Stephan Berry

Wahre Römer


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mit weiteren Konflikten schloss sich an, aber ab 342 v. Chr. wurde diese Regelung strikt eingehalten (sie wurde bis 172 v. Chr. beachtet; danach spielte die ständische Herkunft der Konsuln keine Rolle mehr). Weitere Elemente waren die Abschaffung der Schuldknechtschaft und die Einführung des Volkstribunats, eines Amtes, das dazu diente, Plebejer vor der Willkür von Magistraten zu schützen.

      Die Einigung der beiden Stände im 4. Jh. v. Chr. stellte einen Meilenstein der römischen Geschichte dar. Er zeigt eine besondere römische Kunst des politischen Ausgleichs, die schon den Zeitgenossen aufgefallen ist. So heftig die Auseinandersetzungen der Ständekämpfe auch gewesen sein mögen, sie hatten niemals zu einem offenen Bürgerkrieg geführt, wie er für die griechischen Poleis geradezu eine Epidemie darstellte.

      Es gibt allerdings einen Aspekt an dieser Einigung, der oft übersehen wird, obwohl er schon lange bekannt ist: Die neuen plebejischen Familien, deren Angehörige jetzt vermehrt in der Führungsetage Roms auftauchten, stammten fast nie aus Rom selbst, es handelte sich also nicht um Aufsteiger aus der stadtrömischen Plebs. Vielmehr waren es überwiegend Aristokraten, die schon zur führenden Schicht in anderen Städten gehörten. Viele von ihnen waren in ihrer jeweiligen Heimat ebenso tonangebend und altehrwürdig wie die Patrizier in Rom. Nur dadurch, dass sich deren Reihen mittlerweile fest geschlossen hatten, konnten Neuankömmlinge in Rom nicht mehr den Patrizierstatus erlangen, obwohl sie sich nach ihrer sozialen Herkunft durchaus auf Augenhöhe befanden.

      Deshalb ist hoffentlich klar, dass der Latiner Fulvius Curvus nicht zufällig für die Darstellung ausgewählt wurde, sein Fall ist exemplarisch. Neben Latium stellten insbesondere Etrurien und Campanien solche neuen Familien der römischen Führungsschicht. Die Licinii etwa waren Etrusker, die Plautii Latiner aus Tibur. Aber auch aus den Reihen der Volsker kamen solche Familien. Sie waren ein kriegerisches Bergvolk, das in den Abruzzen südöstlich von Latium lebte, ihre Sprache gehörte wie das Sabinische zur umbrischen Sprachenfamilie. Lange Zeit waren sie durch ihren Expansionsdrang Richtung Latium ein Hauptgegner der Römer und Latiner gewesen, nun stellten sie Männer wie Gaius Marcius Rutilus, der zwischen 357 und 343 v. Chr. viermal Konsul wurde und weitere hohe Ämter als erster Plebejer bekleidete. Eine ähnlich beeindruckende Karriere machte der Volsker Marcus Popillius Laenas, der es auf fünf Konsulate im Zeitraum 359 – 348 v. Chr. brachte.

      Diese Entwicklung hat das Gesicht der römischen Politik grundlegend verändert und überhaupt erst den Menschenschlag hervorgebracht, den wir als typisch römischen Politiker bezeichnen würden. Eine neue Elite entstand, die Nobilität (nobilitas), die sich aus Patriziern und Plebejern, aus Römern und Nicht- bzw. Neurömern zusammensetzte. Diese Familien waren übrigens nicht nur durch politische Bündnisse vernetzt, sondern ebenso durch Heiraten. Manch verarmter patrizischer Clan auf dem absteigenden Ast war auf die Zufuhr nicht nur frischen Blutes, sondern vor allem auch frischen Geldes dringend angewiesen, und das spielte auch eine Rolle bei der Aufnahme der neuen plebejischen Geschlechter. Sie alle gemeinsam bildeten nun das personelle Reservoir, aus dem für rund drei Jahrhunderte die meisten Spitzenposten besetzt wurden.

      Damit einher ging die Entstehung eines neuen Politikverständnisses oder, wenn man so will, einer neuen Ideologie: Der adelige Anführer, der mit seiner privaten Gefolgschaft „sein eigenes Ding macht“ wie in den Tagen des Attus Clausus, war passé. Für die Nobilität – und jeden, der vielleicht eines Tages dorthin aufsteigen wollte – zählten nun nur noch solche Taten als bewunderungswürdig und nachahmenswert, die im Namen und zum Wohle der Republik vollbracht wurden. Die Vorstellung vom Dienst am Vaterland als höchstem Ideal kam jetzt zur vollen Entfaltung. Gegen Ende der Epoche war es noch einmal der Neuling Marcus Tullius Cicero, ein homo novus, der diesem Politikideal in seinen Schriften einen beredten Ausdruck verlieh.

      Dieser gemeinsame Einsatz für Rom bildete also eine ideologische Klammer, die es Neuankömmlingen relativ einfach machte, sich zu integrieren, selbst wenn sie noch vor nicht allzu langer Zeit Kriegsgegner gewesen waren: Nicht „römisches Blut“ oder die „rassische“ Zugehörigkeit spielten die wesentliche Rolle; alles Kompromittierende der eigenen Herkunft konnte man im Prinzip hinter sich lassen, wenn man bereit war, sich voll und ganz in den Dienst der neuen Heimat zu stellen.

