Susanne Zeitz

Und die Tage lächeln wieder


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aus der weißen Plastiktasse. Lauwarm und bitter rinnt es meine Kehle hinunter, fast eine Beleidigung für die Geschmacksnerven, aber es tut trotzdem gut.

      Für einen Moment gelingt es mir, meine Aufmerksamkeit von mir weg auf meine Umgebung zu lenken.

      Stimmengemurmel, leises Lachen, das klappernde Geräusch des Servierwagens und die helle, sympathische Stimme der Stewardess mischen sich mit dem sonoren Brummen der Flugzeugmotoren.

      Mein Sitznachbar bemüht sich tapfer um sein Essen. Es scheint eine Art Hackbraten in dunkler Sauce zu sein. Als er meinen Blick bemerkt, zieht er eine Grimasse.

      „Es schmeckt, wie es aussieht. Doch es macht wenigstens satt“, meint er und lächelt unzählige kleine Falten in sein Gesicht, die sich um seine Bartstoppeln legen.

      Ich lächle zurück, drehe mich aber gleich wieder weg und schaue aus dem kleinen Fenster. Ich will jetzt keinen Smalltalk, möchte nichts aus einem fremden Leben erfahren und keine neue Bekanntschaft machen. Clemens drängt sich in meine Gedanken. Ich vertreibe ihn daraus. Es tut zu weh.

      Weit unter mir funkeln die Lichter einzelner Häuser und Städte wie Miniaturgebilde, klein und bedeutungslos.

      Stimmt es wirklich, dass über den Wolken alles leicht und grenzenlos erscheint?

      Ich liebe den Augenblick des Startens, wenn das Flugzeug mit großer Geschwindigkeit über die Rollbahn rast, um sich dann leicht, fast wie von selbst, in die Luft zu erheben. Ich genieße diesen Augenblick, denn in ihm fühle ich die Freiheit, alles hinter mir oder unter mir zurücklassen zu können. Aber dieser Moment sollte länger dauern. Viel zu schnell macht er jedes Mal dem gleichmäßigen, für mich eher langweiligen Dahingleiten Platz und damit dem Zurückkehren der Gedanken um Zurückgelassenes.

      Ohne dass ich es will, zieht mich die Erinnerung zu den Ereignissen der vergangenen drei Monate.

       Kapitel 2

      Es begann an einem Oktobertag, der sich wie aus dem Bilderbuch präsentierte. Blauer Himmel, leise Nebelschwaden, die sich über den schon bunt gefärbten Kronen der Laubbäume auflösten und einer wärmenden Sonne Platz machten.

      Ich war früh aufgestanden, um den freien Tag in seiner gesamten Länge nutzen zu können. Seelisch und körperlich fühlte ich mich im Gleichgewicht, war mit mir und meinem Leben rundherum zufrieden.

      Ich wollte gerade meine Wohnung verlassen, um zu meiner alltäglichen Laufrunde im nahen Wald aufzubrechen, als das Telefon klingelte. Ich ging ins Wohnzimmer zurück.

      „Alexandra, gut, dass du da bist“, tönte mir Konrads tiefe, samtige Stimme entgegen.

      „Konrad, was gibt‘s denn so früh? Ich bin auf dem Weg in den Wald.“

      „Du musst unbedingt heute noch bei mir im Buchladen vorbeikommen. Es ist dringend!“

      „Um was geht es denn? Reicht es nicht am Montag? Ich möchte heute einfach in Ruhe den Tag zuhause verbringen“, murrte ich in den Hörer.

      „Nein. Ich muss dir etwas zeigen. Komm bitte vorbei.“

      Seine Stimme vibrierte und es schwang etwas mit, das ich irgendwie nicht richtig einordnen konnte. Es musste schon etwas Außergewöhnliches passiert sein, wenn mein lieber, alter Freund so aufgeregt war.

      „Ich bin so gegen elf Uhr bei dir“, versprach ich ihm.

      Seine Erleichterung war durch den Hörer zu spüren.

      Ich legte das Telefon auf den Wohnzimmertisch, zog meine Laufschuhe an und verließ die Wohnung.

      Das Haus, in dem ich seit zwölf Jahren wohne, liegt direkt am Waldrand. Schon das war einer der Gründe, warum ich mich damals für diese Wohnung entschied, denn ich liebe meine morgendlichen Laufrunden in der freien Natur. Außerdem genieße ich es, am Stadtrand zu wohnen. Eine kleine Gemeinschaft von Häusern mit einem gemütlichen Café, einem Naturkostladen, einem Bäcker und einem mittelgroßen Supermarkt.

