Moni Rehbein

Bastis Welt


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ihre Medaillen und Urkunden entgegennahmen.

      Ein Zeitungsreporter war gekommen und schoss einige Fotos. Damit war das Turnier offiziell beendet.

      Es war immer noch relativ ruhig in der Aula, als Bastis Stimme zu vernehmen war, der sich dem cholerischen Trainer zugewandt hatte: »Ich fordere Sie zu einer Partie Schach heraus.« Dabei hatte er ruhig und sachlich gesprochen, fast schon ein wenig beiläufig.

      Der Trainer nahm die Herausforderung an und schnell wurden ein Tisch und zwei Stühle in die Aula getragen und ein Schachbrett aufgebaut. Basti und sein Kontrahent setzten sich. Im Saal herrschte vollkommene Ruhe, trotz der vielen Menschen, die sich um den Tisch und die beiden Spieler versammelt hatten.

      Es dauerte nicht sehr lange, da hatte Basti den Trainer matt gesetzt. Der Trainer streckte Basti dem Ritual zufolge die rechte Hand entgegen, welche Basti ergriff. Immer noch herrschte Stille, als der Trainer anfing zu sprechen: »Ich habe dich unterschätzt und erbitte eine Revanche.«

      Basti antwortete in ebenso ruhigem Ton: »Gewährt.«

      Schnell stellten die beiden ihre Figuren wieder auf und eine zweite Partie begann.

      Man hätte eine Wanze husten hören können, so still war es auch diesmal im Saal, als sich alle Augenpaare auf das Schachbrett richteten, um den beiden ungleichen Spielern ein zweites Mal zuzusehen.

      Auch diesmal verging nicht allzu viel Zeit, da hatte Basti die Partie gewonnen. Das Gesicht des Trainers war purpurrot angelaufen, ob vor Wut oder Scham war nicht auszumachen. Dennoch erhob er sich wieder von seinem Platz und bot Basti die Hand an. Immer noch hatten der gestandene Mann und der kleine Junge die volle Aufmerksamkeit der Anwesenden.

      Bastian stand nun ebenfalls auf, ganz ruhig, als hätte Zeit keine Bedeutung in seinem Leben. Er ignorierte die dargebotene Hand des Gegenübers, sah ihm gelassen in die Augen und sagte in belanglosem, aber festem Ton: »Sie können gar nicht Schach spielen.«

      Damit drehte er sich um und ließ den Mann, der seine Rechte langsam sinken ließ, einfach stehen.

      Es folgte ein weiterer Moment völliger Geräuschlosigkeit, dann brandete tosender Applaus auf, der anhielt, bis der Trainer das Gebäude verlassen hatte.

      Basti hatte in jeglicher Hinsicht gewonnen: Das Spiel und die Hochachtung der Umstehenden.

      Ich war sehr stolz auf meinen geliebten Jungen, der diesen Choleriker souverän in seine Schranken verwiesen hatte. Wir sahen den Trainer nie wieder bei einem Turnier.

      Ich gebe es gerne zu, ich bin manchmal ziemlich chaotisch. Dabei braucht Basti klare Ansagen. Ich wollte an diesem Tag einkaufen fahren.

      »Ich gehe einkaufen und komme in zwei Stunden wieder.«

      Eine klare Ansage, aber ich würde exakt in zwei Stunden wiederkommen müssen, sonst würde Panik ausbrechen. Basti könnte die Polizei rufen, Möbelstücke zerschlagen oder sonst wie austicken.

      Ich beeilte mich daher, schnappte meinen Einkaufskorb, warf in aller Eile Geldbörse und Einkaufszettel hinein, verließ das Haus und schlug die Tür hinter mir zu. Als ich mein Auto aufschließen wollte, begann das Dilemma. Ich hatte meinen Schlüsselbund im Haus liegen lassen. Ich also zurück und geklingelt.

      Nur wenige Sekunden später hörte ich Bastis Stimme etwas gedämpft durch das geschlossene Fenster im ersten Stock: »Wer da?«

      Ich hatte ihm ja beigebracht, dass er Fremden die Tür nicht öffnen soll und rief fröhlich zurück: »Ich bin es!«

      »›Ich‹ ist keine gültige Ansage. – Wer da?«

      »Ich bin es«, wiederholte ich mich und fügte hastig hinzu, »deine Mutter!«

      »Meine Mutter ist nicht da, die kommt erst in zwei Stunden wieder … Wer da?«

      Meine Stimme war nun nicht mehr ganz so fröhlich: »Ich bin es, deine Mutter, LASS MICH REIN!«

      »Meine Mutter ist nicht da, die kommt erst in zwei Stunden wieder … Wer da?«

      Der kurze Eindruck eines Déjà-vu überkam mich und verflog sofort wieder.

