der Bischof in Begleitung zweier Personen das Haus verlassen. Sie hatten ihn auf dem Weg zum Wagen gestützt, er hatte völlig aufgelöst, desorientiert, verzweifelt gewirkt und war körperlich ausgelaugt gewesen. Mehr als überarbeitet. Giuseppe hatte sich um seinen Bischof gekümmert und ihm in den Wagen geholfen.
Was genau Eposito in so erbärmliche Verfassung gebracht hatte, das wusste er bis heute nicht. Bei aller Vertrautheit – Kirchenangelegenheiten gingen ihn als Fahrer nichts an. Darüber wurde nicht gesprochen. Aber seit diesem verdammten nächtlichen Ereignis in den frühen Morgenstunden des 20. August war Eposito nicht mehr der Alte. Es wurde Zeit, wieder nach Italien zurückzukehren.
„Was ist dein Eindruck von Bamberg?“ Max Müller, der andere Chauffeur, riss Giuseppe aus seinen Gedanken.
„Mi scusi?“
„Bamberg schee?“, kürzte Müller seine Frage ab.
„Bamberg Bier gut“, antwortete Giuseppe und wollte spontan auch auf das Schäufele zu sprechen kommen. „Du Sssäufala?“, drückte er sich ungeschickt aus.
Dem Oberfranken fiel sichtlich die Kinnlade herunter. So eine Unverschämtheit! „Naa, i trink nix, wenn i mitn Auto unterwegs bin“, blaffte er Giuseppe beleidigt an und zog dabei ein griesgrämiges Gesicht. Für ihn war die Kommunikation mit dem italienischen aufgestellten Mäusedreck vorbei.
*
Drinnen in der Bibliothek der Villa herrschte seit längerer Zeit schweres Schweigen. Der römische Kurienbischof und der Vorsitzende des einheimischen Diözesanrats starrten auf den blank geputzten Tisch, auf dem zwei leere Kaffeetassen standen. Die beiden Männer waren allein im Haus, der Hausverwalter war in der Stadt unterwegs.
Die Stimmung der ernst dreinsehenden Männer war an einem Tiefpunkt angelangt. Was es zu bereden gegeben hatte, war in den beiden letzten Stunden längst gesagt worden. Es gab nichts Neues hinzuzufügen und dennoch ergriff der Bischof noch einmal mit leidvoller, leiser Stimme auf Italienisch das Wort: „Das ist mir wirklich noch nie passiert, seit ich im Namen von Santi-Figli-di-Dio Exorzismen abhalte“, wiederholte er sich. Er konnte das Unglück noch immer nicht fassen. „Der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe. Die Kleine war so stark von ihm besessen, dass mir die Kontrolle entglitt. Sie schlug um sich, hatte blutunterlaufene Augen und diese höllische Fratze … Sie griff mich an, kratzte mich am Hals, spuckte mich an und dann dieses Geschrei … dieses furchtbare Geschrei … Es klang, als ob der Leibhaftige selbst mich aus den tiefsten Winkeln der Hölle anschrie. Ich konnte nicht anders, ich musste das Böse besiegen. Ich habe zugedrückt. Fester, immer fester …“ Die Stimme des Bischofs verlor sich, seine Augen waren weit vom Schrecken der Erinnerung. „Als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, rührte sie sich nicht mehr. Sie lag einfach nur da. Ich wollte das nicht. Satan war es, der mich dazu verleitet hat. Warum hast du mich nicht rechtzeitig von dem Mädchen weggerissen?“
„Carlo, darüber haben wir doch schon etliche Male gesprochen. Johannes und ich mussten uns im Wohnzimmer um diese zwei Idioten kümmern. Als ich deine Schreie hörte, ins Zimmer stürzte und dich von der Kleinen wegzog, war es bereits zu spät.“
„Es wäre besser gewesen, ich hätte abgelehnt. Egal, wer mich darum gebeten hat. Gütiger Gott, was soll ich bloß tun? Vergib mir meine Tat, oh Herr!“ Als er geendet hatte, sank Kurienbischof Eposito in dem großen ledernen Ohrensessel in sich zusammen und starrte weiter schweigend ins Leere.
Café am Dom
Sonntag, 27. August
Etwa zur gleichen Zeit nahmen Franziska Berger und Tina Meisel im kleinen Außenbereich des Domcafés ihre reservierten Plätze ein. Alle Stühle waren besetzt, wie fast immer an solch herrlichen Sonnentagen. Die Gäste schnatterten munter durcheinander, genossen ihre Kaffees mit leichten Quarkschnitten oder appetitlich zubereiteten Eisbechern. In der kleinen Ringleinsgasse, die vorbeiführte, wälzten sich die Touristen bergab und bergauf. Die einen wollten hinunter in die Dominikanerstraße, wo sie direkt auf das Bamberger Kultgasthaus Schlenkerla stießen, wo das besondere Rauchbier, bekannt für seinen an geräucherten Schinken erinnernden Geschmack, ausgeschenkt wird. Die anderen, die es die Ringleinsgasse hinauf in Richtung Karolinenstraße trieb, hatten von dort nur noch einen kurzen Weg zum Kaiserdom, zur Alten Hofhaltung oder zur Neuen Residenz mit ihrem bekannten Rosengarten, von wo man einen herrlichen Blick auf das ehemalige Kloster St. Michael genoss. Doch nicht nur Touristen füllten die Altstadt. Tausende von Bambergern ließen sich die Freude an ihrer abgesagten Sandkerwa nicht nehmen und durchstreiften in Feierlaune die engen Gassen.
