Erhard Heckmann

100.000 km zwischen Anchorage, Neufundland, dem Pazifik und New Mexico - Teil 2


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Wohnambiente gleicht, gibt es viele schöne Kleinigkeiten zu entdecken. Unter den Gemälden befindet sich auch eins von Salzburg, denn „Lady Enubi“, zusammen mit Petrus Rykes die Gastgeber, ist dort geboren und passt eigentlich weder in die österreichische Gebirgswelt, noch in kanadisches Cowboyland. Ihr Typ ist eher der einer gewichtigen Operndiva, äußerst gepflegt, mit Scharm, Humor, Geist, Geschmack fürs Detail und sehr viel Herzlichkeit. Hier fühlen wir uns auch sofort wohl, und als wir acht Jahre später auf dem Weg zur Fähre nach Bella Coola hier wieder einkehrten, haben wir im wunderschönen neuen Anbau Geburtstag gefeiert und dabei spontan beschlossen, dass wir 2011 zu einem siebentägigen Ritt in die Wildnis wiederkommen werden. Anfangs war dieses neue Vorhaben auch ein wenig der guten Feierlaune geschuldet, denn ursprünglich waren Peru, Chile und Argentinien angedacht, doch im November war die Reiseroute längst detailliert auf Papier, Flug und Wohnmobil gebucht, und es stand auch fest, dass Tochter und Enkelin mitkommen.

      An dieser Stelle sind wir davon aber noch neun Jahre entfernt, und jetzt stimmen wir uns zunächst auf die kommenden Tage mit vier Reitern aus Calgary ein, mit Kris, John, Heather und Ferdl, der in Kärnten zur Welt gekommen ist, und seit vielen Jahren in Kanada als Geologe gearbeitet hat. Die beiden Damen waren Krankenschwestern, während John als Lehrer schon an vielen Orten unterrichtet hat, auch im hohen Norden, wo der Mackenzie ins Polarmeer fließt. Und das, was sich an unserem ersten Abend bereits abzeichnete, wurde später auch bestätigt: Diese Truppe passte zusammen wie die berühmte Faust aufs Auge.

      Und das traf noch mehr auf unsere wirklichen Gastgeber zu. Auf Joyce, David und Paul, unsere Pferde Escort und Richard, und die beiden Border Collies Willie und Rio, die uns das Abenteuer Pferd und Wildnis ermöglichten.

       Die Karawane zieht los, mit 26 Pferden, 13 Reitern und drei Hunden

       … mit Ziel Rainbow Mountains in British Columbia

       Abenteuer pur – im Sattel durch unberührtes Land

      Als sich unsere neuen Freunde für die Nacht in ihre Blockhütten zurückziehen, machen auch wir uns auf den kurzen Weg zum Wohnmobil und sind schon jetzt der Meinung, dass es stimmt, was uns immer wieder bestätigt wurde: Wer hier lebt, der kann sich mit europäischem Stadtleben nicht mehr anfreunden, und zurück will er sowieso nicht wieder. Geschenkt wird auch hier niemandem etwas, aber was macht dieses Land, das von Ost nach West etwa 5.500 Kilometer misst, dann so anziehend? Worin liegt seine Faszination? Es ist wohl die großartige Natur mit ihren Tieren, und ganz besonders die unendliche Weite. Europa kann auch mit großartigen Landschaften glänzen, aber von Norwegen einmal abgesehen, ist alles „ eng und klein“, und seine Straßen sind überfüllt. In Kanada kann man stundenlang fahren oder wandern, ohne einem Menschen zu begegnen, dem Ruf der Wildnis lauschen, Bären und Elche beobachten, an wunderschönen klaren Bergseen und weitab von der nächsten Ortschaft sein Zelt aufschlagen oder das Wohnmobil parken, statt Massentourismus an zubetonierten, lauten Stränden oder Fahrzeug an Fahrzeug auf Campingplätzen akzeptieren zu müssen. Hier, im Land der Goldschürfer, Pelzhändler, Indianer, Cowboys, Bären und Wale taucht man das Paddel in das Wasser kristallklarer Seen, erlebt tosendes Wildwasser im Kajak, ist mit den Buschfliegern zu entlegenen Gebieten unterwegs, fliegt über kilometerlange Gletscher und Eisfelder, kann tagelang durch unberührte Landschaft reiten und sitzt abends mit Gleichgesinnten am Lagerfeuer. Sicherlich schwingt auch ein Hauch „Wilder Westen und Freiheit“ mit, wie auch die Vielfalt, die dieses Land bietet, bis hin zu seinen großen und quirligen Metropolen wie Toronto, Quebec oder Montreal, die aber dennoch irgendwie anders sind. Riesige Prärien, unendliche Tundren, Küstenregenwälder, wüstenartige Trockenregionen, karge Fischerdörfer auf Neufundland, oder liebliche Städte wie das wunderschön am Pacific gelegene Vancouver, das mit seinem Flair an das neuseeländische Auckland erinnert, all das gibt es hier. Auch Konsumtempel wie die weltberühmte West Edmonton Mall in Edmonton gehören zum Gesamtmosaik. Das Einkaufsparadies, das mehr als achthundert Geschäfte, elf Kaufhäuser, über einhundert Restaurants, etwa zwanzig Kinos, Schwimm- und Wellenbäder und vieles andere mehr unter einem einzigen Dach vereint, hat bei seinem Bau eine halbe Milliarde Euro verschlungen. Und gleich um die nächste Ecke, egal wo, wird auf Rodeos der Sport gezeigt, der sich aus der Arbeit der Siedler, Cowboys und Rancher entwickelt hat und ihr tägliches Brot ist. Kanada heißt auch Mountainbiken, Galopprennen, Eishockey, Schlittenhunde, Wintersport, klirrende Kälte und holprige Forststraßen. Insgesamt ist es ein Gemisch aus viel mehr als nur traumhaften Landschaften. Vielleicht ist es die Summe aus allem, die uns so sehr in dieses Land zieht.

