dort erst einmal die LEDs über dem Waschbecken an, klappte den Deckel der kleinen, weißen Kloschüssel samt Brille hoch und leerte ihre Blase, während sie von drüben das Gespräch hörte.
Lilli: „Warum lässt du geklautes Geld auf dem Damenklo liegen?“
Tino: „Weil ich vielleicht gerade high war? Als ich klar in der Birne wurde, kam ich zurück und sah dich mit der Tasche rauskommen. Ich stürzte rein und die Kabine war leer, also nahm ich die Verfolgung auf. Wie viel hast du für LSD ausgegeben?“
Darauf folgte Stille. Alex spülte. Lilli stand auf und schaute sich im Raum um. Kaute auf ihrem Ring. Dann entdeckte sie die Bögen auf dem Boden. Auf dem obersten Blatt war die Grinsekatze abgebildet und es fehlten die Stücke, die sie und Alex eingeworfen hatten. „Hier, das sind alle.“ Tino nahm sie entgegen und schaute sie an.
Alex öffnete die Tür der Glasdusche, machte sich einen Zopf, sodass er als Knäuel oben hielt, und drehte das Wasser auf. Sie wartete, bis es warm wurde, duschte sich aber nur flüchtig ab, stieg aus der Dusche, nahm sich eines der Hotelhandtücher und rubbelte sich trocken. Als sie wieder aus dem Bad kam, sagte Tino: „Okay, du kannst die Tasche behalten, dafür behalte ich das LSD.“
Noch bevor Lilli antworten konnte, was ganz sicher ein Gegenangebot wäre, sagte Alex: „Deal. Komm, Lilli, wir hauen ab, bevor das Personal merkt, dass wir die Einrichtung verwüstet haben.“
„Warum hast du Alex’ Schwanz gelutscht?“, fragte Lilli.
„Du hast doch sicher auch ihren Schwanz gelutscht!“
Darüber musste Lilli erst mal nachdenken.
Alex sammelte ihre Sachen zusammen und begann sich anzuziehen. „Okay, wenn jetzt nicht einer von euch beiden meinen Schwanz lutscht, dann fahre ich weiter.“
Lilli sprang vom Bett und sammelte ihre Kleidung ebenfalls schnell zusammen.
„Mach’s gut, Tino“, meinte Alex, warf sich ihre pelzige Pilotenjacke über und Lilli klemmte sich die Tasche unter den Arm. „Tschüss, Tino“, rief sie, winkte wie ein Kleinkind und folgte Alex durch den Türspalt hinaus. Tino blieb allein im verwüsteten Hotelzimmer zurück und fragte sich, während ihn die Katze vom LSD aus angrinste, wie er in so einen Mist hatte geraten können.
Lilli eilte Alex die Treppe hinunter hinterher.
„Guten Morgen, reisen Sie ab?“, fragte die Tante an der Rezeption.
„Ja!“, rief Alex ihr zu. „Müssen dringend los! Schlüssel liegt oben!“
Draußen gingen sie schnellen Schrittes über den Parkplatz und die Straße, die kurzzeitig von demselben Lkw blockiert wurde, der gestern eingefahren war und heute hinausfuhr. Bei ihrem treuen Ford Escort EXP angekommen, schloss Alex die Tür auf, zog die Jacke aus und warf sie auf den Rücksitz. Lilli lugte in die Tasche und kicherte: „Er dachte, die ganze Kohle sei für das bisschen LSD draufgegangen. Geile Scheiße!“
Alex schwang sich in den Wagen und startete den Motor. „Los, rein mit deinem entzückenden Arsch, oder du bleibst hier.“
„Bin ja schon da.“ Lilli schloss die Tür und warf die Tasche unachtsam auf die Rückbank. Alex legte den Rückwärtsgang ein, schob die Handbremse herunter, scherte aus und fuhr durch die schmalen, von parkenden Autos gesäumten Gassen.
„Warum hat Tino dir den Schwanz gelutscht?“
„Keine Ahnung“, meinte Alex. „Er hat gefragt und ich hielt es für eine gute Idee.“
Mit der kichernden Lilli neben sich, die auf ihrem Zungenpiercing kaute, fuhr Alex zurück auf die Autobahn in Richtung Berchtesgaden.
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An diesem hellen, aber grauen Tag fuhr Alex ohne bestimmtes Ziel durch die Gebäudeschluchten, Windungen und Ecken von Leipzig, als ihr Samsung klingelte und die Surfermelodie „Out of limits“ von den Royale Aces spielte. Alex schaute auf den Bildschirm, während aus dem Radio „Road to Nowhere“ von den Talking Heads schallte. Nur einen einzigen Namen ohne Bild sah sie bei dem flüchtigen Blickes auf das Handy: Mr. Knochen.
