Regina Page

Hotel der Alten


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Mund von Gerlinde, die aber begreift nicht, was Hilde ihr damit zu verstehen geben will.

      „Gerlinde“, Hilde spricht sie jetzt direkt an, „Sie haben da etwas am Mund.“ Kleckse – die bis in die Haare gelandet sind. Die Soße vom Gulasch hat sich bis zum Kragen vom Kittel verteilt. Gerlinde reagiert, sagt aber nichts. Sie wischt sich mit ihrem Handrücken den Mund sauber.

      Hilde wartet noch ein paar Minuten. Doch ihre Neugier ist groß, sie macht einen neuen Versuch Gerlinde in ein Gespräch zu verwickeln.

      „Haben Sie schon ihre Möbel mitgebracht?“

      „Ja, einige wenige, habe nur meinen Sessel und ein paar Bilder von früher mitgenommen.“ Gerlinde spricht leise, viel zu leise für Hilde.

      Wie die nuschelt, kaum zu verstehen. „Ich habe alles da gelassen, ist zu groß für mein neues Zuhause, hat mein Sohn gesagt.“ Der Blick von Gerlinde sagt alles, sie ist traurig.

      „Ja, ja, es dauert eine lange Zeit bis man hier angekommen ist.“ Hilde bemerkt, wie schwer es ihr fällt, darüber zu reden. Eigentlich will Hilde sie etwas aus ihrer Lethargie holen, ihr etwas Nettes sagen, will sie trösten, doch sie hat genau das Gegenteil erreicht.

      Gerlinde in sich gesunken, sieht wie ein Häufchen Elend aus. Traurig blickt sie reaktionslos zu Hilde rüber. Hilde fragt nach Gerlindes Sohn.

      „Der ist schon gegangen“, sagt die Schwester, die ihr helfen will aufzustehen.

      „Kommen Sie, Gerlinde, ich bringe sie zu Ihrem Zimmer.“

      Gerlinde sieht Hilde nur an und nickt ihr freundlich zu, reagiert aber nicht weiter. Hilde ist sehr aufgeregt, nur die roten Flecken in ihrem Gesicht verraten es. Lässt sich aber sonst nichts anmerken.

      Vielleicht können wir ja Freunde werden, hofft Hilde insgeheim.

      Sie sitzen sich gegenüber und sagen kein Wort mehr. Hilde versucht, weiter Blickkontakt aufzunehmen, es gelingt ihr nicht. Gerlinde schaut ins Leere.

      Was hat sie nur für traurige Augen – und die Hände, was hat sie nur für Risse und Narben an den Händen? Sie betrachtet die Neue und bemerkt, wie sie immer fahriger wird.

      Hilde ist außer sich, über das, was sie an Gerlindes Händen entdeckt.

      Gerlinde bemerkt nicht, dass die Schwester noch immer auf sie wartet. Und so stupst sie den Neuankömmling leicht am Arm. Jetzt reagiert sie. Mit beiden Händen stützt sie sich an der Tischkante ab. Steht schwerfällig auf und lässt sich von Schwester Birgit helfen.

      Während sie mit der Schwester am Arm zur Tür hinausgeht, entschließt sich Hilde, die vor Mitleid Tränen in den Augen hat, Gerlinde unterstützend zur Seite zu stehen.

       Gerlinde

      Den Hof hatte Gerlinde seit vielen Jahren allein bewirtschaftet, doch die Arbeit machte ihr gesundheitlich immer mehr zu schaffen. Sie, die seit einiger Zeit nur noch mit krummem Rücken daher lief, war körperlich ausgelaugt. Sie hatte bemerkt, wenn sie den Rücken beugt, waren die Schmerzen fast verschwunden. Das machte sie von Tag zu Tag mürrischer.

      Erst vor einigen Monaten hatte Gerlinde ihrem Sohn den Bauernhof übergeben. Viel war schiefgelaufen in den letzten Jahren. Obwohl ihr die Arbeit schwerfiel, beharrte sie trotzdem auf ihr Recht, die Bäuerin zu bleiben. Der Sohn bemühte sich, alles, was mit dem Hof zu tun hat, selbst zu entscheiden.

      Er sah, wie seine Mutter die Arbeit körperlich entkräftete, und doch hielt sie an ihren täglichen Arbeiten fest. Brauchte er aber zu den Vertragsabschlüssen nach den Verhandlungen seine Mutter, die Bäuerin, um einen endgültigen Abschluss zu unterzeichnen, stellte sie sich quer. War es Starrsinn? Er dachte, es hat mit ihrem Alter zu tun.

