Tschaikowsky erzählte und unentwegt von der Pracht des Konzertraumes schwärmte, beobachtete Sebastian die vorbeieilenden Menschen. Sie waren in der Regel besser gekleidet als in Berlin. Er sah Männer in dunklen Anzügen wie er, Mädchen in großer Garderobe, aber auch in billigen Fähnchen, die sie mit einer Anmut trugen, als wären sie aus den besten Modegeschäften in Paris. Doch dann entdeckte er ein abgehärmtes Gesicht, die Kleider vielfach geflickt, die Schuhe abgetreten und die Augen voller Angst. Auch hier in der wundersamen Stadt gab es Armut. Farbige Menschen aus den Kolonien kehrten die Straße und sahen mit stumpfen Augen zu ihnen im Café de la Paix hinüber. Ihre Chance, hier einmal zu frühstücken, war nicht sehr groß.
Danach schlenderten Aschinger, die Baroness und Sebastian durch die Rue Saint-Honoré. Vor einem Herrengeschäft blieb Sieglinde von Weinberg stehen und klatschte in die Hände.
»Was für schöne Krawatten! Kaufen wir doch für Johnny ein paar neue! Er blamiert sich ja im Ritz mit seiner grässlichen Krawatte.«
Sie gingen hinein, sie ließ sich eine Menge Krawatten zeigen und tippte auf eine blaugestreifte sowie zwei rot-blau gestreifte. »Die hier sind richtig, sie sehen sehr britisch aus. Findest du nicht auch, Fritz, dass Johnny ein britischer Typ ist?«
»Ein britischer Typ aus der Mark Brandenburg!«, spottete Aschinger. Aber er schien sich zu amüsieren. Ihm gefielen ihr Schwung, ihre Atemlosigkeit, ihr Enthusiasmus.
»Er braucht noch einen Sommermantel sowie einen für den kommenden Winter«, brummte er gutmütig.
»O ja, wir machen aus ihm einen richtigen Gentleman!« Sie klatschte in die Hände und rief dem Verkäufer etwas zu, worauf dieser Mäntel für alle Jahreszeiten herbeischleppte. Sie wählte für Sebastian einen dunklen Kaschmirmantel und einen leichten blauen Regenmantel.
Sebastian zog die Mäntel mit verlegenem Gesicht über und ließ sich von beiden begutachten.
»Ja, so gefällt mir Johnny!«, rief sie und klatschte wieder in die Hände.
»Wenn du so weitermachst, hat er bald mehr Mäntel als ich«, knurrte Aschinger. »Bringen Sie das Zeug ins Ritz!«, rief er dem Verkäufer zu.
»Aber die rot-blaue Krawatte muss er gleich umbinden. Weg mit dem scheußlichen Ding!«, antwortete sie streng, nestelte an Sebastians Kragen und zog ihm die alte Krawatte ab. Sie band ihm die neue um, knotete sorgfältig einen Windsorknoten und betrachtete ihr Werk mit geneigtem Kopf. »So, nun sieht er aus wie ein Gentleman. Den dunklen Übergangsmantel zieht er gleich an.«
»Mach so weiter, und im Ritz halten sie ihn für den Herzog von Windsor!«, setzte Aschinger ironisch hinzu.
Der Bückling des Verkäufers konnte nicht tiefer ausfallen. Sie gingen hinaus, kamen aber nicht weit. Vor dem Schaufenster mit den neuesten Kreationen von Coco Chanel blieb sie stehen und hielt Aschinger am Arm fest.
»Sieh dir das an, Fritz! Das kleine Schwarze und dann das blaue Abendkleid mit den schmalen Trägern, sind die nicht wundervoll?«
»Dann gehen wir doch hinein!«, sagte Aschinger gutmütig lächelnd. Sie wurden von einer eleganten Dame empfangen, die wohl gleich erkannte, dass hier ein gutes Geschäft zu machen war. Ein dicklicher Herr im mittleren Alter und eine wesentlich jüngere Begleitung ließen immer auf ein gutes Geschäft schließen. Sieglinde von Weinberg zwitscherte mit ihr, und die Madame, die sich als Direktrice vorstellte, hieß sie auf Englisch, Platz zu nehmen.
Während Aschinger in der Vogue blätterte, ging die Baroness von einer Modepuppe zur anderen. Ihnen wurde Champagner gereicht, und bald erschienen Mannequins und führten Abend- und Tageskleider vor. Sieglinde von Weinberg benahm sich wie im Rausch, schlug ein um das andere Mal die Hände zusammen und rief: »Oh, sieh nur, Fritz, was für ein Traum!«
»Du hast eine Menge schöner Träume«, sagte Aschinger nach einer Weile und blätterte lustlos in der Vogue. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wobei dies von ihrer Seite weder böse gemeint war noch als Spiel. Es war ihr Leben. Lustvoll gab sie sich dem Kaufen hin und machte sich keine Sorgen über die Preise.
