Thea Lehmann

Dunkeltage im Elbsandstein


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      Thea Lehmann

      DUNKELTAGE

      IM ELBSANDSTEIN

      Thea Lehmann

      DUNKELTAGE

      IM ELBSANDSTEIN

      Die Autorin

      Thea Lehmann ist geboren und aufgewachsen am Ammersee in Oberbayern. Nach dem Studium der Germanistik entschied sie sich für den Beruf der Journalistin, weil das Schreiben sie schon immer faszinierte. 1998 verliebte sie sich in einen Sachsen und tauchte damit in eine völlig neue Welt ein: in die sächsische Seele, die liebenswerte Sprache und in eine Familiengeschichte, die eng mit dem Kirnitzschtal und seiner außergewöhnlichen Landschaft verbunden ist. Daraus entstand 2015 ihr erster Krimi »Tod im Kirnitzschtal«. In »Dunkeltage« erzählt sie einen weiteren Fall, der Kommissar Reisinger in die Sächsische Schweiz führt. Die Autorin lebt mit Mann und Kind in Oberbayern, verbringt aber so viel Zeit als möglich in der Sächsischen Schweiz.

       Impressum

© DDV EDITIONSächsische Zeitung GmbHOstra-Allee 20, 01067 Dresdenwww.ddv-edition.de© Reihengestaltung und Umschlagillustrationwww.oe-grafik.de

      2. Auflage (1. Auflage 2016)

      Autorin: Thea Lehmann

      Grafische Gestaltung: Thomas Walther, BBK

      Satz: www.oe-grafik.de

      Karte: Karte Ottendorfer Land; R. Böhm, www.boehmwanderkarten.de

      Druck: CPI Moravia books

      Alle Rechte vorbehalten | Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      ISBN 978-3-943444-62-9 (Print)

      ISBN 978-3-948916-06-0 (Epub)

      ISBN 978-3-948916-07-7 (Mobi)

      Montag

      »Gute Nacht, Tante Hermine!«

      Detlef Watzke nickte in Richtung des Blumenbeets, ging durch den kleinen Garten zur Tür und öffnete die drei schweren Schlösser. Von den dunkelbraunen Balken des Umgebindehauses und von der Holztür rieselte der Lack in splittrigen Flocken zu Boden. Am Himmel hing ein käsiger, schmaler Mond gerade noch so über dem Bergrücken, um das nächtliche Tal ein wenig zu beleuchten. Die alten Holzbohlen in dem kleinen Flur knarzten unter Watzkes Gewicht. Vorsichtig und langsam drehte er sich mit seiner Last nach rechts und öffnete die Tür zum Stall. Die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelte, erhellte den Raum nur spärlich. Obwohl hier schon seit über zwanzig Jahren keine Tiere mehr standen, konnte man sie immer noch ein wenig riechen. Der Sandsteinboden und die grob zusammengefügten Mauern hatten sich im Laufe der Jahre mit ihren Ausdünstungen vollgesogen. Watzke tappte die drei Steintreppen hinunter, durchquerte den kleinen, mit Gerümpel vollgestellten Raum und stieg vorsichtig die Aluleiter hoch. Oben angekommen kippte er den Inhalt seines Rucksacks über die Holzbohlenwand. Das Abteil dahinter war fast voll. Er konnte das eher hören als sehen, denn der Schein der Birne reichte nicht bis hinter die Wand. Die Steine und das Geröll klonkerten mit dumpfen Schlägen hinunter. In ein paar Wochen würde das Werk vollbracht sein. Außer dem metallischen Quietschen der Aluleiter auf dem Sandsteinboden war es völlig ruhig, als Watzke wieder nach unten stieg. Kein Auto, keine menschlichen Geräusche, nicht mal ein Käuzchen war draußen zu hören. So mochte er es.

      Müde stellte er den ausgebeulten Rucksack neben die Küchentür, zog die Jacke aus und schlurfte an den Tisch. Der kleine Raum wurde beherrscht von einem alten, eisernen Küchenofen, den er nie benutzte. Auf dem stand die elektrische Kochplatte, auf der er sein Essen wärmte. Es gab eine hölzerne Eckbank mit Esstisch, den Kühlschrank und ein altertümliches Küchenbüfett. Neben dem hing ein riesiger blauer Müllsack, der halb gefüllt vor sich hin muffelte. Die liebliche Schnörkeltapete in Gelb und Blau mühte sich vergeblich, dem Raum noch etwas Gemütliches zu geben.

