Liselotte Welskopf-Henrich

Der junge Häuptling


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haben! Dorthin ist’s für uns jetzt näher als zurück nach Yankton – über den dreimal verdammten Strom!«

      »Zahl doch du selbst, was du den Waisen weggenommen hast!«, gab Bob zur Antwort.

      »Ich hab doch nichts mehr. Ich hab nie was! Darüber hat sich schon mein Alter erbost, und darum bin ich in den Wilden Westen ausgerückt. Willst du mich jetzt noch ans Sparen bringen? Das nützt einem kleinen Mann doch nichts.«

      »Ein Schweinekerl bist du!«

      »Kann ich die Jungen zu dir schicken, Bob, oder nicht?«

      »Mal sehen. Sie sollen herkommen!«

      »Gut, das ist ein Wort.«

      Pitt entfernte sich, um den beiden Bescheid zu sagen.

      Die Jungen kamen. Hochaufgeschossen waren sie, mager, muskulös. Das Wetterbraun ihrer Haut konnte nicht verbergen, dass sie blass waren.

      »Euer Vater ist nun tot«, sagte Bob. »Er hat’s nicht anders gewollt.

      Wo ist eure Mutter?«

      »Drüben in Yankton.«

      »Habt ihr noch ein Schiff?«

      Kopfschütteln antwortete.

      »Hat die Mutter Arbeit?«

      »Sie wäscht bei den Leuten.«

      »Wie alt seid ihr?«

      »Ich bin dreizehn, mein Bruder zwölf.«

      »Was wollt ihr jetzt machen?«

      »In der Hütte leben, bis der Strom sinkt.«

      »Habt ihr bis dahin zu essen?«

      Kopfschütteln antwortete.

      Bob wandte sich an den Ponka. »Was machen wir mit den beiden Kröten? Was sollen sie essen, bis sie zur Mutter hinüberkommen?«

      Jack gab keine Antwort. Er schien anzunehmen, dass eine solche Frage für zwölf- und dreizehnjährige Jungen keine Frage mehr sein könne. Aber Bobby blieb besorgt. »Hallo!«, rief er den beiden Jungen zu. »Wie weit ist es von hier bis zum nächsten Dorf?«

      »Zu Pferd eine Stunde.«

      »Die Strecke könnt ihr laufen. Ich kauf euch eures Vaters Anzug ab, den der Pitt jetzt trägt, und geb euch noch was dazu. Ihr kauft euch zu essen und arbeitet im Dorf. Was ihr dann an Geld übrig habt, gebt ihr der Mutter. Verstanden?«

      Dem Jüngeren sickerten ein paar Tränen über die Backen.

      Bob öffnete seine Gürteltasche. Es zeigte sich, dass er keinen Penny versoffen hatte. Den Jungen gab er einen Dollar. Sie staunten, als ob ein Wunder geschehen sei. Von diesem Geld konnten sie einen halben Monat leben, und wenn sie sehr sparten und etwas dazu verdienten sogar noch länger. Es schien ihnen unfasslich, dass der Nigger ohne Jacke so reich und dass er so freigebig war.

      »Du kannst auch in der Hütte sitzen!«, lud der Ältere ein.

      »Im Freien ist es mir aber gemütlicher. Haben wir nicht ein schönes Feuer? Setzt euch zu uns her!«

      Die Jungen folgten.

      Aus der Rindenhütte kam ein merkwürdiger Ton. Es war, als ob jemand schluchzte.

      »Das ist der reiche Mann, der jetzt kein Geld mehr hat«, sagte Bob.

      »Er weiß, dass das Schiff nicht gesunken und der Schiffer nicht ertrunken wäre – ohne dieses Geld«, antwortete der Ponka, der sonst kaum je etwas sprach.

      »Ja, so ist’s. Wer will ihm die Schuld abnehmen? Mit seinem Geld hat er den Kindern den Vater genommen.« Bob war traurig und kümmerte sich um das Feuer, um etwas zu tun.

      »Auf dem Grunde des Missouri liegen schon viele hundert Schiffe«, sagte der jüngere der beiden Burschen leise.

      Bob nickte. »’s ist ein böser Strom, ein wilder Strom.« Er wandte sich an Jack. Bis dahin hatte er mit dem Ponka stets Englisch gesprochen, jetzt aber sagte er in einer Indianersprache, die die Jungen nicht kannten und nicht verstanden: »Hast du die beiden Fremden auch erkannt? Das ist Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab, der Bilder malen kann, und sein roter Bruder Langspeer, der Cheyenne, den er aus einer Reservation freigekauft hat.«

      Der Ponka nickte.

