Miriam Rademacher

Die Farben des Mörders


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irgendeine ehrenamtliche Aufgabe in Hodge House übernehmen?«

      »Es gibt keine Ermittlungen unsererseits. Ich bin Tanzlehrer und kein Detektiv«, hörte Colin sich selbst zum soundsovielten Male sagen. »Wir überlassen dieses Mal einfach alles der Polizei.«

      Jasper widersprach ihm entschieden: »Natürlich gibt es Ermittlungen! Wie könnten wir nicht ermitteln, wo du doch schon wieder über eine Leiche gestolpert bist? Du hast Dieber doch gehört: Rein objektiv betrachtet bist du der Hauptverdächtige, denn Leichen pflastern deinen Weg. Wir müssen dich von diesem Verdacht reinwaschen.«

      »Ach, die Masche zieht doch nicht mehr, Jasper. Niemand, der seine Sinne beisammenhat, würde mich für den Mörder halten. Die Tote lag schon monatelang unter dem Rasenschnitt. Und ich habe beim Fall des Bratenthermometermörders den Dorfbewohnern doch wohl hinlänglich bewiesen, dass ich zu den Guten gehöre.«

      »Auch die Guten können zu Mördern werden. Es kommt nur auf das Motiv an«, orakelte Jasper.

      »Wenn ich dir sage, dass ich dich für den Mörder halte, ermitteln wir dann?«, fragte Lucy und klimperte aufreizend mit den Wimpern.

      Colin spürte, dass die Entscheidung seiner Freunde längst gefallen war und er gegen Windmühlen kämpfte. Er stöhnte ein letztes Mal theatralisch auf und ließ die Gabel sinken. »Also schön. Ermitteln wir ein bisschen. Aber wenn wir nicht weiterkommen, dann geben wir auf. Was haben wir bisher?«

      »Hurra! Gute Entscheidung, mein Freund!«, rief Jasper und prostete ihm zu. »Wir haben einen Namen. Christine Humblebee. Und deine Beobachtungen am Tatort.«

      Colin schüttelte sich bei der Erinnerung an die Hand, deren faulende Finger er für Wurzeln gehalten hatte.

      »Das ist ein sehr ungewöhnlicher Name. Ich könnte im Internet recherchieren, ob ich etwas über sie herausfinde«, schlug Lucy vor.

      »Das klingt gut«, antwortete Colin schnell. Wenn er wirklich wieder auf Mörderjagd gehen würde, wäre es das Beste, seine zarte Lucy sicher hinter einem Schreibtisch zu wissen.

      »Colin, versuch dich genau zu erinnern. Gab es irgendetwas Auffälliges an der Toten?«, fragte Jasper und stieß seine Gabel in eine Bratkartoffel.

      Sich genau zu erinnern, war so ziemlich das Letzte, was Colin wollte. Doch er tat Jasper den Gefallen. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Da war nichts. Ihre Finger waren braun und krumm. Ich habe sie für interessant geformte Wurzeln gehalten. Der Arm daran sah aus wie der einer Moorleiche. Den Bademantel hätte ich persönlich für Moos gehalten. Nur am Ärmelaufschlag habe ich erkannt, was es wirklich war. Und mehr habe ich auch nicht gesehen. Ehrlich, das hat auch schon gereicht.«

      »Kein Ring? Keine Armbanduhr? Nichts?«, hakte Jasper nach und aß fleißig weiter, während Norma und Lucy sich bei Colins Worten angeekelt zurückgelehnt hatten.

      »Mit welcher Hand hast du sie angefasst?«, wollte Lucy wissen.

      »Verrate ich nicht.«

      »Ich wette, es war die rechte. Streichele mich heute bitte nur noch mit links.«

      »Das ist doch seltsam«, mischte sich Norma in das Geplänkel ein, »dass eine Frau keinen Schmuck an der Hand trägt, oder? Nicht einen einzigen Ring.«

      »Ich trage auch keinen«, gab Lucy mit der Spur eines Vorwurfs in der Stimme zu bedenken. »Und außerdem trug die Frau einen Bademantel. Vielleicht hat sie ihre Ringe auf der Waschbeckenablage zurückgelassen.«

      »Um im Bademantel über das Gelände zu geistern und sich dann erdrosseln zu lassen?«, Jasper legte die Stirn in Dackelfalten. »Klingt das logisch für euch?«

      »Nein.« Norma schüttelte den Kopf. »Vermutlich wurde sie woanders ermordet und nur hinter der Böschung entsorgt. Sie könnte in ihrem Zimmer gestorben sein.«

      »Dann hätte sie jemand bis zur Böschung bringen müssen«, gab Jasper zu bedenken. »Sehr unwahrscheinlich, dass der Mörder sein Opfer über die Flure und eine Liegewiese schleift. Jederzeit kann sich eine Zimmertür öffnen oder eines der alten Leutchen über die Wiese flanieren. Am Tage wäre es völlig unmöglich gewesen. Er müsste es bei Nacht getan haben. Aber, ob so etwas ohne Zeugen an einem Ort wie Hodge House überhaupt zu irgendeiner Tageszeit möglich ist? Alte Leute schlafen schlecht, sagt man. Selbst nachts ist dort vermutlich immer jemand wach.«

      »Außerdem verfügt Hodge House über Personal und einen Nachtdienst«, ergänzte Norma.