Nach zwei Stunden hatte sie sich für das kleine Schwarze, ein helles Kostüm, einen Hut, der in Ascot und nur dort nicht auffallen würde, und das blaue Abendkleid mit den schmalen Trägern entschieden. Sebastian war der Meinung, dass man zu dieser Entscheidung auch in wesentlich kürzerer Zeit hätte kommen können. Aschinger bekam eine Rechnung präsentiert, gegen die sich die Aufwendungen bei dem Herrenausstatter wie ein Trinkgeld ausnahmen. Aber Aschinger bezahlte mit erleichtertem Grinsen, wenn er auch den Kopf dabei schüttelte.
»Wer hätte gedacht, dass dieses bisschen Stoff so wertvoll sein kann! Wir beide sind in der falschen Branche, mein Lieber«, sagte er zu Sebastian.
Doch damit war die Ausplünderung der Läden auf der Rue Saint-Honoré noch nicht zu Ende. Denn jetzt mussten zu den neuerstandenen Kleidern natürlich auch noch passende Schuhe und Handtaschen gekauft werden. Gegen Mittag gingen sie erschöpft und doch zufrieden ins Fouquet auf den Champs Élysées und aßen eine Ente, die selbst Fritz Aschinger zufriedenstellte. Beschwingt durch einen guten Margaux Rothschild, führte Sieglinde von Weinberg sie danach über die Pont Alexandre mit den vergoldeten Engeln.
»Die Brücke trägt den Namen zu Ehren von Zar Alexander. Es ist die schönste Brücke in Paris.« Sie standen am Brückengeländer, und die Baroness deutete mit dem Finger auf den Schatten am Ende der Seine. »Dort hinten, unter den weißen Wolken liegt die Notre Dame, die gewaltigste Kirche Frankreichs.«
»Die Kirche des Glöckners von Notre Dame«, ergänzte Sebastian ehrfürchtig. »Dort sah er vom Turm herab auf Esmeralda und verliebte sich unsterblich. Können wir nicht dorthin gehen?«
»Bloß nicht, das ist doch viel zu weit!«, murrte Aschinger, der sich bereits die Stirn wischte. »Wir könnten uns ein Taxi nehmen.«
»Nein, Paris muss man zu Fuß erleben!«, rief die Baroness. »Lass uns wenigstens bis zum Pont Neuf gehen! Wer weiß, wie lange sich das schöne Wetter noch hält. Danach sollten wir durch den Jardin du Luxembourg spazieren.«
Sebastian erinnerte sich, dass sich dort d’Artagnan mit den drei Musketieren getroffen hatte.
»Wir müssen doch nicht an einem Tag ganz Paris abklappern!«, murrte Aschinger.
»Aber wenigstens zum Pont Neuf will ich, meine zweitliebste Brücke. Dort steht das Denkmal von Henry IV. Ein König, der die Frauen liebte.«
»Meines Wissens liebten alle französischen Könige die Frauen und konnten davon gar nicht genug haben«, brummte Aschinger.
Am Seineufer entlang wurde es noch einmal ein langer Marsch. Aschinger blieb oft schnaufend stehen und wischte sich die Stirn. »So viel bin ich mein Lebtag nicht gegangen!«, stöhnte er.
»Du musst Sport treiben, Fritz, oder wenigstens viel spazieren gehen, damit du deinen Schmerbauch loswirst«, spottete die Baroness erbarmungslos.
Sebastian kam es so vor, als wolle sie Aschinger damit zu verstehen geben, dass sie trotz der gemeinsam verbrachten Nächte nicht so einfach zu erobern sei und Aschinger, um den Altersunterschied überbrücken zu können, mehr bieten musste als ein paar Kleider der besten Couturiers Frankreichs.
»Ich könnte wetten, du warst schon zigmal in Paris und hast außer dem Ritz und dem Place Vendôme oder der Rue de Rivoli nichts von Paris gesehen«, fuhr sie unerbittlich fort.
»Das waren auch Geschäftsreisen«, verteidigte sich Aschinger.
»Na, dann wurde es höchste Zeit, dass du einmal ohne deine dummen Geschäfte hierherkommst!«, antwortete sie schnippisch und zwinkerte dabei Sebastian zu.
Vor den mit rötlichen Steinen durchzogenen weißen Häusern hob sich an dem Pont Neuf das Standbild von Henri IV. ab, und es sah aus, als wäre er gerade dabei, in die Stadt einzuziehen, die ihm so lange getrotzt hatte.
»Die Häuser stammen aus der Zeit Richelieus oder Mazarins oder wie diese Kardinäle damals hießen. Fritz, Paris ist wundervoll!«
»Unser