      »DEINE MUTTER!« Meine Stimme wurde lauter.

      »Das sagten Sie bereits. Meine Mutter ist nicht zu Hause. Sie kommt erst …«

      Ich unterbrach ihn, denn langsam verlor ich die Geduld.

      »Ich hab meinen Schlüssel vergessen. Mach die Tür auf.«

      »Meine Mutter hat gesagt, ich darf keinem Fremden die Tür aufmachen.«

      »ICH BIN ABER KEIN FREMDER! ICH BIN DEINE MUTTER!«

      Anscheinend hatte nun auch er begriffen, dass es wenig Sinn ergibt, ständig den gleichen Satz zu wiederholen: »Beweise?!«

      Ich ergriff sofort diese Chance: »Mach das Fenster auf und beug dich heraus, dann siehst du mich.« Hoffnung machte sich in mir breit und wurde gleich wieder zerschlagen.

      »Das ist ein Trick, damit Sie mich durch das offene Fenster überfallen können, darauf fall ich nicht rein.«

      Tolle Logik! Ein neues Argument musste her: »Du erkennst mich doch an meiner Stimme!«

      Und nun folgte der alles entscheidende letzte Ruf meines Sohnes, der mich die nächsten 110 Minuten auf der Treppe hat sitzen lassen: »Das hat der Wolf bei den sieben Geißlein auch gesagt!« Damit war die Diskussion beendet, denn Basti antwortete nun nicht mehr auf meine Zurufe oder mein Klingeln.

      Ein Glück nur, dass der Tag warm war und ich mir auf der Treppe nicht auch noch den Hintern abfror.

      Pünktlich nach der verabredeten Zeit klingelte ich erneut. Basti fragte, wer da sei und ließ mich sofort ins Haus, als ich mich als seine Mutter zu erkennen gab. Stolz berichtete er mir, sobald ich die Wohnung betreten hatte, dass ein Fremder dagewesen sei, der sich als seine Mutter ausgegeben hätte, dass er aber auf keinen Trick hereingefallen wäre und diesen Fremden nicht ins Haus gelassen hatte. Ich erklärte ihm, dass das tatsächlich ich war und kein Fremder.

      »Aber du hast gesagt, du kommst in zwei Stunden wieder und die waren noch nicht um. Du hättest ja gleich sagen können, dass du schon nach wenigen Minuten wieder rein willst.«

      Weitere Diskussionen wären im Leeren verlaufen, ich habe seitdem immer einen Schlüssel bei der Nachbarin hinterlegt.

      So ein schnurloses Telefon ist schon eine praktische Sache. Man kann es in jedem Zimmer benutzen und es auch mal mit in den Garten nehmen. Wenn ich bei der Arbeit bin oder Bastian einen Anruf erwartet, könnte er es mit in sein Zimmer nehmen. Also entschloss ich mich beim Einzug in das Haus meiner Eltern, mir ein Funktelefon zuzulegen. Leider waren damals die Funktelefone nicht ganz billig. Bei der Telekom informierte man mich darüber, dass es ungefähr 250 D-Mark kosten sollte. Da mir dies zu teuer war, mietete ich das Telefon. Das hatte zudem den Vorteil, dass das Telefon auf Kosten der Telekom durch ein neues ersetzt werden würde, falls es kaputtgehen sollte.

      So benutzten wir lange Zeit das Funkgerät. Im Radio und Fernsehen wurde in der Zeit immer wieder über die Lockerung des Datenschutzes und die Lauschangriffe von Seiten der Regierung berichtet. Mich interessierte das nicht sonderlich, da ich keine Gespräche führte, welche die Regierung nicht mithören durfte.

      Basti verfolgte diese Nachrichten, wie auch alle anderen, täglich mit Spannung und erboste sich darüber, dass die Bundesagenten so viele Rechte haben. Doch solange wir keine Anschläge planten, keine Waffen oder Drogen handelten und uns an die Gesetze hielten, würden wir die Regierung sicher nicht besonders interessieren. Wir redeten in der Zeit viel über die Lauschangriffe und Basti fühlte sich nicht mehr sicher beim Telefonieren. Ständig glaubte er sich beobachtet und abgehört.

      Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, wartete Bastian bereits auf mich.

      »Das Telefon geht nicht mehr.«

      Natürlich