der tödlichen Langeweile, die die Offiziere quälte, hatte der Ingenieur sehr bald genügend Zusagen gesammelt.
Das kleine Trinkgelage begann nach dem Abendessen, und es endete erst kurz vor Sonnenaufgang.
Für Henry lohnte es sich nun nicht mehr, sich noch schlafen zu legen. Er packte seine Sachen zusammen. Grau im Gesicht, fröstelnd, verkatert schaute er durch das Fenster seiner Kammer hinaus auf den Hof. Wo der Nigger sich wohl herumtrieb?! Aha, Hufgeklapper! Diesem Kerl, den er sich noch erziehen wollte, hatte also doch das Gewissen geschlagen, und er brachte Henrys Pferd.
Der junge Ingenieur, Kurier und Presseberichterstatter, begab sich hinaus und schwang sich auf. Er ritt in schnellem Trab über den Hof zum Tor, das sich für ihn öffnete. Nordwind fauchte, aber die Sonne schien klar, und blau wölbte sich der Himmel über der hügeligen Prärie. Henry durchritt das Tor. Vom Pfosten löste sich eine lange Gestalt ab, in Baumwollhemd, Samthose und Poncho gekleidet. Das schwarze gescheitelte Haar war in Zöpfe geflochten, das hagere Gesicht bis zur Unkenntlichkeit bemalt.
Mit einer ähnlichen Geste wie Roach wies Henry die beiden Läufer mit der Reitpeitsche an, ihm voranzulaufen. Er setzte sein Pferd in Galopp, und es war ihm in seinem Zustand eine unsinnige, grausame Freude, dass die Läufer schnell wie ein galoppierendes Pferd laufen mussten.
Mühe schien ihnen das jedoch nicht zu machen.
Henry im Sattel war ausgelaugter als die beiden.
Gegen Mittag wechselte die Landschaft. Der Boden wurde sandiger, das Gras kurz. Fort Randall war längst aus dem Gesichtskreis entschwunden. Henry legte eine Rast ein und aß. Die Läufer warteten stumm und nüchtern.
Nachmittags nahmen der Indianer und der Neger ihre Aufgabe ernst. Oft spähten sie von Anhöhen aus in die Runde. Mehr als einmal wählten sie verschlungene Wege durch die Täler der Grassteppe, um mit dem Reiter zusammen unsichtbar zu bleiben. Als die Dämmerung hereinbrach, geleiteten sie ihn zum Ufer des Niobrara und gaben ihm den Rat, hier zu lagern.
Henry war einverstanden. »Mach Feuer!«, befahl er Jack.
Der Mann im Poncho setzte sich dem Weißen gegenüber. »Wir machen kein Feuer.«
»Willst du frech werden? Tonart wie einst der Harry! Aber diese Zeiten sind für euch Indsmen vorbei. Such Holz und mach Feuer. Wofür wirst du bezahlt?«
Der Fluss rauschte leise, der Wind pfiff. Aus einem Erdloch spähte ein hungriger Hamster und verschwand wieder.
Henry klopfte mit dem Knopf seiner Reitpeitsche auf den Boden. »Wird’s bald?!«
»Nein.«
Henry schwankte. Seine aufsteigende Wut stachelte ihn, dem Indianer mit der Peitsche über das Gesicht zu schlagen. Aber er befand sich in der Wildnis, es wurde Nacht, und dieser Indsman bewahrte nicht nur eine unheimliche Ruhe, sondern besaß auch einen Revolver. Henry hätte, so dachte er jetzt, lieber dem Bobby Kraushaar befehlen sollen, Feuer zu machen, doch hatte es ihn gereizt, den hochmütig wirkenden Indianer gehorchen zu sehen, und nun konnte er nicht mehr zurück.
Aber er konnte noch zur Seite ausweichen.
»Du schmutzige Rothaut mit deinem verschmierten Gesicht! Wann hast du dich wohl zum letzten Mal gewaschen? Kratz dir die Farbe von deiner Visage!«
Der Indianer gab keine gereizte Antwort, wie Henry erwartet hatte. Er widersprach überhaupt nicht, sondern holte eine kleine Dose und ein Lederläppchen hervor und begann die Bemalung mit Fett und Lappen sorgfältig abzureiben. Er nahm sich Zeit.
Henry war zufrieden, dass sein zweiter Befehl unverzüglich ausgeführt wurde. Er sah interessiert zu, wie aus der Farbenmaske ein menschliches Gesicht hervorkam. Der Indianer entfernte mit Sorgfalt auch den letzten Farbrest. Der Mond ging auf; sein Licht blinkte auf dem Wasser des Flusses und beschien den Indianer. Von Strapazen und Leiden ausgezehrte und verhärtete Züge wurden sichtbar; sie wirkten verwegen und ganz unzugänglich; durch das Spiel von Mondlicht und Schatten verstärkte sich dieser Eindruck.