Alex konnte nicht sagen, ob sie gerade den jetzt hören wollte, doch als die Ampel vor ihr auf Rot schaltete und sich der Verkehrsfluss rapide verlangsamte, nahm sie den Anruf an und hörte die feste, raue Stimme: „He, Alex. Wo bist du gerade?“
„Irgendwo in Leipzigs Eingeweiden vor einer Ampel, warum?“
„Ich mache es kurz, wir brauchen dich.“
„Ich habe noch genug Geld. Und so billig verkaufe ich mich auch nicht. Habt ihr keine andere Shemale da, die das machen kann?“
„Nein“, sagte Mr. Knochen. Alle nannten ihn so, weil er es war, ein harter Knochen. Wegen eines, sagen wir, fehlgeschlagenen Drehs war er fast verurteilt worden, doch Nino Goldfinger hatte Knochens alten Arsch aus der Sache rausgeholt. „Nein, haben wir nicht. Wir brauchen eine echte Shemale wie dich. Unsere letzte hat sich den Traum von der einzig wahren Weiblichkeit erfüllt und für eine weitere She ohne male haben wir hier keine Verwendung. Du bist eh gerade in Leipzig, du weißt, wo, also komm vorbei.“
„Ihr braucht eine echte Shemale?“, hakte Alex nach.
„Ja“, bestätigte Knochen knochentrocken.
Demnach konnte Alex sich denken, worum es sich handelte. „Ich will eine Perücke und übertriebene Schminke, so leicht will ich es den Leuten mit der Wiedererkennung nicht machen.“
„Du könntest was Großes werden, Alex. Echte Zwitter haben wir nicht viele. Die meisten sind einfach nur Transen und die halten nicht so lange, da sich die meisten irgendwann das, was sie besonders machte, unterm Hintern wegschneiden lassen.“
„Das ist keine Bestätigung.“
Knochen schluckte. „Okay, du kommst vorher in die Maske, bist du jetzt zufrieden? Also, schwing deinen Arsch her, in vierzig Minuten geht’s los!“ Er legte auf, oder Alex, je nachdem, wer schneller war.
Die Ampel besaß endlich die Freundlichkeit, auf Grün umzuschalten. Der träge Verkehr, diese klebrige Masse an Autos setzte sich wieder in Bewegung. „Road to Nowhere“ endete und Alex bog ab. Eigentlich konnte sie Mr. Knochen nicht leiden. Er war ein Mensch ohne Prinzipien. Sie erinnerte sich an sein grobes Gesicht mit den kleinen schmalen Augen, der Glatze, der dicken Nase und dem beinahe lippenlosen schmalen Mund und der glänzenden, kupfernen Solariumsbräune, die an Künstlichkeit kaum zu toppen war. Er trug schwarze Kleidung und war um fast einen Kopf kleiner als sie. Es erinnerte Alex an den Tag, an dem sie eine weinende Frau gesehen hatte, die der Anforderung, die in diesem Gewerbe an sie gestellt wurde, nicht mehr standhalten konnte, und an Mr. Knochen, der sie anschrie, sie solle sich nicht so anstellen.
Wenn sie eine echte Frau mit Schwanz brauchten, dann war Alex klar, dass es um eine einfache Solosache ging, und das dürfte kein Problem sein. Und wenn sie Mr. Knochen noch ein wenig in die Richtung manövrierte, in der sie ihn brauchte, würde es auch noch mehr Geld geben, denn so jemand wie Mr. Knochen rief nur an, wenn er einen wirklich brauchte, wenn seine Stimme den Unterton an Verzweiflung und Zeitdruck professionell unten hielt und er versuchte, gerade so die Zügel in den Händen zu behalten, während ein wütender Stier, geformt aus komplizierten Darstellern, speziellen Anforderungen und Stress, unter ihm tobte. Davon abgesehen griffen Mr. Knochen und Nino ihr damit gewaltig unter die Arme, sodass sie im Meer von Nirgendwo nicht finanziell unterging. Sie hatte noch genug Geld übrig, aber Scheine auf der hohen Kante konnte eine Reisende wie Alex immer gebrauchen.
Ob Nino da war? Alex würde sich gern mal wieder mit dem Kerl unterhalten. Sie kannte ihn schon so lange. Er war vielleicht nicht derjenige gewesen, der den Startschuss für ihre Reise nach Nirgendwo gegeben hatte, aber er war eindeutig der Trainer, der ihr während dieses imaginären Boxkampfes das Handtuch um die Schultern gelegt und ihr Wasser hingehalten hatte.
Sie erinnerte sich noch so gut an den Tag, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte. Das war alles so verdammt lange her.