Susanne Zeitz

Und die Tage lächeln wieder


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und Heldinnen, viele fremde Leben, Schicksale und Geschehnisse in den Regalen auf ihre ganz speziellen Käufer warten.

      Der Laden ist nicht übermäßig groß, doch übersichtlich eingerichtet. An den Wänden entlang auf den Regalen die gut sortierten Bücher. Klassiker, Poesie, Romane, Krimis. Eine Ecke ist liebevoll für die Kinder eingerichtet. Kleine Tische und Stühle laden die Kleinen ein, sich in die Welt der bunten, bebilderten Bücher zu begeben.

      Viele Werke stammen von unbekannten Autoren aus der Umgebung. Konrad hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Schriftsteller zu fördern.

      So ist sein Buchladen etwas Besonderes. Jeden Donnerstagabend finden Lesungen statt. Ein kleiner, intimer Kreis, der sich zwischen den Büchern um den Schriftsteller formiert und gespannt zuhört.

      Ich liebe diese Abende, die mich als Zuhörende in geheimnisvolle und fremde Welten und Schicksale entführen.

      Wärme, Geborgenheit und Zusammengehörigkeit. Schade nur, dass ich diese Vorliebe mit Clemens nicht teilen kann. Er macht sich nichts aus Büchern. Stillsitzen und sich volllabern zu lassen, wie er es ausdrückt, ist nicht sein Ding.

      Konrad gehört zu der alten, ich möchte fast behaupten, aussterbenden Gattung der Buchhändler, der zu spüren scheint, welches Buch zu welchem Käufer passt.

      Ich habe immer wieder erlebt, wie Kunden nach einiger Zeit wiederkamen und sich bei ihm bedankten. Er hätte ihnen genau das richtige Buch verkauft, genau dieses hätte ihnen geholfen oder gutgetan.

      Von jeder Buchmesse bringt er wahre Schätze mit. Romane aus aller Welt. Das Geschäft läuft sehr gut, er hat seine Stammkunden, die in all den Jahren zu guten Freunden geworden sind.

      Wer würde sich denn um meine Kunden kümmern, wenn ich nicht mehr da wäre, meint er jedes Mal, wenn er auf die Rente angesprochen wird. Ich kann mir Konrad ohne seinen Laden auch nicht vorstellen. Er ersetzt ihm die Familie, die er nicht hat und er ist sein Leben.

      „Konrad, was gibt es so Wichtiges, dass du mich ausgerechnet am Samstag hierher beorderst?“, fragte ich ihn nun.

      „Ich habe ein Buch für dich. Das musst du unbedingt lesen!“

      „Ach Konrad, hätte das denn nicht bis Montag Zeit gehabt? Wegen einem Buch!“ Ich schüttelte ein bisschen unwillig den Kopf. „Ich habe den Roman, den du mir letzte Woche mitgegeben hast, noch nicht einmal angefangen.“

      Konrad brummelte etwas in seinen grauen Bart, ließ mich am Regal der Krimis stehen und eilte nach hinten in sein kleines Büro. Ein mittlerweile leicht gebeugter und übergewichtiger Mann mit dunkelbrauner Cordhose, braunkariertem Hemd und beigefarbenem Sakko.

      Als er nach ein paar Minuten wiederkam, hielt er ein dickes, in Leinen gebundenes Buch in der Hand und reichte es mir.

      „Bitte lies es und fang heute noch damit an. Es ist wichtig! Versprich es mir!“ Er sprach mit Bestimmtheit, doch es lag ein fast flehender, bittender Ausdruck in seinen Augen. Erstaunt blickte ich ihn an.

      „Was ist denn so Besonderes an dem Buch? Willst du es mir nicht sagen?“

      Bevor er antworten konnte, öffnete sich, unter lautem Bimmeln der kleinen Messingglöckchen, die Ladentür und eine Kundin steuerte direkt auf ihn zu.

      „Konrad, ich brauche Ihre Hilfe. Ein besonderes Buch für den fünfzigsten Geburtstag meiner Freundin.“

      Mein Onkel warf mir einen langen Blick zu, dann wendete er sich der Kundin zu.

      „Ich habe eine schöne Ausgabe mit Herbstgedichten hereinbekommen. Die zeige ich Ihnen.“ Mit diesen Worten führte er die Kundin in den vorderen Teil des Ladens.

      Er ist glücklich in seinem Beruf. Bin ich das eigentlich auch? Komisch, dass gerade jetzt diese Frage auftauchte. Ich bin zufrieden und mache meine Arbeit gerne, beruhigte ich mich selbst, denn mein Herz fing an, unruhig zu schlagen.