      Die Umwälzungen des römischen Staates um die Mitte des 4. Jhs. v. Chr. betrafen zudem nicht nur die innere Organisation, sondern auch nach außen das Verhältnis zu verbündeten und unterworfenen Gemeinwesen. In Rom sprach man Latein, wie in den übrigen Latinerstädten, und Latiner stellten im archaischen Rom sicher den größten Bevölkerungsanteil. Doch hier verlief, wie im vorigen Kapitel beschrieben, die urbane Entwicklung wesentlich dynamischer, und schon am Beginn der Republik bildete Rom einen Machtblock, der allen übrigen 29 Städten, die im Latinerbund zusammengeschlossen waren, gleich stark gegenüber stand.

      Nach kriegerischen Auseinandersetzungen wurde im Jahr 493 v. Chr. unter Federführung des Konsuls Spurius Cassius ein Vertrag mit den Latinern geschlossen, das foedus Cassianum, der für lange Zeit die Beziehungen regelte: Alle Verbündeten verpflichteten sich, untereinander keine Kriege mehr zu führen; gegen äußere Feinde sollte stets gemeinsam gekämpft werden, wobei der Oberbefehl zwischen Vertretern Roms und des Latinerbundes wechselte. Mit eingeschlossen in den Vertrag war auch das kleine Völkchen der Herniker, das von den gleichen Feinden bedroht wurde wie Römer und Latiner und deshalb froh war, unter den gemeinsamen Schutzschirm zu schlüpfen.

      Mindestens ebenso wichtig waren aber die rechtlichen Regelungen, die eine zumindest partielle Integration der einzelnen Bürgerschaften bewirkten: Alle römischen und latinischen Bürger erhielten in allen anderen Städten des foedus Cassianum das Recht, dort mit einem entsprechenden Rechtsschutz Handel zu treiben (commercium); alle diese Bürger konnten über die Stadtgrenzen hinweg rechtlich voll gültige Ehen eingehen (conubium; diese Regelung war wichtig im Hinblick auf das Erbrecht und vor allem für die Weitergabe des eigenen Bürgerrechts an die Nachkommen); und jeder hatte schließlich das Recht, sich in einer der anderen Städte niederzulassen (migratio).

      Trotz dieser Regelungen wuchs aber im Laufe der Zeit der Unmut der Latiner über die Vormachtstellung Roms, und es kam im Latinerkrieg 340 v. Chr. zum Aufstand. Die wichtigste Forderung war eine rechtliche Gleichstellung mit den römischen Bürgern, also die volle Teilhabe an politischen Entscheidungen. Auch die Volsker schlossen sich an, und ebenso Campanien unter Führung Capuas, das zwischenzeitlich auch schon mit Rom verbündet gewesen war.

      Die Einzelheiten sind, wie für diese Epoche üblich, verwickelt und nicht mehr genau rekonstruierbar. Jedenfalls besiegte Rom 338 v. Chr. die Koalition seiner Gegner, löste den Latinerbund und alle anderen Vertragssysteme auf, und schuf in der Folge ein völlig neues politisches Gebilde. Das hatte außenpolitisch ebenso weitreichende Konsequenzen wie innenpolitisch der Aufstieg der Plebejer. Die besiegten Gegner – und ebenso die Stadtstaaten, die loyal geblieben waren – wurden in ein konzentrisches Bündnissystem eingeteilt. Dabei spielten sprachliche oder ethnische Kriterien keine Rolle, man ging nach pragmatischen Gesichtspunkten vor.

      Die äußerste Zwiebelschale bildeten Staaten, die den Status von Verbündeten hatten (socii). Sie blieben politisch autonom, waren aber verpflichtet, im Kriegsfall Hilfstruppen zu stellen. Die innerste Zwiebelschale waren jene Latinerstädte, die von Rom komplett annektiert wurden. Sie verloren jegliche außenpolitische Autonomie, ihre Bürger bekamen dafür jedoch das volle römische Bürgerrecht (und behielten zudem das Bürgerecht ihrer jeweiligen Heimatstadt). Paradoxerweise war dies eine Hauptforderung der Latiner gewesen, die Rom hier im Nachhinein erfüllte. Zu den Städten dieser Gruppe gehörte u. a. Tusculum, die Heimat der Fulvier, obwohl die Stadt aufseiten der Aufständischen gekämpft hatte.

      Zwischen diesen beiden Schichten gab es weitere Gemeinwesen mit einem Zwischenstatus: Einige Latinerstädte wurden auch voll in den römischen Staat integriert, ihre Einwohner erhielten jedoch noch kein volles römisches Bürgerrecht mit Wahlrecht. Sie behielten nur ihr jeweils eigenes Bürgerrecht und die Privilegien von commercium, conubium und migratio, die schon vor dem Latinerkrieg bestanden hatten. Diese Zwischenstufe hieß dementsprechend latinisches Bürgerrecht. Ähnlich war die rechtliche Position der Campaner und Volsker: Auch ihre Gebiete wurden Teil des römischen Staatsgebietes, unter Beibehaltung der innerstädtischen Autonomie, und die Einwohner erhielten römisches Bürgerrecht, allerdings