      Argwöhnisch beobachte Gerlinde ihren Sohn bei der Arbeit und bei all seinen Verrichtungen auf dem Hof. Selbst am Abendtisch in der Küche bemerkte er ihr Misstrauen.

      „Was hast du heute so gemacht?“, fragte sie ihren Sohn.

      Gerlinde kam nicht umhin, ihn zum wiederholten Mal darauf hinzuweisen: „Ich bin die Bäuerin!“ Das waren bei jeder Gelegenheit ihre Worte. „Du willst mich nur loswerden.“ Er hatte auf ihre Frage nicht geantwortet.

      Diese Missachtung, so nahm sie es wahr, brachte sie in Rage.

      Der Tagesablauf, der sonst harmonisch ablief, zeichnete sich bald an manchen Tagen als Tortur für den Sohn und seiner jungen Ehefrau ab. Seit Gerlinde vor ihrem Kochherd gestürzt war, war das Zusammenleben mit ihr kaum zu ertragen. Alles war ihr zuwider.

      Misstrauisch beobachtete sie ihren Sohn sogar beim gemeinsamen Essen.

       Schwiegertochter Helene

      Helene kam aus der Stadt.

      In der ersten Zeit sah sie der Schwiegermutter beim Kochen zu. So konnte sie sich an das Leben auf dem Hof gewöhnen. Sie beobachtete die Bäuerin genau, um sich bei ihr an dem Ablauf im Haushalt zu orientieren.

      So störte sie ihre Schwiegermutter nur selten bei der Arbeit. So hoffte sie, ein gutes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter aufbauen zu können. Mit diesen Gedanken war sie auf dem Hof eingezogen. Doch hatte sie sich geirrt, Gerlinde zeigte ihr schon am ersten Sonntag, wie sie die schlesischen Klöße zubereiten sollte.

      „Eine Frau muss echte Knödel am Sonntag auf den Mittagstisch bringen und das muss sie einfach können. Heiß musst du die Kartoffeln durchdrücken, dann das Eigelb dazu, und wenn die Hühner kleine Eier gelegt haben, nimmst du zwei Eigelb. Muskat nicht vergessen.“

      Gerlinde war in ihrem Element. „Danach siebst du etwas Mehl darüber und knetest es vernünftig durch, verstehst du das Helene?“

      Helene versuchte, sich mit dieser neuen Situation anzufreunden.

      Doch auch bei der Haushaltführung duldete Gerlinde keinen Widerspruch.

      „Die Zimmer bleiben so, wie ich sie mal eingerichtet habe.“ Gerlinde betonte noch einmal: „Es bleibt alles so, wie es ist. Wie ich es dir erklärt habe.“ Sowie über den Hof, wollte sie sie auch über den Haushalt die Kontrolle behalten.

      „Nein“, sagte sie, „so nicht. Du musst noch etwas Mehl drunter machen, das mit schlesischen Klößen muss man im Gefühl haben.“

      Helene versuchte es noch einmal. Gerlindes Sohn kam in die Küche. Er ging an den Herd, nahm die Kaffeekanne und verschwand wortlos in die Diele.

      Helene hatte eines Tages ein kleines Tischchen mit zwei alten Sesseln aus ihrer Wohnung mitgebracht. Es sollte ihm als Ruhepool dienen. So brauchte er seiner Mutter nicht so oft begegnen. Hier im Dielenbereich las er in aller Ruhe die Sonntagszeitung. Helene drehte die ersten schlesischen Klöße zwischen ihren Händen, die so groß wie Tennisbälle waren. „Du kannst sie ruhig etwas größer rollen, Helene.“

      Gerlindes Ton wurde etwas milder. Helene machte das so, wie die Schwiegermutter ihr das zeigte. Somit war sie zufrieden mit der Zubereitung der Sonntagsmahlzeit.

      „Siehst du, der Braten geht von ganz alleine“, sagte sie und schüttete etwas Wasser auf den Schweinebraten.

      „So, Helene, ab sofort bist du für das Sonntagsessen verantwortlich. Pünktlich um zwölf steht das Essen auf den Tisch, so sind wir es gewohnt.“ Damit gab Gerlinde vorerst ihrer Schwiegertochter für den Sonntag das „Zepter“ in der Küche in die Hand.

      Die Mahlzeiten bereitete Gerlinde an den Wochentagen selbst an ihrem alten Herd zu. Oft körperlich erschöpft, war sie doch vom Tatendrang getrieben.

      Arbeit war für Gerlinde der Lebensinhalt. Oft war ihr Einsatz an die Grenze des Möglichen gelangt. Die Folgen waren, dass sie eines Tages vor Erschöpfung vor dem Herd zusammenklappte. Helene sah sie im rechten Augenblick. Sie half