      Es war drei Uhr morgens. Obwohl die Nacht kühl war, klebte Watzke das Flanellhemd schweißnass am Rücken. Er hatte von zehn Uhr abends bis jetzt wieder sein Arbeitspensum erledigt und war äußerst zufrieden mit sich. Sein Rücken schmerzte, aber es war ein gutes Gefühl, etwas geschafft zu haben. Jetzt kam der beste Teil der Routine, die Belohnung für all die Schufterei. Er holte eine Dose Billigbier aus dem Kühlschrank, setzte sich auf die Eckbank, klemmte seine langen Beine unter den Tisch und schlug ein Kreuzworträtselheft auf. Die Stapel schmutziger Teller schob er mit dem Ellbogen vorsichtig ein wenig zur Seite. Zwei saubere Teller von Tante Hermines kleingeblümtem Geschirr standen noch hinter der gelblichen Butzenscheibe im Schrank. Mit einem Seufzer registrierte Watzke, dass er spätestens übermorgen das Geschirr würde spülen müssen. Dummerweise war ihm letzte Woche ein Teller aus der Hand gerutscht und auf dem Steinboden der Küche zerschellt. Damit hatte sich der Rhythmus des Geschirrspülens von zehn auf neun Tage verkürzt. Watzke hasste Veränderungen, die sein sorgfältig organisiertes Leben durcheinanderbrachten.

      Im Schein der blanken 40-Watt-Glühbirne über seinem Kopf füllte er mit einem Bleistift konzentriert Zeile für Zeile des aufgeschlagenen Kreuzworträtsels. Chemisches Element mit P, Nebenarm der Wolga, Schauspiel von Ibsen – ohne zu zögern füllte er alle Kästchen aus. Als er fertig war, holte er ein weiteres Heft ganz links aus dem Küchenschrank und radierte ebenso konzentriert die Eintragungen einer Seite wieder aus.

      Gegen vier Uhr morgens hatte er sein Bier ausgetrunken und die Rätselstunde war beendet. Watzke stellte die Hefte an ihren Platz, ging kurz ins Bad und stieg die schmale Holztreppe nach oben. Wie im Erdgeschoss gab es auch hier nur zwei Zimmer, seines und das von Tante Hermine. Sein Schlafzimmer zeigte nach hinten in den Wald. Bei Tante Hermine war die Aussicht nicht so schön. Watzke ersparte sich nach Möglichkeit den Blick auf den schmalen Weg, der zur Straße hinunter ins Kirnitzschtal und zum Sägewerk mit seinen großen Lagerschuppen führte. Am liebsten war es ihm, keine Menschen zu sehen. Man wusste ja nie, was sie im Schilde führten.

      Müde hing er sein schmutziges Hemd über den Stuhl und stieg aus seiner staubigen Arbeitshose. Die fadenscheinige Unterwäsche schlackerte an seinem Körper. Dass ihm die Unterhosen deshalb ständig herunterrutschten, nervte ihn gewaltig und er hatte versucht, das Problem mit einem Streifen Klebeband zu lösen. Aber das hielt maximal zwei Tage. Ärgerlich presste er den Klebestreifen auf den dünnen Stoff. Seit er aus Berlin weggegangen war, hatte er mindestens zehn Kilo abgenommen. Er öffnete das Fenster einen Spalt und ließ ein wenig von der kühlen Oktoberluft ins Zimmer. Dann zog er die Socken aus und schlug sie energisch am Bettpfosten tot.

      Seine Socken waren ihm nicht geheuer. Irgendwann, wahrscheinlich während seiner Zeit im Gefängnis, hatte ihn die Sorge beschlichen, dass sie nachts, wenn er ihnen hilflos ausgeliefert war, lebendig wurden. Da ging er lieber auf Nummer sicher.

      Fünf Minuten später war Detlef Watzke eingeschlafen und schnarchte leise vor sich hin.

      Kriminalkommissar Leo Reisinger bemerkte erstaunt, dass er sich freute, als er die schwere Tür des Polizeipräsidiums in der Dresdner Schießgasse aufdrückte. »Meine zweite Heimat«, dachte er sich, als er in die Eingangshalle trat. Morgens um acht Uhr war hier ein reges Kommen und Gehen. Er begrüßte den Beamten am Empfang und zückte an der Schranke seinen Ausweis. Als er gerade an der Treppe um die Ecke bog, sah er seine Kollegin Sandra Kruse zur Tür hereinkommen. Was war denn das? Leo hatte nur noch einen kurzen Blick auf sie erhaschen können. Hatte sie tatsächlich eine Hundeleine in der Hand gehabt?

      Na,