Anne Neunzig

Staatsjugendorganisationen – Ein Traum der Herrschenden


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bis zum Jahr 1935 der Prozentsatz arbeitender Frauen kontinuierlich ab, doch ist diese Entwicklung mit Vorsicht zu betrachten, da zu gleicher Zeit fast ausschließlich Männer in die vorhandenen Berufe eingestellt wurden. Dadurch verringerte sich der Prozentsatz der Frauenarbeitsquote auf eine natürliche Art, ohne das weibliche Angestellte aus ihren Berufen entlassen wurden. Ab dem Jahr 1936 wich die Realität dann vollends von der postulierten Ideologie ab. Dies ist auf die florierende Wirtschaft und die forcierten Kriegsvorbereitungen zurückzuführen. Der Aufschwung und die damit dringend benötigte Arbeitskraft ließ nicht mehr zu, dass auf Frauen in vielen Bereichen des Arbeitslebens verzichtet wurde.113 Als mit Kriegsbeginn immer mehr Männer aus den Betrieben ausschieden, um an der Front zu kämpfen, nahm die Anzahl arbeitender Frauen noch einmal erheblich zu. Dieser Trend stieg durch den kriegsbedingten Verlust der männlichen Arbeitskräfte weiter an. Die in früheren Jahren propagierten spezifischen Frauenarbeitsstellen spielten zu dieser Zeit längst keine Rolle mehr.

      In einer Rede am 13. September 1935 sprach Hitler folgende Worte: „Frau und Mann repräsentieren zwei ganz verschiedene Wesenseigenschaften. Im Manne sei vorherrschend der Verstand. Stabiler sei aber das bei der Frau hervortretende Gefühl.“114

      Während somit in der nationalsozialistischen Ideologie die Frau und ihre Welt als emotional, seelisch und sorgend klassifiziert wurde, galt der Mann als rational denkend und handelnd sowie kraftvoller physischer Mensch. Er wurde charakterlich als stark und rational definiert. Ihm gebührte es, die Rolle des politisch aktiven und herrschenden Menschen einzunehmen. Seinen Fähigkeiten entsprechend, sollte der Mann als Ernährer der Familie einer beruflichen Tätigkeit nachgehen und so das Familieneinkommen sichern, seine Familie versorgen, ernähren und mit der Waffe in der Hand beschützen.

      Die beiden Welten von Mann und Frau sollten sowohl in der Ehe, als auch im gesellschaftlichen Leben und Arbeitsleben getrennt bleiben. Der Mann war dazu bestimmt, den Frauen ihre Rolle zuzuweisen.

      Das idealtypische Mädchen musste zu Zeiten des Nationalsozialismus einige grundlegende Voraussetzungen mitbringen. Es musste 'deutsch', 'arisch' und damit 'erbgesund' sein. Darüber hinaus sollte es ihr Leben zugunsten der Volksgemeinschaft einsetzen sowie die nationalsozialistischen Werte und Normen widerstandslos annehmen und nicht hinterfragen. Laut BDM-Leitung sollten folgende Eigenschaften das deutsche Mädchen ausmachen: Es „war sportlich, pflegte seinen Körper, achtete auf seine Gesundheit und war äußerlich sauber und ordentlich gekleidet; es war tüchtig und selbstständig in beruflicher, insbesondere in hauswirtschaftlicher Hinsicht.“115 Es sollte sich kulturell und musisch bilden und darüber hinaus auf ihre spätere Rolle als Mutter und den damit verbundenen Aufgaben vorbereiten. Wichtige damit verbundene Tugenden waren „Treue, Gradheit, Reinheit, Sauberkeit und Ehre“116.

      Im BDM sollten sich die Mädchen nicht als Einzelpersönlichkeiten darstellen und entwickeln, bestimmend war das Wir-Gefühl, die Gemeinschaft. Die Persönlichkeitsentwicklung der Mädchen wurde im Selbstverständnis des BDM von „internen, erblichen, biologisch-rassischen Bedingungen“117 bestimmt und nur bedingt durch Erziehung beeinflusst. Damit wurden die Mädchen durch ihre Erbanlagen zu Objekten degradiert. Ihnen wurde nicht die Möglichkeit gegeben, eigene Interessen zu entwickeln, ihren individuellen Weg zu finden und zu eigenständigen Persönlichkeiten heranzureifen.

      Nicht alle Mädchen ließen sich in dieses sehr enge und einschränkende Muster einfügen und es entstanden Gegenbilder zu diesem Typ Mädel, wie beispielsweise die „intellektuellen Blaustrümpfe“118 und die „politisierenden Dämchen“119.

