Liselotte Welskopf-Henrich

Der junge Häuptling


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noch nicht aus.

      »’s ist ein Zeichen«, murmelte Josef. »Sein Zeichen wird’s sein.«

      »Wessen Zeichen?«, bohrte Pitt.

      »Halt’s Maul!«, verwies ihn Bill. »Ich nenn den Namen nicht gern. War dabei, als sein Vater erstochen wurde, und es könnt sein, dass er auch mich noch im Gedächtnis hat!«

      »Den Harry meint er!«, belferte der schmierige kleine Josef, »den Harry meint er, das rote Schwein, den Messerstecher und Meuchelmörder!«

      Die Reiter sprangen alle auf und trieben ihre Tiere zu einem fluchtartigen Galopp. Es war vorläufig keine Zeit und keine Gelegenheit mehr zum Sprechen gegeben.

      Als die vier jedoch nach Mittag eine Rast einlegten und an ihrem Proviant kauten, ohne Feuer zu machen, fing Pitt wieder an: »Was ist das für ein Harry, den du ein rotes Schwein nennst? Mestize?«

      »Vollblutdakota! Einer, wie du ihn noch nicht so leicht getroffen hast in deinem bequemen Leben da hinten im gelobten Fort Randall.«

      »Oho! Hab auch schon andre Gegenden kennengelernt, und selbst bei Randall treibt sich noch allerhand herum. Der Harry geht also auf Mord an euch aus?«

      »Er geht nicht nur darauf aus. Wie du siehst, betreibt er das Gewerbe mit bestem Erfolg!«

      »Ein ganz verfluchter Schweinehund und Verräter ist das.« Bill, der nicht über das Thema hatte sprechen wollen, mischte sich jetzt doch ein. »War früher unser Kundschafter beim Bau der Union Pacific, dann hat er sich in den Black Hills herumgetrieben und hat Goldsucher meuchlings niedergemacht, und jetzt ist er wieder bei seinem Stamm und versauert uns das Leben! Tokei-ihto nennen ihn seine Dakota. Dieser Verbrecher, der ist mit allen Wassern gewaschen und mit allen Hunden gehetzt. Unser Major will es nicht wahrhaben, aber ich sage euch, der Harry Tokei-ihto, der führt seine paar Leute bedeutend besser als der Major uns! Daran liegt’s, dass wir nichts ausrichten!«

      »Ah so!«, Pitt zog an der kalten Pfeife. »Ihr braucht also nicht nur Verstärkung, sondern auch einen jüngeren, energischen Offizier!«

      »Bleibt uns vom Leibe mit euren jungen Offizieren. Hast ja gesehen, was aus Warner geworden ist! Eine Leiche! Nein, Leutnants brauchen wir nicht. Männer brauchen wir, die kundschaften und schießen können. In der Überzahl müssen wir sein! Dann lässt sich was machen. Überzahl gleicht alle Dummheit aus.«

      »Und den Harry müssten wir wegfangen!«, ergänzte der schmierige Josef. »Das sollte mir eine Freude sein, den lebendig abzuhäuten!«

      »Träum nur weiter von deiner Freude. Lebendig kriegst du den nie!« Bill spottete gereizt. »Du nicht! Hab noch nie gesehen, dass ’ne Schnecke ’ne Heuschrecke fängt!«

      Die vier Reiter beendeten ihre Rast. Sie trabten bald, bald galoppierten sie weiter ostnordostwärts. Das Wetter war ihnen günstig. Wenn die Kälte der letzten Februartage ihnen auch zu schaffen machte, so blieben sie doch von Sturm, Schnee und Sand von nun an verschont. Wild kam ihnen kaum vor die Flinte. Fährten von Indianertrupps waren nirgends zu sehen. Die Prärien wirkten, als seien sie von Menschen noch nicht entdeckt. Ringsum erklang kein Laut. Nachdem die Reiter die Nacht und den zweiten Tag unbehelligt geblieben waren, gewöhnten sie sich an den Gedanken, dass keine Gefahr mehr für sie bestehe, und wurden inmitten der Stille und Einsamkeit sorglos. Wenn jemand eine Absicht hatte, ihnen unbemerkt zu folgen, so war das jetzt ohne Schwierigkeit möglich.

      In der letzten Nacht gönnten sich die Reiter nur wenig Schlaf. Sie überquerten zwei fast ausgetrocknete Bäche und ritten so scharf, dass sie mit Sonnenaufgang Fort Randall und den Missouri erreichten. Durch die zahlreichen Fährten, die ihnen hier begegneten, durch die Geräusche, die zu ihnen drangen, wurden sie dem allgemeinen Leben wieder enger verbunden. Im Gebiet des großen Stromes wuchs das Gras der Wiesen saftiger und kräftiger unter dem tauenden Schnee hervor als auf den Sandsteppen. Laute Rufe und ein vielfältiges Stimmengewirr drangen aus den Fortanlagen selbst und aus der Umgebung des befestigten Militärlagers bis zu den Heranreitenden. Die Pferde beschleunigten von selbst ihren Gang.

