Miriam Rademacher

Die Farben des Mörders


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Herbststürme brausten.

      »Ich verstehe das nicht«, fauchte Lucy und hämmerte auf der Tastatur des Laptops herum. Eines Laptops, das Colin an diesem Abend zum ersten Mal auf seinem Esstisch stehen sah.

      »Ich verstehe das auch nicht. Wo hast du denn jetzt plötzlich ein Laptop her?«

      »Von Mrs Grey«, antwortete Lucy und schob die Zungenspitze zwischen die Lippen, während ihre Nase gleichzeitig dem Bildschirm immer näherkam.

      »Und warum laufe ich immer zu Jasper, wenn ich ins Internet will?«

      Lucy zuckte die Achseln und klimperte mit den Wimpern. Sie war reizend. Das entzückendste Wesen, das je in seinem Leben die Regie übernommen hatte, fand Colin. Warum konnte sie sich nicht auf seinem Bettüberwurf räkeln, anstatt das Internet zu durchforsten?

      »Mrs Grey hat also ein Laptop? Erstaunlich.«

      »Sie hat auch ein Auto und eine Kaffeemaschine. Sie ist einfach göttlich. Ich verstehe gar nicht, warum ich mich in dich und nicht in sie verliebt habe«, erwiderte Lucy. »Und das hier verstehe ich wirklich absolut nicht.« Sie deutete auf den Monitor.

      Colin zuckte die Achseln und ließ sich in seinen Lieblingssessel fallen. Huey kletterte träge auf seinen Schoß. »Frag mich bloß nicht nach irgendwelchen technischen Raffinessen. Ich bin froh, wenn sich so ein Ding von mir einschalten lässt.«

      »Das kann jeder. Auch du. Du willst nur nicht. Mit dem richtigen Programm könntest du deine zerkratzten CDs verschrotten und deine Tanzmusik vom Computer abspielen. Das ist gar nicht so schwer. Das Rätsel ist ja auch gar nicht das Laptop als solches, sondern die Informationen, die es mir über Christine Humblebee liefert.«

      »Welche Informationen denn?«, fragte Colin interessiert und lehnte sich im Sessel vor.

      »Gar keine. Das ist es ja.«

      Colin sank zurück in den Sessel. Dieser Tag schien für ihn kein Ende nehmen zu wollen. Erst die Leiche im Kompost, dann die Diskussionsrunde im Lost Anchor und nun verfolgte ihn diese Geschichte auch noch bis in seinen Sessel. Lucy würde sich an ihrer Aufgabe festbeißen und noch Stunden vor dem Bildschirm zubringen. Was für ein Abend für einen Tag wie diesen. Um wie viel besser wäre jetzt menschliche Nähe und traute Zweisamkeit. Aber das stand wohl nicht zur Debatte. »Dann hat Christine Humblebee eben keine Spuren im Internet hinterlassen. Die Frau war über siebzig! Gut zwanzig Jahre älter als ich. Ich wette, mich kann man auch nicht googeln. Wie sollte ich dort auch hineingekommen sein?«

      Statt einer Antwort tippte Lucy rasch eine Reihe Buchstaben in die Tastatur und nur Sekunden später strahlte sie ihn über das Laptop hinweg an. »Ihre Suche nach Colin Duffot ergab siebzehn Einträge. Du hast mal in Blackpool ein Turnier getanzt? Wie aufregend.«

      »Fast jeder Engländer, der zwei Beine sein eigen nennt, hat mal in Blackpool ein Turnier getanzt. Was steht denn da noch so über mich?«

      »Deine letzte Telefonnummer in London, die Namen einiger Londoner Tanzschulen, die mir nichts sagen, eben das Übliche. Und das ist es ja eben, was mich stutzig macht. Christine Humblebee hat nicht einmal diese Art von Spuren hinterlassen. Es taucht keine Adresse auf, keine Telefonnummer gar nichts.«

      »Vielleicht hatte sie eine Geheimnummer.«

      »Und sie war auch in keinem Sportverein, hat nirgendwo gearbeitet und sich auch sonst nirgendwo engagiert? Wer war diese Frau? Eine Unsichtbare?«

      »Wenn du in diesem Wunderwerk der modernen Technik nichts über Christine Humblebee findest, gehen wir auf altbewährte Weise vor und fragen die alten Leute in Hodge House aus. Komm, lass uns ins Bett gehen. Mein Tag war fürchterlich. Nur du kannst ihn noch retten.«

      »Aber du hast erst Freitag wieder Tanzkurs dort! So lange können wir unmöglich warten!«, fauchte Lucy und hackte wütend auf die Tastatur ein. »Die Informationen sind irgendwo hier drinnen und ich werde sie finden.«

      Colin erhob sich schwerfällig aus dem Sessel und stellte sich dicht hinter Lucy. Sanft blies er ihr seinen warmen Atem in den Nacken. »Lass es gut sein, Lucy. Ich verspreche dir auch, dass ich gleich morgen früh bei Mrs Halligan anrufe und ihr anbiete, die ausgefallene Stunde am Abend nachzuholen. Aber bitte mach jetzt Schluss damit. Ich kann nicht mehr.«

      Sein Flehen wurde erhört. Lucy klappte den Deckel des Laptops zu, doch sie blieb nachdenklich und wortkarg. Colin beobachtete sie dabei, wie sie ihre Ohrringe abnahm und in den Kühlschrank legte. Er sagte nichts. Er freute sich nur jetzt schon auf ihr überraschtes Gesicht, wenn sie morgen ihren Ohrschmuck neben der Butter fände.

