Christian Wehrschütz

Brennpunkt Balkan


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geschlossen, und in Kroatien selbst hatte Jadranka Kosor mit einer massiven Wirtschaftskrise zu kämpfen, die internationale wie hausgemachte Ursachen hatte. Die Wirtschaftsleistung sank um sieben Prozent, das Land schlitterte in die Rezession und zwei Mal musste ein Nachtragshaushalt verabschiedet werden. In der Folgezeit zeigte Kosor wahrlich staatsmännische Qualitäten. Ihr gelang der Kompromiss mit Slowenien, der zur Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen führte. Kosor machte auch endlich ernst mit der Justizreform und dem Kampf gegen die Korruption – und opferte dabei bewusst dem Wohl des Landes das Schicksal ihrer eigenen Partei. Gegen die HDZ wurde ebenso ein Verfahren im Zusammenhang mit illegaler Parteienfinanzierung eingeleitet wie gegen Ivo Sanader,9) der im Jänner 2010 aus der HDZ ausgeschlossen wurde. Vor Gericht musste sich Sanader unter anderem wegen Provisionsannahme bei der Vermittlung eines Kredits durch die Hypo-Alpe-Adria-Bank vor Gericht verantworten.

      Der Fall Sanader und Sanaders Fall hatten große Symbolkraft, sie hätten aber für den Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen natürlich nicht ausgereicht. Dazu waren gerade im Justizwesen umfassende Reformen erforderlich, die zwar erst zu wirken beginnen, die aber trotzdem eine große politische Leistung darstellen. Dazu sagt die kroatische Außenministerin Vesna Pusić:10) „Es gibt wohl kein zu verhandelndes Kapitel, bei dem es derart dramatische Änderungen gibt wie in der Justiz. Beispiel: Die politische Mehrheit hat nicht mehr das Recht, das Gremium zu wählen, das Richter ernennt und befördert. Sieben Richter werden von allen Richtern Kroatiens in geheimer Abstimmung gewählt; hinzu kommen zwei Rechtsprofessoren, die von allen Professoren Kroatiens ebenfalls in geheimer Abstimmung gewählt werden, und zwei Abgeordnete des Parlaments. Einer ist aus dem Kreis der Regierungsparteien, einen stellt die Opposition. Für sie alle ist gesetzlich genau vorgeschrieben, wie die Richterkandidaten zu bewerten sind.“ Massiv gestärkt wurde auch die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften, sodass sich Kroatien mit seiner gesetzlichen Regelung auch im Vergleich zu Österreich und anderen EU-Staaten durchaus messen kann, was die Gesetzeslage betrifft. Jadranka Kosor wiederum nennt folgende Beispiele für ihren Kampf gegen die Korruption: „Dazu zählt das Gesetz zur Verhinderung von Interessenkonflikten, das Beamte betrifft. Ich war für ein sehr rigoroses Gesetz, und so wurde bei Ministern, Abgeordneten und Beamten sogar eine Konten-Öffnung möglich, sollte es Verdachtsmomente geben. Es ist auch nachzuweisen, woher das Geld stammt. Hinzu kommen die Gesetze über die Parteienfinanzierung und über die Enteignung von Vermögen, das durch Korruption erworben wurde. Außerdem haben wir 2010 in der Verfassung verankert, dass Kriegsgewinnlertum und kriminelle Privatisierungen nicht verjähren. All diese Gesetze haben Kroatien verändert.“

      Kosor wollte die EU-Gespräche unbedingt noch vor der herannahenden Parlamentswahl abschließen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden. Ihre Anstrengungen wurden von Brüssel honoriert: Am 30. Juni 2011 konnte Kroatien die Beitrittsverhandlungen abschließen, im Dezember bestätigte der Europäische Rat den positiven Abschluss, und im Jänner 2012 stimmte eine Mehrheit der Kroaten beim Referendum für den Beitritt.11)

      Ihre Anstrenungen wurden von Brüssel honoriert: Jadranka Kosor bei ihrer Wahl zur Parteivorsitzenden der HDZ im Juni 2011

