Stephan Berry

Wahre Römer


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politische Mitbestimmung.

      Auf diese Weise entstand ein „römischer Commonwealth“, wie man das Gebilde treffend genannt hat, eine Gemeinschaft von Städten unter römischer Führung, die unterschiedlich eng an die Metropole gebunden waren. Die wirklich weltgeschichtliche Bedeutung der Regelungen von 338 v. Chr. liegt darin, dass hier der Grundstein für den gesamten weiteren Aufstieg Roms geschaffen wurde. Denn das System war flexibel und gestattete die Aufnahme immer weiterer Völkerschaften – mit dem Wachstumsmechanismus einer positiven Rückkopplung: Je mehr besiegte Gegner integriert wurden, zuerst als Verbündete, später als Halb- und schließlich irgendwann Vollbürger des römischen Staates, desto mehr wuchsen die Machtmittel Roms und schufen so die Voraussetzungen, auch kommende Auseinandersetzungen siegreich zu bestehen.

      Stadtstaaten mit imperialen Ambitionen gab es einige im Mittelmeerraum, die Römer standen keineswegs alleine: Athen, Sparta, Karthago, Tarent, Syrakus – sie alle waren der Idee, den eigenen Herrschaftsbereich auf Kosten anderer auszudehnen, keineswegs abhold. Was Rom im Vergleich zur Konkurrenz einzigartig machte und letztlich dazu führte, dass die Welt römisch und nicht attisch oder karthagisch wurde, war in erster Linie die einzigartige Fähigkeit zum „alliance management“, wie man heute sagen würde. Durch die Bereitschaft, besiegten Gegnern eine Perspektive auf Teilhabe an den Früchten zukünftiger Expansion zu bieten, überstieg Roms „Manpower“ schließlich sogar das Potenzial der größten hellenistischen Königreiche. Dass griechische Stadtstaaten wie Athen, die stets eifersüchtig auf die Exklusivität ihrer Bürgerschaft bedacht waren, da nicht mithalten konnten, war schon für Beobachter in der Antike kein Wunder.

      Und so kann man über Fulvius Curvus abschließend sagen: Wir wissen nicht viel über ihn, aber das Wenige, was bekannt ist, zeigt eine Karriere, die typisch für das allmählich römisch beherrschte Italien des 4. Jhs. v. Chr. ist.

      Literatur: CORNELL 1995, COWAN 2009, ECKSTEIN 2006, FORSYTHE 2005, HÖLKESKAMP 1993, RAAFLAUB 1986, SCHUR 1924

      Wir haben bisher je einen Sabiner und einen Latiner kennengelernt, die zu Römern wurden, jetzt wird es Zeit für einen griechisch-stämmigen Neurömer. Unser Kandidat heißt Andronicus und stammt aus dem süditalischen Tarent. Nach Rom gelangte er im 3. Jh. v. Chr., als Sklave nach der Einnahme der Stadt durch die Römer. Er lebte dann im Haushalt der Livier und wurde später freigelassen, was ihm das römische Bürgerrecht und seinen römischen Namen einbrachte: Lucius Livius Andronicus. Denn ein Freigelassener behielt als cognomen den Namen, den er schon als Sklave hatte, und übernahm Vornamen und Familiennamen seines ehemaligen Herren, der die Freilassung bewirkt hatte (Antike Autoren bezeichneten ihn deshalb meist einfach als Livius, während man heute als Kurzform Andronicus bevorzugt, vor allem, um Verwechslungen mit dem gleichnamigen kaiserzeitlichen Historiker vorzubeugen).

      Man erkannte in Rom seine literarischen Talente; er war als Lehrer für die Söhne des Hauses Livius tätig, vor allem jedoch wurde er, der Grieche, zum eigentlichen Begründer der römischen Literatur und des römischen Theaters. Und neben der Arbeit an den Stücken stand er auch selbst als Schauspieler auf der Bühne.

      Soweit jedenfalls die Standardversion von Andronicus’ Leben, wie sie sich in Übersichtsdarstellungen findet. Die Details sind auch hier wieder einmal umstritten: Selbst sein Vorname Lucius ist nicht sicher, auch Titus ist in der Überlieferung im Angebot. Gravierender sind jedoch die offenen Probleme rund um seine Herkunft, denn sie betreffen die grundsätzliche Frage nach den Anfängen der römischen Literatur. Wir werden uns später diesem Thema zuwenden, aber zunächst einen Blick auf die literarische Produktion des Andronicus werfen.