      Hier am Anahim Lake sind jene Glitzerfassaden jedoch weit weg. Hier ist Bärenland, und man ist auf Schotterpisten in ursprünglicher Natur unterwegs, zu der ganz besonders auch British Columbias größter Provinzpark, der „Tweedsmuir“ zählt. Es ist ein Schutzgebiet, das Wälder, Täler, Wiesen, Sümpfe, Seen, Flüsse, Gletscher und Berge vereint, und dessen straßen- und weglose Wildnis Caribous, Bergziegen, Schwarz- und Grizzlybären, Elche, Hirsche, Adler und andere Tiere schützt. Ein besonderes Juwel ist das von Erzen geprägten vulkanischen Gestein der Rainbow Mountains, deren Rot, Violett oder Gelb um die Wette zu eifern scheint und diesen Bergen den Namen gab. Morgen werden wir mit Pferden in dieses Gebiet aufbrechen, und deswegen wird es nun auch Zeit, unsere beiden Packsäcke zu schnüren. Zeitaufwendig ist das nicht, denn Sabine hatte schon rationell ausgewählt und für jeden seine „Häufchen“ zurechtgelegt, getrennt für Tag, Nacht, Toilette und Reserve. Verpackt in Plastiksäcken und im jeweiligen wasserdichten „Duffel Bag“ verstaut, haben beide Taschen noch viel Platz, denn die Regenkleidung gehört zur Tour und kommt direkt hinter den Sattel. Unterwegs stellt sich die getroffene Auswahl schnell als perfekt dar, und das oftmalige Nein zu „Muss-Es-Mit-Oder-Nicht“ war genau richtig.

      Das Frühstück am nächsten Morgen ist kräftig, danach bringt uns Petrus mit seinem Jeep zum Trailhead im Tweedsmuir Park, unserem Treffpunkt mit den Dorseys. „Saddlehorse Meadows“ nennt er sich offiziell, und als wir ankommen sind unsere Gastgeber längst bei der Arbeit. Der erste Blick signalisiert erhebliches Durcheinander, doch es hat Methode. An drei Stellen sind gesattelte Pferde angebunden, hier ihre, dort „unsere“, die restlichen sind mit Tragegeschirren bestückt. Manche von ihnen knabbern an einem Heuballen, andere dösen vor sich hin. Ein Brauner kann über die anstehende Tour lächeln, denn er war Reservepferd und wird eben wieder in den Transporter eingeladen. Dieser entspricht auch nicht europäischen Verhältnissen, sondern ist ziemlich lang und tief gelagert, hat kleine vergitterte Fenster, und die 12 bis 14 Pferde stehen quer zur Fahrtrichtung. Was noch auffällt? Haufen von Seilen, Kisten und ähnlich große, grüne Plastikbehälter, Kartons und anderer Kram liegen und stehen auf diesem Waldplatz herum, mitten drinnen die geschäftigen „Outfitter“ Joyce und David, Tochter Linsay und Ayleen, die Praktikantin. Diese beiden Achtzehnjährigen helfen beim Packen, fahren anschließend den Transporter wieder zurück und kümmern sich während der Abwesenheit vom Boss um die Ranch. Und dann ist da noch Paul, Davids Nachbar, der unseren Trupp als dritter Mann begleitet. Nach flüchtiger Begrüßung, bei der wir feststellten, dass wir rein gar nichts helfen können, macht sich die Mannschaft wieder ans Werk. Zelte, Schlafsäcke, Regenplanen, Hufeisen und -nägel, Hammer, Zange, Gewürze, Lebensmittel und Getränke, Feuergestell, Töpfe und Pfannen, Wasserfilter, Flüssigseife, Mückenspray, Bremsenöl für die Pferde …, alles wird in festen Packsäcken verstaut und vor dem Verschnüren gewogen. Hier muss etwas raus, dort mehr rein, denn die neun Packpferde müssen auf jeder Seite pfundgenau beladen werden. Die Säcke der Gäste werden markiert, denn abends schnappt sich künftig jeder den seinen und bringt ihn morgens wieder frisch geschnürt zum Aufladen zurück. Und während Paul und David, der ab und an einen wortlosen, verstohlenen „Musterungsblick“ in unsere Richtung schickt, Packsäcke und kistenartige Behälter auf die Packpferde verteilen, mit Gurten und Seilen sichern, anschließend mit Regenplanen abdecken und erneut mit Seilen festziehen, machen uns Joyce und Ayleen mit den uns zugedachten Pferde bekannt.

      Sabines zehnjähriger Rappe, ein flotter Quarterhorse-Wallach, heißt Escort, ist kompakt, abgedreht und hat eine kräftige Hinterhand.