      Erst als sie gemeinsam in dem viel zu schmalen Bett lagen, fand Lucy ihre Sprache wieder. »Mein Vater hat uns für Sonntag zum Tee eingeladen. Er will dich endlich kennenlernen.«

      Lucys Familie war das einzig wirklich Unattraktive an ihr. Ihre Brüder waren unangenehme Zeitgenossen, die sich zur Leibgarde ihrer kleinen Schwester aufgeschwungen hatten. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Colin einiges einstecken müssen. Erst seit die Brüder in dem Glauben lebten, Lucy erwarte ein Kind von Colin, sahen sie von Handgreiflichkeiten ihm gegenüber ab. Über den Vater dieser reizenden Bande wusste Colin so gut wie nichts, einem Besuch war er aber in den letzten Monaten konsequent aus dem Wege gegangen. Ewig ließ sich das nun aber wohl nicht mehr aufschieben.

      »Du sagst ja gar nichts.«

      Colin räusperte sich. »Werden deine Brüder auch dort sein?«

      »Möglich. Du hast doch nicht etwa Angst vor ihnen?«

      »Ich weiß noch nicht. Denken sie noch immer, dass du schwanger bist?«

      »Ach ja, richtig!« Lucy schlug sich vor die Stirn. »Ich sollte unser Scheinbaby vielleicht mal so langsam verlieren, sonst muss ich noch mit einem Sofakissen unter der Bluse durch den Winter laufen.«

      »Schade eigentlich. Ich hatte mich an das Kind gewöhnt.« Auch wenn er Lucys Lüge zunächst abgelehnt hatte, so hatte sie doch ihren Zweck erfüllt.

      »Wir erfinden eine neue Schwangerschaft für sie. Dieses Mal vielleicht ein Mädchen. Das weckt ihre Beschützerinstinkte. Und im nächsten Sommer servieren wir ihnen Zwillinge. Vielleicht kann ich mir irgendwo ein Ultraschallfoto leihen. Das könnten wir noch eine ganze Weile durchhalten«, erklärte Lucy gähnend. Wenige Minuten später war sie in seinen Armen eingeschlafen. Colin allerdings starrte, beeindruckt von ihrer Skrupellosigkeit, noch lange schlaflos in die Dunkelheit und fragte sich, wann sein Leben eigentlich so kompliziert geworden war.

      Marineblau

      »Fassen wir uns alle an den Händen und starten mit dem rechten Fuß in Richtung Mitte«, rief Colin.

      Auf Blumen und Kerzen in besagter Mitte hatte er an diesem Abend verzichtet. Stattdessen markierte ein Strohhut von Lucy die Mitte der Halle. Die Heimleiterin hatte seinem Vorschlag, die ausgefallene Stunde schon vierundzwanzig Stunden später nachzuholen, sofort zugestimmt. Und auch Jasper war auf den fahrenden Zug aufgesprungen und gab gerade seine Malstunde im gegenüberliegenden Raum. Versammelt waren all diejenigen, die gestern auf ihre Tanzstunde hatten verzichten müssen, sowie eine Inderin, die Colin auf seiner Liste nicht hatte finden können. Er ging davon aus, dass es sich bei ihr um Normas ehemalige Patientin handelte, von der am Vorabend die Rede gewesen war. Einige Gesichter kannte er von vorangegangenen Stunden, andere nicht. Aber das machte nichts. Die Stunden bauten kaum aufeinander auf, und die Schrittfolgen waren so einfach, dass selbst ein Blinder mit Holzbein innerhalb weniger Minuten zurechtkam.

      Colins Recherchen zum Thema Tanz als Therapie, die er größtenteils von Jaspers Laptop aus geführt hatte, hatten ein recht bizarres Bild gezeichnet. Angefangen bei völlig freien Improvisationen, die mehr den Stammesriten frisch entdeckter Naturvölker glichen als dem ihm vertrauten Gesellschaftstanz, bis hin zu den anspruchslosen Kreistänzen, für die Colin sich entschieden hatte. Die Kreistänze hatten für Colin einen Vorteil, der gleichzeitig auch ihr Nachteil war: Ihre Erfinder hatten sich schamlos an den Basisfiguren