Westernchaps übergeschnallt und eine wetterfester Umhang übergezogen. Dass dieser in sich gekehrte Mann sehr belesen und kompetent ist, wenn es um die verschiedensten Themen dieser Welt geht, überrascht mehr, als dass man es erwartet, und seine Ansichten hierzu würden wohl die meisten seiner Zuhörer sofort unterschreiben. Und diese Persönlichkeit dürfte es auch sein, die ihn so sympathisch macht. Und sie? Joyce ist groß, hager, zäh und mittelblond, ein verlässlicher Kumpel, der ebenfalls hart arbeiten muss, und ein absoluter Pferde- und Outdoor-Typ, der nichts vom Stadtleben, Fernsehen oder Menschenmassen hält. Käme die Zivilisation der abgelegenen Ranch zu nahe, ich glaube, sie würde sich dann weiter in die Einsamkeit der Natur zurückziehen wollen. Gemeinsam sind diese beiden großartigen Charaktere ein unschlagbares Gespann, und Tochter Leslie folgt bereits den Spuren ihrer Eltern.
Beim Aufbruch am nächsten Tag regnet es heftig, doch macht das komischerweise niemandem etwas aus, obwohl wir schon zum Frühstück im wetterfestem Anorak und Regenhose antreten. Die Stimmung ist einfach bestens, und die losziehende Regenkarawane muss auch unbedingt auf Sabines Film, denn unterwegs kann man nicht bei jeder guten Gelegenheit anhalten. Unter einem großen Regenschirm klappt das auch sehr gut und ohne jegliche Folgen für die sensible Technik. Die Videofilmerei ist normalerweise ganz allein Sabines Sache, doch bei diesem schweren Regen nimmt sie lieber meinen Schimmel ins Schlepptau und zieht mit der Meute an mir vorüber. Der Boden, den wir heute betreten, ist ein historischer. Es ist ein Teilstück des „Greace Trails“, jenes Indianerpfades, der schon vor Hunderten von Jahren das Landesinnere mit der Küste verband. Von Weg ist natürlich keine Rede, sondern der Trail gibt heute eher die Richtung vor, doch mögen hier und dort die Hufe unserer Pferde durchaus auch die alten Indianerspuren direkt berühren. Wir reiten auch nicht nur durch wunderschöne Täler, tiefe Wälder oder über Hügel, sondern das Gelände ist insgesamt recht anspruchsvoll. Längere Zeit reiten wir auch am schmalen Rand einer tiefen Schlucht bergab, und dabei haben die Pferde „alle Beine voll“ zu tun, um an diesem Hang, der auf der Talsohle des Canyons endet, die richtigen Tritte zu finden. Vorher gab es auch größere Bachläufe zu durchwaten, und den einen oder anderen tiefe Graben hinter sich zu lassen. Und wie die Pferde das erledigten, obwohl sie größtenteils ungeübte Reiter im Sattel hatten, erstaunte einmal mehr. Schmale Gräben sprangen die Nachfahren jener spanischen Mustangs, die Cortez einst mit nach Amerika nahm, und die die Indianer zu Reitern machten, fast aus dem Schritt, bei breiten trabten sie unaufgefordert kurz an, sprangen an das gegenüberliegende Ufer, und mit einem zweiten Satz wieder nach oben. Dort setzten sie ihre normale Gangart fort als wäre nichts gewesen.
Gegen Mittag hat der Regen aufgehört, doch Davids Feuer ist sehr willkommen, als wir im Hochwald pausieren, dessen Boden mit Moosen, Farnen und kleinen Sträuchern bewachsen ist. Neben unserer Lichtung rauscht ein stürmischer, breiter Bach mit viel Gefälle vorbei, den man wohl besser als River bezeichnet. Oberhalb seines Ufers hat David ganz schnell einen dürren Baum zusammengesägt, der schon wohlige Wärme verströmt, als wir uns alle mit Mittagsbroten, heißem Kaffee und klammen Fingern im großen Rund um die Flammen versammeln. Wirklich nass sind wir zwar nicht geworden, denn die Regenkleidung hat gehalten, was sie versprach, dennoch, die Wärme tut gut. Nur Willie scheint weder sie noch eine Pause zu brauchen, denn er springt immer wieder hinunter zum Bach und wartet im seichten Wasser darauf, dass jemand mit ihm spielt. Rio sieht das ganz anders. Er legte sich sofort in das Huckle-Berry-Kraut – die Frucht ist eine Art sehr wohlschmeckende große Heidelbeere – und belauscht, mit dem Kopf auf den Vorderpfoten, von unten heraus das Geschehen an der Feuerstelle. Vielleicht beobachtet er dort aber auch nur ganz verwundert John, der, auf einem Baumstamm sitzend die nackten Füße auf einen großen Stein stützt und seine Socken und Wildlederhalbschuhe an zwei langen Stöcken Richtung Feuer hält, um sie zu trocknen. Ein köstliches Bild, doch „eine solche Ausrüstung“ gehört überall hin, nur nicht auf einen Trailritt.