      »Na? Schon wieder dabei, meine Arbeit zu erledigen?«, hörte Colin hinter sich plötzlich eine helle Jungenstimme. Sergeant Dieber hatte das Pub und damit die Bühne betreten.

      Colin drehte sich auf seinem Stuhl um und schenkte Dieber ein genervtes Lächeln. »An mir liegt’s nicht. Ich könnte mich problemlos raushalten. Aber ich fürchte, man lässt mich nicht.«

      Dieber, ein schlaksiger Kerl, der den Stimmbruch verpasst hatte und zudem als schwuler Polizist vom Dorf auch noch einer absoluten Minderheit angehörte, konnte darüber gar nicht lachen. »Meinem Boss wird es nicht gefallen, wenn ihm Amateure ins Handwerk pfuschen«, antwortete er und versuchte, so etwas wie Strenge durchklingen zu lassen.

      Jasper schenkte dem jungen Polizisten sein freundlichstes Lächeln. »Aber dein Boss mag es bestimmt, wenn man ihm den Mörder auf dem Silbertablett serviert, oder nicht? Wie wär’s Sergeant? Steig bei uns ein, dann wirst du derjenige sein, der dieses Silbertablett in sein Büro balanciert. Uns kratzen Ruhm und Ehre nicht. Kannst du alles behalten. Wir wollen nur den Spaß und die Spannung.« Jasper unterstrich seine Worte mit einer einladenden Handbewegung.

      Dieber gab ein Seufzen von sich, zog einen Stuhl von einem leeren Tisch zu sich heran und ließ sich darauf fallen. »Habt ihr schon einmal in Erwägung gezogen, dass es nicht spaßig werden könnte? Mordermittlungen sind nämlich selten spaßig. Manchmal sind sie sogar sehr langweilig. Denn leider habe ich bei dieser Ermittlung den schlechtesten Job abgekriegt. Ich soll möglichst viel über diese Christine Humblebee in Erfahrung bringen. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ein Haufen Amateure mir dabei eine Hilfe sein könnte.«

      »Aber das ist doch großartig!« Jasper klatschte in die Hände. »Verlier nicht das große Ganze aus den Augen! Während du dich mit Polizeimethoden durch die Vergangenheit dieser Dame wälzt, füttern wir dich mit zusätzlichen Informationen aus Hodge House. Niemand kann besser mit den alten Leuten umgehen als Colin!« Colins Miene sprach bei diesen Worten vermutlich Bände, doch Jasper fuhr einfach fort. »Lass uns nur machen. In kürzester Zeit liefern wir dir viele in Klatsch und Tratsch verpackte Fakten über diese Christine. Und zum Austausch für unsere Informationen lässt du uns an den offiziellen Erkenntnissen teilhaben!« Jasper lächelte selig. Colin erkannte ungläubig, dass dies genau das Szenario war, das Jasper sich gewünscht hatte. Einen Deal mit Dieber machen, so hatte er es während ihrer Heimfahrt genannt.

      Colin schielte über sein Bierglas zu dem jungen Sergeant hinüber. Mike Dieber, das wusste Colin, träumte von der großen Karriere. Von einer Chance, dem Landleben den Rücken zu kehren und als Ermittler in der großen Metropole London Fuß fassen zu können. Eine gute Aufklärungsbilanz und die eine oder andere lobende Erwähnung an richtiger Stelle konnten ihm dabei nur hilfreich sein. Colin studierte das Gesicht des Polizisten und wusste, noch bevor dieser den Mund aufmachte, dass er angebissen hatte.

      »Ich darf natürlich offiziell keine Informationen herausgeben«, sagte Dieber so langsam, dass es schon fast lächerlich wirkte.

      »Aber wenn dir mal eine Notiz aus der Tasche fällt, kurz bevor du dringend die hervorragenden sanitären Einrichtungen des Lost Anchor aufsuchen musst, und ich sie natürlich für dich aufhebe und auf ihren Platz zurücklege … tja, solche Dinge passieren, nicht wahr?« Jasper strahlte wie ein Honigkuchenpferd.

      »Ich sehe, ihr versteht euch«, murmelte Colin ein wenig enttäuscht. Dieber war seine letzte Hoffnung gewesen. Alles, was er sich vom nahenden Herbst erträumt hatte, waren Ruhe, wallender Nebel und ein gutes Buch gewesen. Stattdessen würde er einen Mörder in einem Altenheim suchen. Das Beste, was ihm jetzt noch passieren konnte, war ein