Bruno Buchberger

Mathematik – Management – Meditation


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Algorithmus kompakt und mit einem besser strukturierten und sehr detaillierten Beweis noch einmal darstellte. Diese Arbeit wurde dann im Bulletin der „Special Interest Group for Symbolic and Algebraic Computation“, der (US) Association for Computing Machinery, sofort veröffentlicht. Und ab da war meine algorithmische Theorie in aller Munde und wurde in vielen Forschungsgruppen weltweit weiter bearbeitet, in verschiedener Hinsicht verbessert, verallgemeinert und andererseits auch spezialisiert und vor allem in allen modernen mathematischen Softwaresystemen (die damals gerade im Entstehen waren) implementiert.

      Und wie kam dann „Gröbner“ in den Namen der „Gröbner-Basen“?

      Als ich die neue Arbeit über meine Theorie schrieb, habe ich spontan entschieden, die wesentlichen mathematischen Objekte, um die es in meiner Theorie geht, mit dem Namen meines akademischen Lehrers zu versehen. In dieser Arbeit 1976 habe ich also den Namen „Gröbner-Basen“ eingeführt. Diese Widmung meiner Arbeit an Gröbner war zwar eine Augenblickseingebung, aber aus einem ganz tiefen Verständnis heraus: Die Erfindung hatte ich mit 23 Jahren gemacht und ich hatte mich damals von Gröbner schlecht behandelt gefühlt und war frustriert gewesen, weil er mein Ergebnis nicht beachtet und mich in keiner Weise motiviert hatte, in diesem Gebiet weiterzumachen. Im Jahr 1976 war ich 34 und inzwischen selbst schon Professor (an der Johannes Kepler Universität Linz). In diesem Augenblick, wo die Aufmerksamkeit der internationalen Research Community plötzlich auf meiner Lösung des Problems lag, das mir Gröbner für meine Dissertation gestellt hatte, ist mir eines ganz klar geworden: Das größte Geschenk, das ein Lehrer seinem Schüler machen kann, ist, ihm ein tolles Problem zu schenken!

      Gröbner hat mir zwar während meiner Dissertantenzeit keine „Streicheleinheiten“ zukommen lassen oder Hilfen für meine Karriere etc. gegeben. Aber er hat mir ein Problem geschenkt – und zwar eines, von dem er wusste, dass es wichtig und schwierig war! Noch dazu eines, an dem er selbst schon 25 Jahre gearbeitet hatte. Er war damals 65 Jahre alt, hatte einen ungeheuren Überblick über die Mathematik und in vielen wichtigen Bereichen selbst gearbeitet. Ich verstand 1976 auf einmal, dass Gröbner mir in der Stunde, in welcher er in seinem Seminar das Problem erklärt, und in der halben Stunde nach dem Seminar, als er zugestimmt hat, dass ich das Problem als mein Dissertationsthema nehmen darf, ein ungeheures Geschenk gemacht hatte. Wie ein Vermächtnis eines wesentlichen Teils seines intensiven Forscherlebens! Ich war in dem Augenblick, als ich 1976 die neue englische Arbeit schrieb, völlig überzeugt, dass die Einführung des Namens „Gröbner-Basen“ für meine Erfindung die angemessene Geste wäre, das geistige Geschenk des Problems, das mir Gröbner 1964 gemacht hatte, zu würdigen.

      Also ein geistiges Geschenk in Form eines Problems statt einer Lösung. Hat Professor Gröbner noch erfahren, dass Ihre Theorie der „Gröbner-Basen“ internationale Anerkennung findet?

      In gewisser Weise schon. Das war dann fast schon wieder lustig: Ich hatte die neue Arbeit, in welcher ich die mathematischen Objekte, die ich 1965 eingeführt hatte, „Gröbner-Basen“ nannte, 1976 an Professor Gröbner geschickt und erwähnt, dass sich die Leute nun weltweit dafür interessierten. Da schrieb er mir in seiner wunderbaren Handschrift zurück, dass er sich darüber sehr freue, er mich dazu beglückwünsche – und dass er meine Arbeit einem Assistenten zum Lesen gegeben habe! Also back to the roots! Ich kam mir wieder vor wie der Student im Jahre 1965. Aber es war trotzdem ein sehr schönes Gefühl. Ich hatte den Kreis geschlossen und ihm ein Denkmal gesetzt, das er in jeder Hinsicht verdiente.

