Alina Tamasan

Eine verborgene Welt


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      „Meinen Vater wird es freuen mitzukommen, aber meine Mutter nicht, sie will das alles hier nicht.“

      „Was noch?“

      „Wenn er kommt und mir zuschaut, dann wird er wieder seine Faxen machen. Also dieses Mich-stolz-anschauen und dabei die Hände reiben und tanzen und was weiß ich alles. Denn ich bin ja sein besonderer Sohn … also, lieber nicht, ja? Bitte, lass mich alleine kommen.“

      „Es ist aber notwendig, dass deine Eltern dabei sind“, antwortete Pythera knapp.

      „Warum?“, fragte Rangiolf verwundert.

      „Weil …“, die Heilerin stockte, und ihr Blick wurde auf einmal sehr nachdenklich.

      „Weil?“, hakte der Gniri nach.

      „Das wirst du dann sehen. Und nun schau, dass du raus kommst, die Raupen warten! Die, die du da in deinem Beutel hast, reichen bestimmt nicht aus, um Hiara zufrieden zu stellen, oder?“ Rangiolf atmete geräuschvoll aus. Er war nicht zufrieden mit Pytheras Antwort. Sie machte immer Andeutungen, die seine Neugier entfachten, nur, um ihm dann zu sagen, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern. Warum tat sie das? Er sah sie trotzig an und suchte in ihrer Miene nach einer Antwort.

      ‚Alles zu seiner Zeit‘, sagten ihre bernsteinfarbenen Augen, die in einem zeitlosen Antlitz ruhten, das gleichzeitig unendlich alt zu sein schien. So oft hatte Rangiolf sie fragen wollen, wie alt sie denn eigentlich sei, aber er hatte sich nie getraut, denn solche Fragen galten als unhöflich. – Er erhob sich und verabschiedete sich mit einem stummen Kopfnicken. Dann trat er ins Freie und kletterte hinunter auf den Waldboden.

      „Sooo“, grunzte er und schob einen leisen Schmatzlaut hinterher, „nun schauen wir mal, was die Raupen machen, wie viele ich wohl noch brauche?“ Er öffnete den Beutel, der links an seinem Gürtel hing, und stellte zufrieden fest, dass sich der Inhalt noch rege bewegte. „Jaaa, das Futter, das ich euch gegeben habe, schmeckt euch, was?“, lächelte Rangiolf. „Aber, ihr seid mir noch viel zu Wenige. Hiara kommt heute, wenn die Sonne hoch steht, also muss ich noch ein paar finden, denn die Steine …“, er schnürte den Beutel zu und öffnete den auf der rechten Seite, „sind zu wenige, der Bedarf ist hoch.“

      Wie von einer Tarantel gestochen sauste er los. Er hüpfte geschickt über umgefallene Baumstämme und schob sich durch schmale Durchgänge in dornigem Gestrüpp. Dabei wanderten seine hellblauen Augen suchend die Umgebung ab. Im Laufen sah er sich die Blätter der Bäume, das feuchte Moos und die Samen von Buchen an – überall konnte eine Raupe kriechen! Dann entdeckte er etwas und blieb abrupt stehen: Eine Nuss!

      „Oh“, staunte Rangiolf, „eine Walnuss. Normalerweise findet man die hier nicht …“ Er kratzte sich am Ohr und drehte das runde Gebilde in seinen bekrallten Fingern hin und her. Dann hielt er inne. Irgendetwas hatte mit scharfen Werkzeugen ein Loch hinein gefräst. Er linste hinein, konnte aber nichts erkennen. Dann richtete er sein Ohr auf, schüttelte die Nuss und horchte. Was konnte nur darin hausen? Rangiolf runzelte die Stirn. Ganz behutsam schob er die lange dünne Kralle seines kleinen Fingers in das Loch. Kaum, dass er drinnen war, spürte er schon einen Widerstand.

      „Hab ich dich“, rief er, „wie kriege ich dich nur heraus ohne dich zu durchbohren?“ Er begutachtete noch einmal das Loch. Es war viel zu klein. „Vielleicht die Schale zerstören?“ Er zog seine Kralle heraus und drückte die Nuss so lange in der Faust, bis die Schale ächzend auseinander brach. Was nun in seiner hellen schlammfarbenen Handfläche lag, fand er wunderschön: Es war die größte und dickste grüne Raupe, die er je gesehen hatte. Man denke, in einer Walnuss, wie eigenartig! Er pustete sie an und stellte zufrieden fest, dass sie sich bewegte. „Ich frage mich nur, wovon du dich ernährt hast, die Nuss war hohl. Na ja, keine Zeit, darüber nachzugrübeln, du wirst mir viele Steine einbringen!“

      Er lief wieder los. Jetzt hielt er nur noch nach Nüssen Ausschau, aber seine Suche blieb ergebnislos! Als die Sonne schon hoch am Himmel stand, musste er sich murrend eingestehen, dass er seine ganze Zeit damit vergeudet hatte, nach besonders dicken Raupen zu suchen, obwohl es auf Baum und Boden von anderen nur so wimmelte. Auf dem Weg zu Hiara sammelte er noch einige ein. Dann bestieg er die Krone des höchsten Baums im Wald, kletterte bis in den letzten Wipfel und wartete dort. Eine sanfte Brise kam auf und wiegte sanft die Spitze des Mitteltriebs, an den er sich klammerte.