      Wie sieht nun die Bilanz der Beitrittsverhandlungen aus? Wie sehr haben sie Kroatien verändert und wie sehr ist das Land wirklich reif für die Mitgliedschaft in der EU? Um diese drei Fragen zu beantworten, muss man sich zunächst die Ausgangslage klar machen, die im Fall der kroatischen Verhandlungen und des darauf folgenden Beitritts eine ganz andere war als bei den Beitrittsprozessen davor. Der größte Unterschied zu allen vorangegangenen Erweiterungsrunden besteht zuallererst darin, dass der Beitritt Kroatiens zu einem Zeitpunkt erfolgte, an dem die EU und Kroatien in einer tiefen Krise stecken. Zweitens ist Kroatien nach Griechenland erst die zweite Aufnahme eines einzelnen Staates – also nicht im Verband mit anderen Staaten – in die EU. Doch Griechenland trat mit 1. Jänner 1981 der EWG bei, die damals eine ganz andere Organisation war als die EU, mit der Kroatien verhandelte. Die Unterschiede zu den Erweiterungsrunden der Jahre 2004 und 2007 sind groß. Die Aufnahme von zehn Staaten auf einen Schlag im Jahr 2004 bedeutete gleichsam das Ende des Kalten Krieges in Europa. Beim Beitritt Bulgariens und Rumäniens dominierten wohl geopolitische Gründe, wobei es bereits 2007 beträchtliche Kritik an der mangelnden EU-Reife dieser Länder gab (Korruption, Justizwesen), die in den Folgejahren nicht abnahm. Die EU lernte aus diesen Fehlern und in diesem Sinn zahlte Kroatien den Preis dafür, dass es der „Nachzügler“ dieser zwölf Staaten war, die den Weg in die EU geschafft hatten. Diese Position hatte mehrere Konsequenzen: Mit 27 Staaten sind Verhandlungen zwangsläufig komplizierter als mit 15, Kroatien trug die Last des Zerfalls des ehemaligen Jugoslawiens, zum ersten Mal gab es das besondere Kapitel Justiz, und zum ersten Mal gab es das sogenannte Benchmark-Verfahren. Benchmark lässt sich nicht ganz treffend mit dem Wort „Richtwert“ übersetzen, und das Verfahren bedeutete, dass Kroatien vor der Eröffnung und der Schließung eines Verhandlungskapitels konkrete Maßnahmen erfüllen musste, und zwar etwa 400 an der Zahl. Diese Form der Verhandlung bedeutet, dass Kroatien bei der Umsetzung des Rechtsbestandes der EU insgesamt wohl weit besser auf den Beitritt vorbreitet war als so manche Länder der Jahre 2004, von Bulgarien und Rumänien ganz zu schweigen.

      Modernisierungsdruck durch die EU

      Generell bedeutet der Beitritt zur Europäischen Union eine enorme Herausforderung für die Modernisierung eines Landes, das seine Gesetzgebung an das Brüsseler Regelwerk anpassen muss. Zwischen 2008 und 2010 soll Kroatien etwa 1.200 Gesetze verabschiedet haben, deren Implementierung durch die Verwaltung wohl noch ihre Zeit brauchen wird.12) Dasselbe gilt für die Modernisierung der Justiz, und daher klagen etwa österreichische Firmen nach wie vor darüber, dass Verfahren vier oder fünf Jahre dauern und dass bei Arbeitsgerichtsprozessen auch in eindeutigen Fällen in erster Instanz oft zugunsten des klagenden Arbeitnehmers entschieden wird. Nach wie vor ein Problem ist natürlich die Korruption, die allerdings nicht mehr so offen in Erscheinung tritt, wie der österreichische Handelsdelegierte in Agram, Roman Rauch, betont: „Was ich in vier Jahren erlebt habe, ist, dass die Offensichtlichkeit, mit der die Hand aufgehalten worden ist, weitgehend verschwunden ist. Aber was es natürlich weiterhin gibt, ist das, was ich, stille Korruption‘ nenne, wo schwer zu unterscheiden ist, ob es sich jetzt um Unfähigkeit, Unwillen oder Warten auf irgendwelche Hilfsmittel handelt. Sprich:, Ich warte auf Entscheidungen, ich brauche dringend Genehmigungen, habe schon investiert, die Bagger sind schon aufgefahren, aber die Entscheidungen kommen einfach nicht.‘ Für mich ist das doch noch ein Zeichen, dass man darauf wartet, mit Hilfe von Transfers etwas zu beschleunigen, nur halt nicht mehr so offensichtlich wie in der Vergangenheit.“

      Von der Legislative, der Justiz und der Verwaltung abgesehen erzwang der EU-Beitritt eine Modernisierung der gesamten Gesellschaft, die von der Bildung neuer Institutionen bis hin zur Anpassung der Betriebe an die EU-Standards reicht. Dazu zählt der mit österreichischer Unterstützung erfolgte Aufbau einer Zahlstelle, die die EU-Förderungen an die Bauern überwacht. Dazu braucht man ein Satellitensystem, Landkarten, ein Identifikationssystem, damit man die Landflächen bestimmen kann, auf denen jeder Bauer sein Feld hat und was er dort anbaut sowie ob die Angabe, die am Förderformular gemacht wurde, mit dem übereinstimmt, was tatsächlich auf dem Acker wächst, um Förderbetrug so weit wie möglich zu verhindern. Mit fünf bis sechs Hektar sind viele bäuerliche Betriebe in Kroatien aber zu klein, um dem Wettbewerb in der EU standhalten zu können. Hinzu kommt das Fehlen einer starken Landwirtschaftskammer, die beim Ausfüllen von Förderanträgen helfen könnte. Ein Manko, dessen Folgen der österreichische Landwirtschaftsattaché in Kroatien, Christian Brawentz, so beschreibt: „Das ist auch eine der großen Sorgen bei der Umsetzung der Fördermöglichkeiten der EU in Kroatien. Die vielen kleinen Bauern, die es hier gibt, werden mit der EU-Bürokratie und mit dem Wissen, das dafür nötig ist, einen Antrag auszufüllen, wahrscheinlich nur schwer zurande kommen. Dazu ist zu sagen, dass die kroatischen Bauern im Vergleich zu anderen Bevölkerungsschichten relativ wenig höhere Bildung haben. Wir reden da von unter drei Prozent der Bauern, die eine entsprechende Universität oder fachliche Schulen absolviert haben. Die Förderanträge für die Union sind komplex. Auch in Österreich ist es so, dass hier Profis den Leuten zur Hand gehen, deshalb ist es fraglich, ob Kroatien vom EU-Beitritt auf dem landwirtschaftlichen Sektor