Wieder im Sattel führt der Weg weiter bergab. Links der Bach in seiner immer größer und tiefer werdenden Schlucht, rechterhand zieht dichter Wald nach oben und lässt uns wenig Raum. Hier geht es aber nicht anders, und als wir wieder vom Gewässer abdrehen und versuchen, den besten Weg im Gänsemarsch durch den Wald nach unten zu finden, kommt der Tross zum Stehen. David ruft nach der Motorsäge und Axt. Das hatten wir schon mehrfach, aber dieses Mal sieht es ziemlich wüst aus, was da vor uns über- und durcheinander den Weg versperrt. Außerdem ist der Hang ziemlich steil, durch den Regen rutschig geworden und mit vielen dicken Wurzeln durchsetzt. Wir Männer sitzen ab, stellen die Pferde quer und helfen David und Paul in den nächsten dreißig Minuten das Windbruch-Chaos soweit zu beseitigen, dass auch die Packpferde durchkommen. Die restlichen Stunden verlaufen unkompliziert. Wir reiten zunächst durch ein langes Tal, dann über eine letzte Anhöhe und erreichen das Smoke House am Tanya Lake bei schönstem Sonnenschein. Auf den letzten Kilometern nach hier wurden auch die Schritte unserer Pferde immer freier. Sie waren zwar in diesem Jahr noch nicht hier, aber sie kennen die herrlichen Wiesen, die sie hier erwarten. Wir sehen das mit einem lachenden und einem weinenden Auge, weil unser Ritt hier zu Ende geht. Wir würden gern noch weitermachen, ohne Wenn und Aber, und ohne Ausnahme. Auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir heute das Wetter aller vier Jahreszeiten kennengelernt haben und wissen, dass das jederzeit wieder so sein könnte. Wirklich gestört hat es uns aber nicht, und es war auch unter diesen Bedingungen eine runde Sache und ein toller Tag, so wie der gesamte Ritt.
Die Schwarzen Berge, das Mackenzie-Tal und der Grease Trail, auf dem einst die Küstenindianer mit Fischöl ins Innere des Landes zogen, um ihre Ware gegen Felle einzutauschen, waren Stationen, der Tanya Lake unser Ziel. Dazwischen lagen alpine Wiesen, Sümpfe, Bäche, Flüsse, Wasserfälle, Geröll- und Steinfelder, tiefste Wälder, Schluchten, steilste Hänge, Moränen, glatter Fels, dichtes Unterholz, Hochebenen mit Weidenbüschen, die Ross und Reiter verdeckten oder die Rainbow Mountains, eine Droge, die die Augen beruhigte. Unser Weg war voller Stille, Schönheit, Weite und menschenleer. Unsere Pferde, die keinen Stall kennen, waren großartig. Auf der Hinterhand rutschten sie mit absoluter Sicherheit in tiefe Gräben, oder übersprangen sie, wenn ihnen das ratsamer erschien. An Hängen mit Wurzeln, Steinen, Baumstämmen waren sie in der Lage, ihre Richtung mit dem nächsten Schritt um 180 Grad zu ändern, und dennoch sicher aufzufußen. Wurde es abwärts glitschig, kannten sie die Festigkeit des Gebüschs und wichen nach dort aus. Stets aber vorsichtig, und nur in der Not mit einem ordentlichen Satz. Und hatten sie am Wasser Flussbettzustand und Tiefe erkannt, ging es mit aller Ruhe zielstrebig weiter. Diese Pferde, Quaterhorses oder Kreuzungen mit ihnen, waren in keiner Situation hektisch oder unsicher, und eigentlich suchten sie sich ihren Weg ganz allein. Ihre Tritt- und Geländesicherheit, ihre Ruhe waren verblüffend. „Reiten können“ muss man nicht unbedingt, um sich mit ihnen die Natur zu erschließen. Es reicht, mit Pferden vertraut zu sein, oder ihnen das Vertrauen ganz einfach nur zu schenken. Normal gute Fitness, keine Angst und sich den rustikalen Gegebenheiten anpassen zu können, sind für ein solches Abenteuer jedoch unerlässlich. Morgen- und Abendtoilette am Bach und im Busch gehörten ebenso zum Erlebnis, wie die Nachbarschaft zu Bären und Elchen und die Abende am Lagerfeuer, wenn nach getaner Arbeit so manche Geschichte die Runde machte. Von David erfuhren wir sehr viel über seine Vorfahren und Ansichten zur Natur und ihren Geschöpfen. Und wir stellten fest, dass nicht nur ein Europäer von diesem großartigen Charakter noch sehr viel lernen kann.
An diesem Abend wird das „Smoke House“ – neun Jahre später fast zugewachsen – zum Mittelpunkt unseres Camps. „Haus“ ist übertrieben, denn das mit Rindenschindeln abgedichtete Baumstammdach ruht lediglich auf acht Pfählen, vielmehr gibt es nicht. Die Tanya Lakes jedoch, auch bekannt als Long Lakes, waren etwa viertausend Jahre lang für die Ulkatcho Indianer und ihre Nachbarn ein wichtiger Treffpunkt, wenn in jedem Juli die Steelheads und Spring-Salmons vom Dean River kommend den Takia hochschwammen, um ihre Laichplätze zu erreichen. Dann versammelten sich die Ureinwohner an den Fällen, um ihren jährlichen Fischbedarf, der an Ort und Stelle geräuchert und getrocknet wurde, zu decken und feierten auch ein großes Fest. Sie kamen sogar von so weit entfernten Orten wie Nazko und Kluskus im Osten, von Burns Lake und Choslatta im Norden, vom Chilcotin im Süden und Bella Coola im Westen. Der Fischfang galt gleichzeitig auch als wichtiger sozialer Treff, denn das ganze Jahr über lebten diese „Native People“ in kleinen, isolierten Familiengruppierungen. Hier konnten sie sich ihre Geschichten teilen, handeln, und ihre traditionellen Spiele und Riten gemeinsam zelebrieren. Damit wurden diese Seen für sie auch zu einem wichtigen kulturellen