      Das brauche ich als Gegenstück zu meiner Arbeit in der großen Anwaltskanzlei meines Vaters, wo ich als seine Assistentin und Mädchen für alles die Termine und Abläufe manage.

      Ich liebe meine Arbeit und das Gefühl der Unentbehrlichkeit, das mir mein Vater, mein Verlobter Clemens und die anderen Anwälte vermitteln, aber ich genieße auch das Eingeschlafene dieses kleinen Ortes, wie Clemens immer wieder stichelt.

      Clemens liebt die Lebendigkeit des Lebens. Es muss ständig etwas los sein, unternommen werden. Im Beruf, sowie in seiner Freizeit brauche er den ultimativen Kick, wie er es auf seine humorvolle Art ausdrückt.

      Seine Penthaus Wohnung liegt daher mitten in der Stadt. Er hat einen fantastischen Blick auf den nahen Stadtgarten und einen kurzen Weg in die Kanzlei.

      Erst gestern hatten wir wieder unser übliches Streitgespräch.

      „Schatz, ich verstehe nicht, warum du nicht endlich zu mir ziehst. Ich habe sechs große Zimmer, von denen du dir ein eigenes einrichten könntest. Du hättest einen kürzeren Weg zur Arbeit und wir könnten täglich zusammen sein“, meinte er und kniff ärgerlich die Lippen zusammen, als ich mich wie immer nicht festlegen wollte und die Entscheidung auf einen späteren Zeitpunkt verschob.

      „Ich weiß nicht, warum wir nicht endlich heiraten, schließlich sind wir schon so lange zusammen“, stellte er ärgerlich in den Raum. Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht. Obwohl wir verlobt sind, kann ich mir eine Ehe mit ihm zurzeit noch nicht vorstellen.

       Kapitel 3

      Ich überquerte die Straße und bog auf den Laufpfad ein. Es war noch früh, so dass ich den Wald fast für mich allein hatte. Eine Joggerin, die sich bereits auf dem Heimweg befand, schenkte mir ein flüchtiges Lächeln aus einem verschwitzten, geröteten Gesicht und ein größerer Hund mit leichtem, federndem Gang lief an mir vorbei, ohne mich jedoch im Geringsten zu beachten. Von Herrchen oder Frauchen keine Spur.

      Feuchtigkeit lag in der Luft und es roch nach modrigem Laub und nasser Erde. Die Sonnenstrahlen bahnten sich bereits ihren Weg durch die rot und gelb gefärbten Baumwipfel und beleuchteten meinen Weg.

      Eine Amsel auf Futtersuche saß am Wegrand und schleuderte unwirsch die Blätter zur Seite. Wahrscheinlich vermutete sie darunter besondere Leckerbissen. Ein paar Bäume weiter hatten sich Krähen eingefunden, die laut um die Wette krächzten.

      Ich kam in ein lockeres Laufen und genoss es, den Waldboden unter meinen Schuhen zu spüren. Weich und nachgebend.

      Ich atmete tief die frische Luft ein und hing meinen Gedanken nach. Das Telefongespräch kam mir wieder in den Sinn. Komisch, so aufgeregt und innerlich berührt hatte ich Konrad selten, eigentlich noch nie erlebt.

      Konrad ist mein Patenonkel und ein Jugendfreund meiner Mutter. Ich kann mich noch gut an seine Besuche erinnern. Sobald er mit uns im Wohnzimmer saß, griff er jedes Mal betont langsam in seine große Umhängetasche und holte ein Buch heraus, aus dem er Mutter und mir vorlas. Meistens waren es Märchen oder andere spannende Kindergeschichten. Wir liebten diese Stunde mit ihm. An die Anwesenheit meines Vaters kann ich mich allerdings nicht erinnern. War er zuhause, wenn Konrad vorbeikam, zog er sich meistens in sein Arbeitszimmer zurück. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann kann ich mich nicht daran erinnern, die beiden Männer gemeinsam erlebt zu haben.

      Nach dem tragischen Tod meiner Mutter ließ sich Konrad nicht mehr in unserer Villa blicken. Warum eigentlich? Auf meine Frage, warum Konrad uns nicht mehr besuchte, zuckte mein Vater lediglich mit den Schultern und meinte, das ginge mich nichts an.

      Auch von Konrad erfuhr ich nichts Näheres. Mein Vater war für ihn mit einem Mal ein Tabuthema. Wenn wir uns trafen, sprachen wir nicht über ihn.

      Konrad war mein Freund und ich konnte mit allen großen und kleinen Kindersorgen und Nöten zu ihm kommen. Das hat sich bis heute nicht geändert. Er ist für mich wie der Vater, den