      »Langspeer hat dich erkannt – fürchte ich«, fügte Bob in der Dakotasprache sehr leise hinzu.

      »Er kennt meine Narben am Kopf, die ich als Kind im Kampf mit einem Adler davontrug«, antwortete Jack. »Aber er wird schweigen.«

      Sie brachen ihr Gespräch ab, denn Pitt kam wieder aus der Hütte heraus und zu Bob und Jack herbei. »Was ist? Brechen wir auf? Mein Pferd muss Bewegung haben, sonst wird’s mir noch krank nach dem Bad.«

      Bob und Jack erhoben sich stillschweigend.

      »Der Maler da drin heult, weil das Schiff untergegangen ist«, sagte Pitt. »Das Beste wäre doch, er ritte mit uns zusammen nach Randall!«

      »Gib ihm den trockenen Anzug«, riet Bob, »dann kommt er mit!«

      »Und ich?«

      »Du verträgst die nasse Hose. Auf Randall wird der Mann wieder reich sein und dich belohnen!«

      »’ne Idee! Gut!«

      So kam es, dass alle Geretteten bald aufbrachen. Die Jungen liefen südwärts zum nächsten Dorf. Pitt bestieg seinen Braunen, der Cheyenne Langspeer seinen Schecken. Bob hielt den Grauschimmel für den Maler bereit, der als letzter aus der Rindenhütte herauskam.

      Die Pferde begannen zu galoppieren, die beiden Läufer liefen im Dauerlauf in weit ausgreifenden Sätzen mit. Ihnen war nicht mehr kalt.

      Als Pitt, Bob und Jack mit den beiden Fremden zusammen bei Fort Randall anlangten, waren sie selbst, ihre Kleider, ihre Pferde und ihre Waffen längst wieder getrocknet. Nur der ärmliche Schifferanzug des Malers deutete noch für jedermann darauf hin, dass etwas Unerwartetes geschehen war.

      Die Gruppe kam zum Tor. Der Posten hatte Bedenken, den Maler und seinen indianischen Begleiter einzulassen, und fragte nach deren Namen.

      »Dan Morris und Langspeer, der Cheyenne.«

      Ein Rauhreiter lief auf Bitte des Kuriers Pitt zum Kommandanten und kam eiligen Schrittes mit dem Bescheid zurück, dass Morris mit seinem Begleiter willkommen sei und sofort empfangen werden sollte. So ritten diese beiden mit Pitt in das Fort ein.

      »Kommt auch herein!«, forderte Pitt die beiden Läufer Bob und Jack gönnerhaft auf. »Ihr habt Dienst bei uns getan, also könnt ihr auch im Stall bei uns schlafen.«

      Der kraushaarige Bob sah fragend auf Jack den Ponka. Als dieser einverstanden schien, nahmen beide das Angebot an. Die Gruppen trennten sich. Pitt brachte Morris zum Kommandanten. Langspeer führte die Pferde und das Packtier mit Hilfe der beiden Läufer zum Stall. Die beiden Indianer und der Neger sprachen kein Wort miteinander. Als die Tiere untergebracht waren, entfernte sich Langspeer. Bob und Jack suchten sich sauberes Stroh und warfen sich in eine Stallecke. Sie waren müde.

      Es war noch früh am Morgen. Als es Mittag wurde, zeigte sich der Cheyenne Langspeer wieder im Stall, sah nach den Pferden und kam auf Jack und Bob zu.

      »Weitfliegender Vogel Gelbbart Geheimnisstab möchte Jack den Ponka malen.«

      »Papier und Farben werden von einem Maultier am Ufer des Missouris umhergeschleppt«, antwortete Jack. »Soll ich zurückreiten und das Maultier für den Maler Morris Gelbbart wieder einfangen?«

      Langspeer senkte die Augen. »Willst du kommen?«, fragte er nur noch.

      Der Ponka überlegte nicht lange. »Ich komme.« Er rollte sich vom Boden ab auf die Füße und folgte dem Cheyenne.

      Langspeer führte den Ponka über den Hof zu einem Turmbau und im Innern des hölzernen Turmes eine Treppe hinauf. Als er eine Tür öffnete, tat sich der Blick in eine helle Stube auf, die