      Das wohl einprägsamste Bild des Jungen im Nationalsozialismus formulierte Hitler auf seiner Rede zum jährlichen Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg 1935. Er wollte eine männliche Jugend, die „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“120 sei. Aus diesem Zitat wird ersichtlich, dass vor allem die körperliche Ertüchtigung und Aktivität den HJ-Jungen ausmachen sollte. In dem von der Reichsjugendführung veröffentlichten Buch „HJ. im Dienst“, wurde schon in der Einleitung formuliert: „Der Führer verlang von Dir, daß du Deine körperlichen Anlagen und Fähigkeiten bis zur äußersten Möglichkeit entwickelst.“121

      Die intellektuelle Bildung fand keinen Eingang in das nationalsozialistische Jungenbild. Vielmehr ging es darum, sich an die Organisation zu binden und die Ideologie, die Normen und Werte unreflektiert zu übernehmen. Eigeninitiative der Jungen wurde zwar gewünscht, jedoch nur im Rahmen der bestehenden Normen. Befehle von Vorgesetzten sollten sie schnell und unhinterfragt ausführen, immer im Sinne der Gemeinschaft.122

      Laut Hitler sollten die Jungen „friedfertig sein und mutig zugleich“123. Darüber hinaus sollten sie stark und hart sein und lernen, „Entbehrungen auf […] [sich] zu nehmen, ohne jemals zusammenzubrechen“124 Auch der Begriff der Ehre und des Stolzes wurde in diesem Zusammenhang angesprochen.

      Deutlich abzugrenzen hatten sich die Jungen von den „'romantischen' oder 'intellektualisiert-problematisch[en]' Jugendlichen früherer Jugendbünde[…]“125 und auch vom „'sozialrevolutionären' und politisch-aktiven Typ verschiedener Jugendorganisationen“126.

4. Struktureller Aufbau der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädchen

      Bereits von Beginn an war die Staatsjugendorganisation von der NSDAP vollständig politisch abhängig und galt als deren Nachwuchsorganisation. Wie auch die NSDAP war die Gesamt-Hitlerjugend hierarchisch und zentralistisch aufgebaut und zeigte in ihren einzelnen Sektionen eine analoge Struktur zur Partei.127 Obwohl formal freiwillig, wurden die 18-jährigen Männer oft nach Abschluss der HJ zunächst in die SA, später in die NSDAP übernommen. Die Frauen wurden aufgefordert, nach Abschluss des BDM oder ihrem Abschluss in der Organisation Glaube und Schönheit in die NS-Frauenschaft einzutreten. So wurde der Parteinachwuchs gesichert, der sich zudem bereits in den Strukturen und Funktionen der Organisation auskannte

      Die Gesamt-HJ unterteilte sich in fünf Obergebiete: Ost, Nord, Mitte, Süd und West, die sich wiederum in jeweils vier bis fünf Gebiete und Obergaue aufgegliedert. Ab dort waren sie hierarchisch abgestuft in Bann, Stamm, Gefolgschaft, Schar und Kameradschaft, analog beim BDM untergliedert in Obergau, Untergau, Mädelring, -gruppe, -schar und -schaft.128 Der BDM, als Teil der Gesamt-HJ, war in seinem Aufbau der HJ angeglichen, es gab keine „eigens gestaltete weibliche oder mädchenspezifische Organisationsform.“129 Aus der getrennten Rollenverteilung von Mann und Frau im Nationalsozialismus ergaben sich allerdings bereits innerhalb der Staatsjugendorganisation zwei unterschiedliche Erziehungsschwerpunkte, so dass ab 1933 die Gesamt-HJ die Jungen und Mädchen nach Alter und Geschlecht in folgenden Organisationsformen zusammenfasste: Die Jungen von 10 bis 14 wurden zunächst im Jungvolk, gegründet 1931, organisiert. Anschließend wechselten sie für die nächsten vier Jahre in die HJ. Jene, bereits 1926 gegründet, war bis 1932 der Sturmabteilung (SA) unterstellt.130 Neben den Ortsgruppen gab es innerhalb der HJ Sondereinheiten, beispielsweise die „Nachrichten-, Marine-, Flieger- und Motor-HJ“131. In diesen Formationen erhielten die Jungen eine spezifische Ausbildung, welche ausschließlich ihnen vorbehalten war. Vergleichbare Einheiten für die Mädchen im BDM gab es nicht, jedoch konnten sie an Sonderausbildungen teilnehmen, wie beispielsweise am Gesundheitsdienst.132

      Die weibliche Jugend wurde in die Jungmädel zwischen 10 und 14 Jahren und in den BDM für die 14- bis 18-jährigen untergliedert. Neben dem bereits 1930 gegründeten BDM wurde 1938 die Organisation Glaube und Schönheit für die 17- bis 21-jährigen jungen Frauen ins Leben gerufen. Die Teilnahme darin war freiwillig.133

      Jährlich am 20. April, dem Tag von Hitlers Geburtstag, wurden die Jungen und Mädchen in das JV bzw. die JM aufgenommen. Anfangs wurden die Mitglieder des Jungvolks, in Anlehnung an die Jungmitglieder diverser Bünde vor 1933, Pimpfe genannt. Ab Ende 1938 durfte der Begriff nicht mehr verwendet werden, da er als abwertend galt.134