      Um mich abzulenken, schaute ich mir nun das Buch näher an. Fest eingeschweißt in einer Plastikhülle, wog es schwer in meiner Hand. Sicher so um die vierhundert Seiten, schätzte ich.

      Der Titel „Das verleugnete Leben“ sprach mich nicht sehr an. Das Cover, in Blau gehalten, zeigte in der Ferne eine Frauengestalt von hinten. Hätte ich es nicht besser gewusst, dann hätte ich es als einen Kitschroman abgetan. Ich drehte es auf die Rückseite und las die Zusammenfassung. Ein autobiographischer Roman einer Isabella Vargas. Noch nie gehört den Namen. Was sollte denn daran so wichtig sein, dass ich extra heute hierherkommen musste, fragte ich mich ein wenig unwillig und blickte auf meine Uhr. Der Tag begann sich mir langsam in seiner eigenen Dynamik zu entziehen.

      Unwillig legte ich das Buch neben mich auf einen Tisch mit Kinderbüchern. Ich hatte keine Lust, die Geschichte dieser peruanischen Frau zu lesen. Überhaupt wollte ich von Peru nichts wissen. Dieses Land war schuld am Tod meiner Mutter und an der Kühle und Distanziertheit meines Vaters.

      Die Türglöckchen bimmelten. Kurz darauf kam Konrad zu mir. Mit schnellem Blick sah er das Buch auf dem Tisch liegen, nahm es und hielt es mir regelrecht vor die Nase.

      „Bitte lies es!“ Er betonte nun Wort für Wort. Ich blickte ihn an und erschrak, denn mit einem Mal lag solch ein großer Schmerz auf seinem Gesicht, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte.

      „Ja, wenn dir so viel daran liegt. Aber möchtest du mir nicht bei einer Tasse Tee erzählen, was dich gerade bei diesem Buch so sehr berührt?“, fragte ich und strich ihm sanft über den Arm. Er schüttelte den Kopf.

      Die Türglöckchen bimmelten erneut. „Lies es und lass es auf dich wirken. Es ist dein Buch. Es wurde für dich geschrieben.“ Mit diesen Worten eilte er wieder in den vorderen Bereich des Ladens. Ich hörte seine sanfte Stimme, die den Kunden nach seinen Wünschen fragte.

      Mein Herz klopfte unruhig. Was hatte dieser Roman mit mir zu tun? Warum war das mein Buch? Wieso sollte eine peruanische Frau ein Buch für mich schreiben? Er sprach in Rätseln und das machte mir das Buch nicht gerade sympathischer.

      Doch ich ging in sein Büro, nahm ein kleines Messer und ritzte vorsichtig die Plastikhülle an einer Seite ein, riss sie auf und befreite das Buch daraus.

      Ein Buch beginnt erst dann zu leben, wenn man anfängt, darin zu lesen, sich dafür zu interessieren, sich mit den Figuren verbündet oder sich gar mit ihnen identifiziert. Zuvor aber muss die Plastikhülle entfernt werden. Bis dahin sind die Figuren eingesperrt, so hatte es Konrad mir als Kind erklärt und so ist es für mich heute noch.

      Und so geschah es auch dieses Mal wieder. Ich spürte das Buch in meiner Hand lebendig werden und mit mir in Verbindung treten. Es weckte meine Neugierde.

      Ich steckte es in meinen Rucksack und verließ das Büro, durchquerte den Laden und ging zur Tür. Konrad, der sich immer noch in einem Beratungsgespräch befand, winkte mir kurz zu.

      „Bitte ruf mich an. Unbedingt!“ Er schenkte mir noch ein kurzes Lächeln und wandte sich wieder seinem Kunden zu.

       Kapitel 6

      Ich verließ beinahe fluchtartig das Geschäft. Vor der Tür, während ich tief die lauwarme Herbstluft einatmete, spürte ich seinen Blick, den er mir durch das Schaufenster hindurch zuwarf. Ängstlich und unsicher. Komisch, dachte ich und eilte auf die Haupteinkaufstraße zu.

      Irgendwie fühlte ich mich mit einem Mal in mir selbst fremd, unreal die Stadt um mich herum, wie von einem anderen Stern.

      Irritiert steuerte ich den freien Tisch eines kleinen Cafés an und setzte mich in die wärmende Sonne. Ich brauchte jetzt erst einmal einen Kaffee und vielleicht ein Stückchen Kuchen.

      Schrilles Lachen vom Nebentisch, das Schreien eines Säuglings, laute Stimmen und das Hupen eines Autos holten mich aus der merkwürdigen Stimmung heraus. Kurz darauf bekam ich meinen Kaffee und ein Stück Zwetschgenkuchen mit Sahne.

      Wieder zurück in der Realität.

      Ich