Henry starrte auf den Menschen, der seine Maske abgelegt hatte, und erkannte ihn. Der Unterkiefer sank Henry herab, seine Mundwinkel zitterten. Er riss den Revolver aus dem Gürtel. Ehe er abdrücken konnte, sank er um.
Es war kein Schuss gefallen. Der Indianer stand auf und holte den Dolch wieder, mit dem er im Wurf seinen Gegner getötet hatte. Der Griff des spitzen, zweischneidig geschliffenen Messers war in Form eines Vogelkopfes kunstvoll geschnitzt. Der Dakota reinigte das Messer, indem er es in die Erde stieß, und ließ die Klinge in die Scheide gleiten. Henrys Revolver gab er Bob Kraushaar. Dann nahm er Henrys Brieftasche mit dem Schreiben an Major Smith an sich.
Der Indianer legte seine Verkleidung ab und rauchte mit Kraushaar im Dunkeln eine Pfeife.
Nach dem toten Henry sah sich der Dakota nicht mehr um. Sein Volk stand in einem Kampf, in dem es keine Gnade gab, und der Dakota hatte nie gelernt, Gnade zu üben. Die roten Männer und die weißen Männer hatten ihn von Kindheit an gelehrt, dass es notwendig und ein großer Ruhm sei, Feinde zu töten. Die Skalplocke hatte Henry nicht darum behalten, weil der Häuptling nicht skalpierte. Aber Henry hatte sich zu leicht töten lassen. Es war keine Auszeichnung für einen Dakota, ihn besiegt zu haben.
»Was nun?«, fragte Tschapa Kraushaar seinen Häuptling.
»Unser Späher Ihasapa sollte mit Pferden und Nachrichten hier in der Nähe auf uns warten. Meine Boten, die ich zu unseren Oberhäuptlingen Tatanka-yotanka und Tashunka-witko und zu den Häuptlingen der Absaroka und der Pani gesandt habe, müssen zurück sein.«
»Traust du diesen Pani, die deine Mutter getötet haben, als du noch ein Knabe warst, und diesen Absaroka, gegen die Tatanka-yotanka als junger Krieger gekämpft hat?«
»Denen, die kommen werden, vertraue ich. Ich habe in den vergangenen Sommern auch bei unseren Feinden einsichtige Krieger kennengelernt.«
»Wie du meinst. Ich will deinen großen Plänen nicht länger im Wege sein.«
Der Dakota lief auf die höchste der in der Nähe gelegenen Anhöhen und heulte wie ein Kojote. Er wiederholte das Zeichen im Zeitraum einer halben Stunde viermal.
Bald darauf erschien weiter oben am Fluss ein Indianer zu Pferde. Er führte zwei ledige Mustangs mit, den einen nur mit großer Mühe. Der ledige Falbhengst stieg und schlug und wollte sich losreißen. Der Häuptling winkte; da gab der junge Krieger den Hengst frei, und das Tier galoppierte zu seinem gewohnten Reiter, der es mit leise gesungenen Worten begrüßte. Der junge Reiter übergab das zweite ledige Pferd Kraushaar. Der Häuptling forderte ihn zum Sprechen auf.
»Ein Größerer als ich ist da, um mit dir zu sprechen, Tokei-ihto«, gab der junge Mensch zur Antwort. »Unser Oberhäuptling Tashunka-witko ist mit drei Kriegern für eine Nacht gekommen.«
Tokei-ihto hatte sich beim ersten Wort schon aufgeschwungen. »Führe uns zu ihm, Ihasapa!«
Der Galoppritt währte nicht mehr als eine Viertelstunde. In einem Wiesental trafen sich die Männer. Umgebende Hügel warfen Schatten gegen das Mondlicht. Auch hier brannte kein Feuer.
Als die drei herankommenden Reiter absprangen, erhob sich aus der Mitte von vier am Boden sitzenden Indianern einer. Er war von gleich stolzer Haltung wie der junge Kriegshäuptling und nicht anders gekleidet. Der Schattenriss seines Gesichts war scharf, die Kopfform schmal und langgestreckt. In einem Schimmer nächtlichen Lichtes trafen sich die Augen der beiden. Die Männer sahen sich zum ersten Mal wieder, seit Harry zu seinem Stamme zurückgekehrt war. Früher hatten sie gegeneinander gekämpft. Zuletzt hatten sich der ältere und der jüngere Mann bei einem großen Sommerfest, bei dem mehrere Stämme zusammenkamen, in friedlichem Wettstreit gemessen.
Sie schwiegen beide fast eine Minute hindurch.
»Da bist du«, sagte dann die dunkle, fast mürrisch klingende Stimme des Oberhäuptlings. »Du hast mir einen Boten geschickt. Ich bringe dir die Antwort selbst. Sechzig Dakotakrieger kommen zu euren Zelten. Auch zehn Krieger der Pani mit einem Häuptling und fünf Krieger der Absaroka mit einem jungen Häuptling, die dich aus früheren Sommern kennen, haben sich gemeldet,