      Trotz der frühen Jahreszeit und der noch winterlichen Kälte lagerten außerhalb des Forts schon zahlreiche Menschen. Zu einem Teil waren es Weiße, Jäger, Fallensteller, Vagabunden, Händler, zum großen Teil aber Indianer, die mit Zelten, Frauen und Kindern gekommen waren und sich niedergelassen zu haben schienen, um zeitraubende Handelsgeschäfte mit erbeuteten Winterpelzen abzuwickeln. Die meisten der Indianer machten schon auf den ersten Blick den Eindruck von Halbzivilisierten. Sie trugen bunte Kopftücher, schlechte Kattunhemden, schlugen billige Wolldecken um die Schultern, und der Ausdruck ihrer Augen war verschwommen. Einige schienen am frühen Morgen schon betrunken zu sein. Die vier Reiter trieben ihre Pferde rücksichtslos durch die Lagernden hindurch. Wer nicht umgeritten werden wollte, musste schnell zur Seite springen.

      Das Fort selbst, bei dem die Reiter anlangten, war, wie sich schon von außen erkennen ließ, viel größer, geräumiger und besser befestigt als die Station am Niobrara. Die Atmosphäre der ständigen Gefährdung in der Wildnis, in der noch die Flinten, Pfeile und Messer der Dakota herrschten, bestand hier nicht mehr. Jedermann bewegte sich mit Selbstverständlichkeit und Sicherheit. Die Reiter erreichten das Tor. Pitt mit der verstümmelten Nase war der Wache bekannt, und die Kuriergruppe wurde sofort eingelassen. Im Innern der Fortanlage konnten die Ankommenden die aufgestellten Geschütze bewundern. Die Kuriere meldeten sich in einer Wachstube an und rechneten damit, dass sie warten müssten, da es noch sehr früh am Morgen war. Überraschend schnell wurden die Männer jedoch zu einem Leutnant mit Namen Roach befohlen, und nach wenigen Minuten schon standen sie in einem geheizten, komfortabel ausgestatteten Raum, der recht ungewohnt auf sie wirkte.

      Der junge Leutnant saß hinter einem Schreibtisch auf einem Stuhl mit Armlehnen. Er nahm aus Pitts Hand dasjenige Schreiben in Empfang, das an den Kommandanten von Fort Randall gerichtet war, und öffnete es auftragsweise ohne Bedenken. Während er las, hatte Pitt Zeit, ihn näher zu betrachten. Dieser Leutnant Roach stand dem Stummelnasigen auf irgendeine Weise näher als der weltfremde und pflichteifrige Major Smith. Der Leutnant lehnte sich beim Lesen lässig zurück. Seine Uniform war private Schneiderarbeit und saß tadellos. Sein Haar war mit Sorgfalt gescheitelt und mit Pomade geglättet. Die Fingernägel waren gepflegt. Dieser Leutnant hatte also Schwächen, an die ein geschickter kleiner Mann vielleicht anknüpfen konnte.

      Die Mundwinkel des Leutnants verzogen sich, während er den Brief des Majors las.

      »Vollkommen klar.« Er faltete das Schreiben wieder zusammen. »Ihr braucht Verstärkung, Munition und einen tüchtigen Offizier. Wo habt ihr das zweite Handschreiben, das nach Yankton an Oberst Jackman gerichtet ist?«

      Pitt holte bereitwillig auch dieses Schreiben, das mehrfach versiegelt war, aus der Brusttasche und wies es vor. Der Leutnant nahm es und drehte es ein paarmal in der Hand. Zu öffnen wagte er in diesem Falle nicht. »Der Inhalt wird der gleiche sein«, bemerkte er schließlich. »Ich reite sowieso nach Yankton und werde das Schreiben dort Oberst Jackman persönlich übergeben. – Also gut!«, schloss er ab. »In ein paar Tagen! Ich bespreche das mit unserem Kommandanten und mit Oberst Jackman selbst in eurem Sinne.«

      Der elegante junge Offizier erhob sich, und weder Pitt noch ein anderer Rauhreiter fühlte das Bedürfnis, noch ein Wort zu sagen. Wozu auch? Die Mission hatte über alles Erwarten Erfolg gehabt. Auf den ersten Anhieb schon wurden die Verstärkungen versprochen, auf die man am Niobrara seit einem Jahr vergeblich gewartet hatte. Was wollten die Boten noch mehr? Die Ruhetage lockten, besonders nach einem solch unerwartet schnellen Erfolg. Pitt, Bill, Josef und Tom zogen sich in bester Laune zurück. Ein Bursche des Leutnants hatte schon Anweisung, für die vier zu sorgen.

      »Der Herr Leutnant schmiert sich bei uns an«, flüsterte Tom dem Hahnenkampf-Bill zu. »Der will wohl unseren alten ehrlichen Major aus dem Sattel heben!«

      Bill, Pitt und Josef teilten Toms moralische Bedenken nicht. »Was geht’s uns an? Hauptsache, wir kriegen ein paar Tage lang zu fressen, zu saufen und zu rauchen. Der Roach, das ist unser Mann.«

      »Auch wenn er nach Pomade stinkt. Lasst ihm seinen Spleen.«

      Der Bursche des Leutnants war umgänglich und schien Langeweile