Tina und Franziska indessen hatten eher Interesse an der reichhaltigen Karte des Cafés am Dom, in dem nach traditioneller Handwerkskunst gefertigte Spezialitäten offeriert wurden: frische und hausgemachte Kuchen und Torten, feine Pralinen, Sahnetrüffel und andere Leckereien; alles, was die Augen gerne aufnahmen, was der Zunge und dem Gaumen schmeckte und sich wohlig im Magen anfühlte. Seit ihrer gemeinsamen Schulzeit hatten sich die beiden Frauen nicht mehr gesehen, obwohl sie doch in derselben Stadt wohnten. Damals waren sie beide gerade 20 gewesen, als sie am E.T.A Hoffmann-Gymnasium ihr Abitur gemeistert hatten. Rund neun Jahre waren seitdem vergangen, aber sie fühlten sich nach nur wenigen ersten holprigen Fragen schnell wieder verbunden.
Tina erzählte gerade, wie sie nach dem Abi erst einmal um die halbe Welt gereist war – vom Papa finanziert –, bevor sie sich an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen für ein Jurastudium eingeschrieben hatte. Franziska hatte niemanden gehabt, der ihr das Reisen hätte finanzieren können. Also hatte sie nach dem Abi für ein paar Monate bei einer örtlichen Supermarktkette gejobbt, Kartons geschleppt und Paletten gefahren, die Packstücke im Zentrallager eingeordnet oder in den riesigen Kühlraum gebracht. Ihr schwer verdientes Geld hatte sie gespart, bevor sie sich für das Herbstsemester an der örtlichen Otto-Friedrich-Universität eingeschrieben und sich fortan mit Medienkultur, Gesellschaftswissenschaften, Informationstechnik und Aspekten der Kommunikationspolitik auseinandergesetzt hatte. Als sie ihren Bachelor in Kommunikationswissenschaften in der Tasche gehabt hatte, war der Bewerbung bei der Mediengruppe Oberfranken in der Gutenbergstraße 1 nichts mehr im Weg gestanden. Vor zwei Jahren hatte sie sich sogar an die Finanzierung ihrer Eigentumswohnung Am Hollergraben gewagt.
„Und du hast zwischenzeitlich tatsächlich den Weg zum gehobenen Polizeiverzugsdienst eingeschlagen?“, wollte Franziska jetzt von ihrer ehemaligen Mitschülerin wissen.
„Ja und ich hab es bis heute nicht bereut. Wenn schon nicht Anwalt, dann zumindest ein Job, bei dem es auch um Recht und Gerechtigkeit geht. Wir haben ein gutes, kollegiales Team und ich fühle mich dort wohl.“ Tina klang überzeugt und aufrichtig. Die Arbeit bei der Kripo schien ihr wirklich enormen Spaß zu machen.
Franziska erinnerte sich an die gemeinsame Schulzeit. Tina Meisel hatte damals schon als unbedingt zuverlässig gegolten, was sie versprach, das hielt sie auch. Ihr roter Lockenkopf und die kecken Sommersprossen um die kleine Stupsnase herum waren es, die ihr zu ihrem damaligen Spitznamen Pumuckl verholfen hatten.
„Erzähl“, forderte Franziska sie jetzt auf. „So einfach kommt man doch nicht an eine Position wie die deine. Da war der Weg doch sicher hart?“
„Ach, da gibt es gar nicht so viel zu erzählen. Mit dem Abi in der Tasche war ich ja fast ein Jahr in der Welt unterwegs. Neuseeland, Australien, Japan, Thailand, Singapur, Bali und Indien. Nach vier Semestern Jura hab ich einfach keinen Sinn mehr gesehen und hingeschmissen. Alles viel zu weit weg vom echten Leben. Also Bewerbung bei der Kripo Bamberg. Eingestellt: als Kriminalkommissar-Anwärterin – das geht, wenn man Abi hat. Ansonsten muss man erst noch durch die harte Schule mit Streifendienst und Co. Die nächsten drei Jahre war ich an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Bachelorstudium. Zurück in Bamberg hab ich dann Bernd kennengelernt, war unheimlich verliebt, bis ich vor vier Wochen mitbekommen hab, dass er auch anderswo rumvögelt.“
„Und dann gleich die Trennung?“
„Na klar. Die andere hat den Trottel echt verdient.“
„Sicher wahr“, nickte Franziska. „Trotzdem klingt das ganz schön abgebrüht nach nur einem