Erhard Heckmann

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2


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href="#ulink_8895d2ae-bdb4-5175-ae3f-bf5476b9c5e3">40 Kilogramm tragen, startklar sind. Die Kunst, die Ladung pro Pferd mit einem einzigen langen Seil zu verschnüren, beherrschen wir natürlich nicht, und es ist auch ein äußerst harter Job. Das eine oder andere Ende dabei festhalten, nachziehen oder bei den Regenplanen mehr zuzufassen, das hilft bei diesen letzten Arbeiten aber auch. Was aber Patrick hier innerhalb von etwa zweieinhalb Stunden erledigt – er fungiert als Packer und hat selbst dreißig bis vierzig „Mountain-Horses“ im Stall – ist Schwerstarbeit. Zwischendurch verteilt Joyce die Reitpferde an die Gäste. Meine Tochter Dörthe bekommt die gehfreudige dunkelbraune Mary, die normalerweise Davids „Reservepferd“ ist, und zu meiner reinblütigen Quarterhorse-Fuchsstute Georgia meint Davids Frau: „Du bist der erste Gast, der sie reiten darf.“ Mary ist einen Tick leichter und hat viel Vorwärtsdrang, Georgia ist sehr vorsichtig, äußerst trittsicher, faul und hat es, bei aller Gutmütigkeit, auch ein wenig hinter den Ohren. So dauerte es einen ganzen Tag bis sie akzeptierte, dass sie grundsätzlich flott zu marschieren hat und Bummelei nicht geduldet wird. Das hat ihr anfangs wohl gar nicht gepasst, denn aus heiterem Himmel sprang sie urplötzlich ab wie ein Rennpferd, schlug Haken und mit der Hinterhand aus wie ein Weltmeister. Solche Faxen kann man in diesem Gelände allerdings nicht dulden, und danach wussten wir beide, was wir voneinander zu halten hatten. Von da an hätte ich kein besseres Pferd haben können, als diesen dreifach gestiefelten, sechsjährigen Fuchs mit der großen Blesse. Ein phantastisches „Mountain-Pferd“, auf das man sich voll und ganz verlassen kann. Und Mary war ebenfalls ein großartiger Partner. Wir hatten also unseren Spaß mit diesen beiden Charakteren.

      Dann war es soweit, die Karawane mit 26 Pferden, 13 Reitern und den Hunden Joe, Look und Peggy, die die „Horse-Train“ vor Bären sicherten, zog los. Davids „Truck“ blieb im Wald stehen, der Pferdetransporter war bereits weg wie Petrus auch, der die fünf Damen chauffiert hatte, und Sabine und Enkelin Annika fuhren bei strahlendem Sonnenschein mit Davids Tochter Lesly zurück zum Eagles Nest. David führte die Kolonne an, und zu seiner Ausstattung zählte, wie ebenfalls bei Patrick und Paul, auch ein Gewehr für den Notfall. Dahinter, in Dreiergruppen und wie alle anderen im Gänsemarsch, gingen die 13 Packpferde an der Hand von Patrick, Paul, Maria und deren Schwester Aida. Danach kamen die Gäste, während Joyce und ihr Packpferd, das heimwärts an die Hand von Dörthe wechselte und keinen weiteren Artgenossen am Schwanz hängen hatte, das Schlusslicht bildeten. Völlig anders war auch das diesjährige Konzept, denn während wir 2002 die Tanya Lakes als Ziel hatten und täglich ein neues Lager aufschlugen, blieben wir 2011 zwei Nächte im ersten, vier im zweiten Lager und erkundeten von diesen aus auf langen Tagesritten die Umgebung.

      Der Anfang der Tour bot gleich den Packpferden einige Schwierigkeiten, denn es galt, das 2010 bei einem großen Buschfeuer verwüstete Waldstück zu durchqueren, wo die meisten der verkohlten Baumstämme nicht mehr standen, sondern gemeinsam mit großen Steinen und Felsbrocken kreuz und quer und übereinander liegend den Boden bedeckten. Als nächstes zogen wir durch ein weites sumpfiges Tal, uneben, von tiefen Gräben, Bächen und kleinen Seen durchzogen, und in dem bis zu vier Meter hohe, dichte Weidenbüsche ganze Abschnitte blockierten. Die Pferde wussten aber damit umzugehen, senkten den Kopf, erkannten die Lücken im Gewirr und erzwangen mit Hals und Schulter den nötigen Durchschlupf, ohne das Tempo merklich zu reduzieren. Für den Reiter waren sie in dieser Situation aber nicht zuständig, denn, ähnlich wie im dichten Wald, wo ihm Knie oder Ellenbogen signalisieren, dass er die Situation falsch eingeschätzt hat, melden sich hier die Oberschenkel oder höher gelagerten Körperteile, dass er zurückschwingende Triebe übersehen hat. Aber Reiterblut ist keine Buttermilch, und damit geht es weiter, und am Ende des Tales mehrere Stunden im Wald bergauf bis wir subalpines Gebiet und unseren ersten Lagerplatz erreichen. Das Plateau ist leicht hügelig, und ein kräftiger, eiskalter Bach trennt unser lichtes Wäldchen von der großen Bergwiese, an deren Rand sich in etwa zwei Kilometer Entfernung krüppeliger Fichtenwald wie ein stummer Wächter aufgestellt hat. Auf der anderen Seite, und uns im Rücken, überbrücken ebenfalls Waldstücke und Hügel den Weg zu den ersten kleinen Bergkämmen, auf denen zahlreiche Schneeflecken daran erinnern, dass auch hier der Sommer kalt und verregnet war. In Kanada heißt das aber auch, dass die Mücken erst jetzt ausschwärmen, statt ihre Saison schon beendet zu haben. Diese Biester sind auch lästig, aber das mitgebrachte Spray mögen sie gar nicht und drehen kurz vor dem Aufsetzen wieder ab. Am Bach muss man aber ziemlich schnell sein, um die Stinkschicht auf „Haut und Zwirn“ wieder anzubringen, denn sonst sind die an sich lahmen Quälgeister, die man locker mit der Hand im Flug wegfangen kann, sehr schnell bei ihrer ungeliebten Arbeit. Die Natur hatte mit uns aber schnell ein Einsehen, schickte nachts nochmals Neuschnee auf die Bergkämme, und der leichte Nachtfrost reichte aus, um diese Plagegeister ins Jenseits zu schicken, während am ersten Abend der Rauch des Feuers half, sie uns vom Halse zu halten.