      Die ersten ludi scaenici, also Bühnenspiele, fanden in Rom schon 367 v. Chr. statt. Dabei handelte es sich jedoch noch um Tanzdarbietungen mit Musikbegleitung, die man aufführte, um anlässlich einer pestilentia die Götter zu besänftigen (Wir wissen nicht, welche Seuche das war, die Übersetzung mit „Pest“ im Sinne des Schwarzen Todes wäre jedenfalls falsch). Zu diesem Zweck hatte man eigens Experten aus Etrurien kommen lassen; der Konsul, der das veranlasst hatte, war übrigens der gebürtige Volsker Popillius Laenas, dem wir im vorigen Kapitel begegnet sind.

      Die Seuche ging, die Begeisterung der Römer für die ludi scaenici blieb - auch deshalb, weil man im Laufe der Zeit das Ganze zunehmend mit witzigen Einlagen und einer Spielhandlung aufpeppte. Das erste echte Theaterstück bekamen die Römer aber erst zu sehen, nachdem Andronicus in die Stadt gelangt war.

      Abb. 4: Terrakottafigur eines Schauspielers, der vielleicht eine Figur aus Menanders Komödie „Der Griesgram“ darstellt, um 330 v. Chr. (Paris, Musée du Louvre).

      Denn Andronicus brachte die humoristischen Kleinkunstdarbietungen, die bis dahin die römische Bühne dominiert hatten, auf Weltniveau, sprich griechisches Niveau. Er entfaltete eine umfassende Übersetzertätigkeit, bei der er zahlreiche Dramen aus dem Griechischen in Latein übertrug. Man kennt die Titel von diversen Stücken, etwa die Tragödien „Das Trojanische Pferd“, „Achilles“, „Aegisthus“ und „Ajax“, und dazu die Komödien „Gladiolus“, „Virgo“ und „Ludius“. Von den Schriften selbst hat sich fast nichts erhalten, die heutige Ausbeute aller seiner Werke beträgt maximal 50 Zeilen Text.

      Trotz dieser dürftigen Überlieferung kann man sich ein Bild von der Arbeitsweise des Andronicus machen, und man erkennt, dass dieser erste literarische Übersetzer der gesamten europäischen Geschichte in reflektierter und methodischer Weise vorging. Das beginnt mit der gezielten Auswahl der übersetzten Stücke: Alle Tragödien, die er übertrug, stammen aus der klassischen Tragödie des 5. Jhs. v. Chr., während er bei den Komödien die Richtung der attischen Neuen Komödie aus hellenistischer Zeit bevorzugte (Abb. 4).

      Ebenso wichtig war das Ringen mit der Sprache, denn das Griechische ist in gewisser Weise geschmeidiger als Latein, es erlaubt z. B. fast unbegrenzte Wortneubildungen durch Zusammensetzungen, was im Lateinischen viel schwieriger ist. Ebenso galt es, für die verschiedenen griechischen Versmaße passende Entsprechungen in der lateinischen Sprache zu finden.

      Der erste von Andronicus übertragene Text war allerdings kein Theaterstück, sondern ein noch anspruchsvolleres Projekt, die Übersetzung der Odyssee. Von seiner „Odusia“, wie er das Epos auf Latein nannte, ist zumindest die Anfangszeile erhalten. Anstelle des Hexameters Homers verwendete er den Saturnier, der zwar nicht sehr elegant ist, aber als altrömisches Versmaß seinen Lesern vertraut war. Im Original heißt es

       „Andra moi ennepe, Moûsa, polytropon …“

      was bei Andronicus wurde zu

       „Virúm mihí, Caména, ínsecé versútum …“

      In der deutschen Übersetzung von Johann Heinrich Voß lautet Homers Zeile

       „Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes …“

      wobei offensichtlich Voß (1751 – 1826), nach mehr als zwei Jahrtausenden europäischer Kulturgeschichte, keine Bedenken hatte, beim Leser die Kenntnis des Wortes Muse vorauszusetzen. Ganz anders Andronicus, der noch nach einer lateinischen Entsprechung für Mousa suchte und bei Camena landete. Die Camenae (es gab mehrere) aus der römischen Mythologie waren eigentlich eine Entsprechung der griechischen Quellnymphen, nicht der Musen. Aber durch die Ähnlichkeit ihres Namens mit dem Wort carmen (Lied) glaubte man später, sie seien auch für die Dichtkunst zuständig. An diesem Detail zeigt sich, wie sorgfältig sich Andronicus um eine Übersetzung bemühte, die dem Original gerecht wurde und dem neuen Leserkreis trotzdem verständlich war.

      Später entwickelte sich eine eigenständige römische Literatur, die nicht mehr nur von Übersetzungen griechischer Werke abhängig war. Ein Punkt jedoch, der bei Andronicus als Erstem zu konstatieren ist, bleibt für die römische Literatur bis zum Ende typisch: Die allermeisten römischen Autoren stammten nicht aus Rom.

      Die