      Nicht nur wegen des „Problemgeschenks“, das er mir persönlich gemacht hat. Sondern für sein einmaliges wissenschaftliches Lebenswerk: Er war einer der wenigen, die die drei wesentlichen mathematischen Sichtweisen „Algebra“, „Geometrie“ und „Analysis“ in seinem Kopf, in seiner Forschung und auch in seiner Lehre vereinigt hat. Keiner seiner Schüler (von denen viele Professoren an verschiedensten Universitäten weltweit geworden sind) hat diesen Überblick je wieder erreicht. Möglicherweise tue ich damit aber meinen „Kommilitonen“ unrecht: Vielleicht haben manche von ihnen wieder diesen Überblick und noch mehr. Mir selbst ist dieser Überblick nie gelungen. Meine Herangehensweise ist anders: Ich habe immer versucht und versuche, Mathematik, Logik und „Computerei“ in meinem Kopf zusammenzuhaben und in ihren Interaktionen zu verstehen und zu beleben. Die Breite innerhalb der Mathematik ist mir nicht gelungen.

      Seine Forschung war umfassend und immer mit der Lehre verbunden. Er hat bedeutende neue Arbeiten mit großartigen Einsichten und Ideen, aber auch zahlreiche Lehrbücher geschrieben. Seine Vorlesungen waren vorbildhaft. Man hätte die Tafeln mit seiner Handschrift kopieren können und hätte das als Lehrbuch verwenden können. Er war aber auch ein Vorkämpfer für die Freiheit des Denkens. Seine abendlichen Seminare zu „Grenzfragen“ zogen Professoren und Studenten aus allen Wissensgebieten an. Es ging oft sehr heiß her. Für mich persönlich waren diese Seminare ein wichtiger Impuls, mich geistig zu befreien, kritisch gegenüber „allein selig machenden“ Ideologien zu werden, das Leben zu erfahren und selbst zu deuten und auch ohne ideologischen Sicherheitsgurt engagiert für die Gesellschaft zu arbeiten. Gröbners Freidenkertum brachte ihm in der damaligen Tiroler und österreichischen Gesellschaft spürbaren Gegenwind bis hin zur Androhung der Entziehung der Lehrbefugnis durch gewisse konservative Kreise und bis hin zu persönlichen Nachteilen, indem ihm akademische Ehren, die ihm schon längst zugestanden wären, nicht zuerkannt wurden. Das hat er mit größter Gelassenheit zur Kenntnis genommen.

      Wolfgang Gröbner verdient ein Denkmal und ich bin froh, dass ich dazu beitragen durfte, ihn unvergesslich zu machen. Er starb 1980 im Alter von 81 Jahren. Zu seinem 100. Geburtstag 1999 veranstalteten seine Schüler, die von nah und fern anreisten, eine Gedenkfeier. In deren Vorbereitung wurde auch im Internet über Gröbner recherchiert und da kommt sein Name überwiegend im Zusammenhang mit den „Gröbner-Basen“ vor. Das war für mich eine tiefe Freude.

      Die Kritik des deutschen Kollegen war eigentlich harsch, aber doch sehr entscheidend für den Durchbruch, Ihre Theorie und Methode der Gröbner-Basen bekannt zu machen. Wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn Sie damals nicht zufällig bei Ihrem Vortrag in Kaiserslautern mit dieser Kritik konfrontiert worden wären?

      „Was wäre, wenn …“ ist immer sehr schwer zu beantworten.

      Da die Probleme, die mit Gröbner-Basen behandelt werden können, doch sehr grundlegend sind, wäre ich wahrscheinlich früher oder später darauf gekommen, dass sich Leute nun mit diesen Fragen befassen, und ich hätte mich einbringen und sagen können, dass ich diese Probleme mit meiner Methode lösen kann.

      In der Tat hat es schon einige Monate vor meinem Vortrag in Deutschland einen Kontakt von Wolfgang Trinks von der Universität Kaiserslautern gegeben, der einen Masterstudenten auf die Implementierung meiner Gröbner-Basen-Methode angesetzt hatte und selbst eine sehr schöne Darstellung meiner Arbeit aus einem allgemeineren Blickwinkel geschrieben hatte. Das Interesse war aber weniger kämpferisch vorgetragen und die Relevanz für die entstehende Welt der mathematischen Softwaresysteme kam nicht heraus! Dementsprechend war ich durch diesen Impuls noch nicht motiviert, mich wieder mit den Gröbner-Basen zu befassen und mein damaliges Forschungsgebiet hintanzustellen.

      Oder es wäre so etwas wie die Gröbner-Basen irgendwann von jemandem anderen erfunden worden. Das ist sehr schwer zu sagen, denn immerhin war das Problem ja vorher – seit 1899 – offen gewesen.

      Seine Kritik an meinem damaligen Forschungsgebiet („Schon der Titel Ihres Vortrags ist unsinnig“) hat sich aber als falsch erwiesen. Denn circa seit