      „Komm schon“, rief der Gniri leise, „hier oben ist kein Ort für einen wie mich. Besäße ich Flügel, wäre es was anderes und … hm, selbst dann nicht. Ich liebe nun mal die Erde und den dicken, stabilen Ast eines Baums, das Geschaukel macht einen ja vollkommen …“ Er konnte seinen Satz nicht mehr beenden. Hiara war da.

      Als Bodenbewohner bekam man selten solche Wesen zu sehen, geschweige denn, dass sich mit einem von ihnen ein Gespräch ergab, denn sie lebten hoch in den Lüften bei den Vögeln. Er aber, als Barde und Putzmann, der Blatt und Boden von Schädlingen befreite, hatte häufig Kontakt zu ihr, denn sie schätzte seine Raupen.

      „Ich hoffe, deine Vögel mögen sie“, sagte Rangiolf und hielt ihr den geöffneten Beutel hin. Hiara, die von Weitem leicht mit einer hellen Wolke verwechselt werden konnte, schwebte näher heran. Ihre großen silbernen Augen wanderten interessiert über den Inhalt und ihr rundes milchig weißes Gesicht formte sich zu einem zufriedenen Lächeln.

      „Ja“, antwortete sie. Ihre Stimme klang wie der Wind. Dann formte sich aus ihrem Wolkenkörper ein Arm mit einer zartgliedrigen Hand.

      „Die!“ Sie zeigte auf die dicke Raupe, die sich auf dem weichen Lager, das die anderen bildeten, genüsslich hin und her räkelte. „Die ist was Besonderes, selten anzutreffen und für Vögel äußerst schmackhaft.“ Nun sah sie den Gniri an und ihm war, als blicke sie in sein Herz. „Mach’ dir keine Sorgen, alles löst sich. Sieh die Raupe als Zeichen. Du bist was Besonderes, Finilya ist was Besonderes, eure Ehe ist besiegelt.“

      „Du musst schön sein für die Zeremonie“, Irukye kämmte Rìa vorsichtig das Haar. „Das macht einen guten Eindruck! Und wenn Pythera sieht, was für ein ordentlicher Mann du bist, wird sie vielleicht auch etwas für Rangiolfs und Finilyas Hochzeit spenden.“ Der alte Gniri schüttelte den Kopf.

      „Hochzeit, du immer mit deiner Hochzeit. Du weißt genau, dass Finilya noch viel zu jung ist. Außerdem: Was will ein reisender Ovate mit einer Frau?“

      „Was will er nicht mit einer Frau?“, gab Irukye zurück. „Hat uns Pythera zu Rangiolfs Ovatenweihe eingeladen oder nicht, he? Das will was heißen! Und überhaupt, Ovaten müssen nicht reisen, nicht wahr, Finilya?“ Sie sah zu ihrer Tochter, die sich ebenfalls das Haar kämmte. Die Gniri zuckte erschrocken zusammen und sie erinnerte sich an die Worte der Heilerin, ihnen Bescheid zu geben – über alles! Was wusste Pythera über ihren und Rangiolfs Weg, was Finilya selbst nicht wusste oder nur ahnte?

      ‚Alles‘, kam ihr in den Sinn, ‚sie kann hellsehen, das ist einfach so.‘

      „Finilya?“ Irukye riss sie aus ihren Gedanken und sah sie groß an.

      „Also“, hüstelte die Gniri zögerlich, „komm, Mama, setz dich bitte einen Augenblick zu Rìa, ja?“

      „Ich muss noch deinen Vater zu Ende kämmen.“

      „Bitte, Mama.“ Irukye hielt inne. Ihre Tochter setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand. „Du hast recht. Pythera wird vermutlich etwas drehen, sodass wir heiraten können. Rangiolfs Eltern werden ihre Entscheidung achten müssen. Aber Ovaten, Mama, die reisen viel. Das bedeutet einerseits, dass Rìa keine Mitgift entrichten muss, andererseits aber auch, dass ich euch mit Rangiolf verlassen muss.“ Während sich Irukye noch unschlüssig war, ob sie nun mit Freude oder Trauer reagieren sollte, stand Rìa die Enttäuschung deutlich ins Gesicht geschrieben.

      „Ich weiß, dass du enttäuscht bist, Papa, aber Rangiolf ist ein guter Mann, er wird auf mich aufpassen.“

      „Ja“, murmelte der Alte und senkte den Blick. „Genauso wie ich es damals Irukye versprochen habe.“ Er sah sie mit müden Augen traurig an.

      „Oh“, rief Rangiolf auf einmal bestürzt, „ich wollte