Sigrid Dobat

Tauben am Fenster und andere Geschichten


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und Maden Rinde fressen, dass die Bäume nackt stehen, weiß sind und ohne Schutz, wo Leben aus der Erde gleitet.

      Dort war ihr Gesicht, er hatte es gesehen zwischen den Ästen und grünem Haar und roten Lippen.

      Er hatte es mitgenommen aus diesem Park, damit Ameisen und Käfer es nicht zerfressen. Er hatte es aufgehoben mit seinen Händen.

      Ihr Gesicht.

      KÄFERGLANZ

      Das Gutshaus, die Scheune, gelbe Felder bis an den Horizont, open air in gelben Feldern.

      Es ist genau so, wie sie es sich vorgestellt hatte: Die Picknickdecke auf dem Rasen: blau, grau, gelb kariert. Der feine gelbe Streifen wird zum Gelb ihres Kleides passen. Das Gras noch aufgerichtet, so liegt die Decke wellig und gibt an einer Seite einen Blick auf die gummierte Unterseite frei. Wegen der Feuchtigkeit.

      Er ist dabei. Er hat sich nicht auf die Decke gesetzt, er sitzt im Gras. Die Hose etwas nach oben gerutscht, das Bein spärlich behaart. Sie ist verwundert.

      Die Decke zwischen ihnen, die Sektflasche noch ungeöffnet. Zwei Gläser liegen daneben, das noch aufrechte Gras gibt keine Standfläche. Er, Bauer, ökologischer Hof. Sie, Lehrerin, Grundschule. Umweltaktivistin, immerhin. Mit ihren Kindern hatte sie für mehrere Tage Schulunterricht auf dem Bauernhof gemacht. Dabei war er ihr begegnet. Jetzt macht sie Ferien auf dem Bauernhof. Seinetwegen.

      Ob er Haare auf der Brust hat? Sie sieht seine Hände, kräftige, arbeitsame Hände, doch angenehm sauber. Es ist ja richtig, ein Bauer arbeitet heute anders, auch ein Biobauer. Vermietet Zimmer, zum Beispiel. Ein Überbleibsel aus seiner Ehe. Sie ist jetzt fort. Wegen Unvereinbarkeit der Werte, hatte er gesagt.

      Jetzt ist er hier, neben der Picknickdecke, sie darauf. Sie sieht die Musiker die Stühle im Eingang der Scheune besetzen. Das Wetter ist gut, die Zuschauer draußen. Die Klarinette! Ob das die Solistin ist? Der Kontrabass, irritiert über den erdigen Untergrund gezogen.

      R(h)apsodie, ein klein wenig Verona*. Sie hat ihn eingeladen, er ist gekommen, der Sekt ungeöffnet. Warum nicht, hat er gesagt und gelächelt und ist gekommen. Sie hat inszeniert.

      Der angenähte Henkel, an dem die zusammengefaltete Picknickdecke getragen werden kann, drückt unter ihrem Bein. Es wird Druckstellen geben. Sie zieht das Bein zur Seite, drapiert die gelbe Stofffülle ihres Kleides darüber.

      Ein Fleck, ein kleiner schwarzer Fleck. Unauffällig versucht sie mit einer Stofffalte den Fleck zu überdecken. Und noch einer, auch einer an der Ausschnittkante.

      Die Musiker stimmen, er schaut interessiert zu, scheint die Flecken nicht zu bemerken. Sie weiß ihn abgelenkt, greift nach dem Programmheft, um einen Grund dafür zu finden, die Brille aufzusetzen. Jetzt erkennt sie kleine ovale Tierchen, glänzender Rücken. Sie versucht sie wegzustreichen. Hartnäckig besetzen sie den gelben Stoff, lassen sich nicht wegschieben. Sie gibt auf, ignoriert.

      Der erste Satz lenkt ab. Dort das Gutshaus, der Park, die Scheune, die Musik. R(h)apsodie, Verona in Schleswig-Holstein.

      Die Tierchen im Haar, vermehrt auf dem gelben Stoff. Der zweite Satz. Die Streicher schmeicheln, die Klarinette schleicht sich in ihr Ohr, das Eternitdach der Scheune wird zu Reet. „Meligethes aeneus“, sagt er leise und beugt sich dabei zu ihr. „Ja, Amadeus“, flüstert sie und genießt seine Nähe und den zweiten Satz.

      Es ist gut so, warum sollte sie ihn nicht an die Kultur heranführen? Mozart im Rapsfeld. Natur und Kultur ist kein Gegensatz, gewissermaßen. Klanglich nicht, sogar eine Symbiose – vom Wort her. R(h)apsodie.

      Er beugt sich näher und sagt etwas lauter: „Rapsglanzkäfer, Gattung Meligethes, Familie der Nitidulidae.“ Die Klarinette jubelt im dritten Satz. Das Kleid gelb, übersät von kleinen, glänzenden Punkten, ihre Haut reagiert nervös. Die Finger ihrer rechten Hand schieben sich durch das Haar. Mit der linken versucht sie die Käfer vom gelben Stoff zu schieben. Sie kleben beharrlich.

      „Der Raps blüht, sie fressen sich in die Blüten“, sagt er. Sie springt auf von der Decke, schüttelt hysterisch an ihrem Kleid. Die kleinen Käfer kleben. R(h)apsodie in gelb. Der dritte Satz beendet. In den Beifall hinein sagt er: „Sie sind resistent gegen unser Gift.“

       Ein „Vorläufer“ der aktuell sehr erfolgreichen Hofkonzerte in Schleswig-Holstein waren die Konzerte Klassischer Musik in Scheunen und auf Höfen zur Zeit der Rapsblüte, deshalb „R(h)apsodie genannt. Das Besondere war, dass die Konzerte unter freiem Himmel stattfanden, nur bei Regenwetter in Scheunen. Die Atmosphäre während der Konzerte hatte Picknick-Charakter, man saß auf dem Rasen oder auf Gartenstühlen bei mitgebrachtem Essen und Getränk.

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