestens.«

      Der Geschäftsführer gab ihm den Schlüssel. »Ich zeige Ihnen noch die anderen Räume. Dort links ist das Schlafzimmer, und hier gegenüber ist das Bad.«

      »Sehr schön«.

      »Sie sind Herrn Aschingers Sekretär?«

      »Ja, sein Privatsekretär«, wiederholte Sebastian automatisch, immer noch ganz gefangen von der Pracht. So wohnten Könige – und er, ein Bauernjunge aus dem Brandenburgischen, wurde gefragt, ob es seinen Wünschen entsprach! Er hätte sich vor kurzem nicht einmal im Traum vorstellen können, dass man solche Wünsche haben konnte. Er besichtigte das Schlafzimmer, dessen Bett so breit war, dass drei Personen darin schlafen konnten. Auf dem Tisch im Salon stand ein Kübel mit Champagner. Das Bad war ähnlich prächtig wie im Palais Aschinger. Mit einer Verbeugung verabschiedete sich der Geschäftsführer und wünschte ihm einen schönen Aufenthalt.

      Sebastian nahm die Flasche aus dem silbernen Kübel, öffnete sie und goss sich einen Kelch ein. Im Spiegel prostete er sich zu. »Auf dein Wohl, Sebastian Lorenz, Bauernjunge, Notariatslehrling, Zapfhilfe in der Bierquelle und Sekretär des großen Aschinger! Weit hast du es gebracht!« Doch wenn er aufwachen würde und alles wäre vorbei? Würde er sich jemals wieder an die kleine Stube in Schönberg gewöhnen, an den verschmutzten Hof, an den Geruch von Pferdeäpfeln oder an die trockene Luft, wenn Korn gedroschen wurde und kleine Strohhalme durch die Luft flogen? Wer einmal von goldenen Tellern gegessen hat, gab sich nicht gern mit einem Blechnapf zufrieden. Ihm fiel ein, dass er Damrow anrufen wollte, und ging zum Telephon. Dem guten Harry fiel ein Stein vom Herzen, als Sebastian ihm sagte, dass Aschinger einverstanden sei. Ehe er sichs versah, war die halbe Stunde vorbei. Er stürzte aus seiner Suite und fuhr in die Empfangshalle hinunter. Aschinger und die Baroness warteten bereits auf ihn.

      »Na, das dauert aber bei dir!«, sagte Aschinger vorwurfsvoll.

      »Ich musste mich erst einmal an die schöne Umgebung gewöhnen. Es ist wundervoll hier!«

      Sie traten auf den Platz. Aschinger stutzte. »Wartet hier!«, sagte er kurz und ging nebenan in ein Juweliergeschäft mit dem Namen Van Cleef & Arpels.

      Sebastian hatte nun Zeit, die Harmonie des Platzes zu bewundern. Er hatte in Berlin den Gendarmenmarkt ins Herz geschlossen und einige Male, wenn es seine Zeit erlaubte, dort gegessen und auf der Terrasse des Restaurants zu den Löwen mit den Engeln hinübergesehen. Der Place Vendôme gehörte auch zu den Orten, die Verzauberung auslösten. Er atmete tief ein, schloss die Augen und sah nun Kutschen mit livrierten Dienern vorfahren und Perückenträger in reichen, goldbestickten Gewändern aussteigen. Er hörte das Klimpern eines Spinetts und wünschte sich, dass der Besuch in Paris nicht aufhören würde.

      »Er kauft mir sicher noch ein paar Diamanten«, sagte die Baroness gleichmütig.

      »Er ist sehr glücklich«, stimmte Sebastian zu.

      »Sieht ganz so aus, nicht wahr?«, sagte die Baroness. »War er noch nie verliebt?«

      »Ich glaube nicht«, erwiderte Sebastian, erstaunt über die Frage, die ihm ungehörig erschien. So sprach man nicht von dem Mann, mit dem man gerade die Nacht verbracht hatte. Und erst recht nicht zu einem Angestellten dieses Mannes, den man außerdem kaum kannte.

      »Aber es wird doch sicher viel über ihn geklatscht. So ein Mann wie Fritz wird doch von allen Leuten beobachtet. Über mich wird ja auch viel geklatscht, viel zu viel!« Sie seufzte.

      »Herr Aschinger lebt sehr zurückgezogen, soviel ich weiß.«

      »Loyal in jeder Beziehung, nicht wahr, Johnny?«

      »Ich verdanke Herrn Aschinger sehr viel. Er ist ein großartiger Mensch und Chef.«

      Aschinger kam vergnügt lächelnd aus dem Juweliergeschäft Van Cleef & Arpels heraus. »Kommt, gehen wir zu deinem Café de la Paix!« Er hakte sich bei ihr ein und pfiff dabei Ach, du lieber Augustin.

      Dann saßen sie im Café de la Paix mit Blick