      Und es war auch an diesem späten Nachmittag, dass sich David mit seinem Kaffeepot und einem „halben Stumpen“ zu mir auf den Baumstamm setzte und meinte: „Wir kennen uns nun schon länger, ich weiß wie ihr reitet, und ihr habt auf diesem Trip beide zwei sehr gute Pferde. Ab morgen könnt ihr jeden Tag mit Patrick eure eigene Tagestour reiten und kehrt nur abends ins Lager zurück, während die übrigen Gäste mit mir und Paul in leichteres Gelände gehen“. Als er meine Freude bemerkt fügt er nickend an: “Patrick kennt in den Rainbows jeden Winkel, ist ein ganz ausgezeichneter Horse- und Mountain-Man, und geht, trotz aller Verwegenheit, niemals ein Risiko ein. Ihr könnt Euch auf ihn und die beiden Pferde voll verlassen, denn sonst würde ich das nicht erlauben. Nur am vorletzten Tag, da gehen wir drei zusammen. Ich möchte zwei uralte Jagd-Camps von meinem Großvater suchen und Euch mitnehmen.“ Und nach einer kurzen Pause meinte David noch, dass das alles richtig gute Ritte würden, wie früher, als jeder noch sein eigenes Tal und die Wege dorthin suchte.

      Und genau so war das dann auch. Mit Patrick waren wir jeweils zehn bis zwölf Stunden unterwegs, und fast immer am Limit. Zum zweiten Lager ritten wir drei wieder „unsere“ Spezialroute über die Berge und setzen dort unsere täglichen Ritte durch schweres Gelände fort. Der sehr lange Tag mit David fügte sich nahtlos an jene Superritte an, denn auch auf der erfolgreichen Suche nach den alten Jagdcamps, die David in neue Touren einfügen möchte, hatte man das Gefühlt, als wäre man im „Wilden Westen“ auf der Suche nach einer neuen Heimat. Und selbst der letzte Tag war ein weiteres Highlight, denn gemeinsam mit den Packpferden nahmen wir eine Abkürzung, die an Schwierigkeiten kaum etwas ausklammerte, weder Schnee noch die Überquerung von drei Bergzügen, um den Trailhead auf kürzestem Wege zu erreichen, während der restliche Tross mit mehr Kilometer in leichterem Terrain nach Hause ritt.

      Und die Tage mit Patrick in den Rainbow Mountains? Zunächst, es ist ein riesiges Gebiet im Norden des Tweedsmuir Provincial Parks, den der Dean River im Nordwesten, die Coast Mountains mit Eisfeldern und Gletschern im Süden, und im Westen das Bella Coola Valley mit Regenwald und gigantischen Roten Zedern begrenzen, während im Osten das Interior Plateau, Cattle und Cowboys das Bild bestimmen. Und Patrick – schlank, mager, zäh, unrasiert, Sechzig-Kilo-Typ, Mitte Vierzig, kompetent, furchtlos, einer der zupacken kann, ein Naturmensch und echter Pferdemann – hat uns alles gezeigt, was man in dieser grandiosen, einsamen Natur überhaupt zu Gesicht bekommen kann. Bis hoch an die Gipfelspitzen sind wir geritten, bis dorthin, wo die letzten Meter wirklich nicht mehr machbar waren, auch nicht zu Fuß, und nur selten noch auf allen Vieren. Dort oben, wo Wälder, Täler, Seen und Flüsse etwa zweitausend Meter unter uns lagen und der Blick auf Augenhöhe über die bunten Berge bis hinüber zu den Küstengebirgen schweifte, wo sich der Mount Weddingten mit seinen 4.019 Metern in die Höhe reckt begriffen wir, was wir diesen Pferden zu verdanken hatten. Es war eine traumhafte Welt, fast aus der Vogelperspektive und mit 360 Grad Rundblick. Und das alles mit einer ganzen Woche Sonnenschein, der nur ein einziges Mal für zwei Stunden hinter fetten Regenwolken verschwand. Und von hier oben sahen die unendlichen Täler wunderbar eben aus, doch in Wirklichkeit waren ihre Talböden alles andere als leichtes Gelände. Sumpf, Gräben, breite und tiefe Bäche, Flüsse, Felsbrocken, Weidenbüsche, Baumgruppen, Tümpel, dichte Waldstreifen und Hügel entpuppten sich erst als solche, wenn man sie durchqueren musste. Und was immer auch kam, Patricks brauner Wallach marschierte flotten Schrittes überall durch, und unsere beiden Stuten folgten ebenso furchtlos und sicher. Selbst Georgia, die sich anfangs doch ziemlich bitten ließ, stand jetzt unter „Volldampf“. Nur ihre äußerste Vorsicht, die gab sie nie auf. Was diese drei Pferde an