Liselotte Welskopf-Henrich

Der junge Häuptling


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einen besonderen Anziehungspunkt aufmerksam: Vor den Toren des Forts sollte gerade an diesem Tag ein Stockball-Wettspiel der dort lagernden Indianer stattfinden. Stockball – dem Hockey gleich – war ein bei den Stämmen der Prärie, speziell den Dakota, heimisches und sehr beliebtes Spiel, das schon die Indianerjungen übten. Der Kommandant hatte sich herbeigelassen, einen Geldpreis zu stiften, in der Meinung, den Wetteifer der Halbzivilisierten dadurch anzuspornen und seiner gelangweilten Truppe die erwünschte Unterhaltung noch spannender zu gestalten. Mit der Aussicht auf das Wettspiel wurden die vom Niobrara mit ihrem Kollegen Pitt vorläufig sich selbst überlassen.

      »Wird was Rechtes sein, wenn die lumpenbehangenen roten Schweine auf dem Rasen durcheinanderrennen!«, schätzte Pitt.

      »Können wir Wetten abschließen?«, interessierte sich der schmierige Josef. »Wenn nicht gewettet werden kann, geh ich lieber saufen.«

      Hahnenkampf-Bill schaute sich suchend um. »Dort – nein, dort drüben – siehst du noch immer nichts? Schmieriger Knabe Josef, siehst du nichts? Die beiden dort mit dem Bauchladen, schon mitten drin im Gewimmel! Die scheinen Wetten anzunehmen!«

      Ohne weitere Abrede setzten sich die vier gleichzeitig in Bewegung und steuerten auf eine Gruppe zu, deren Mittelpunkt zwei große Gestalten bildeten. Der eine, ein wahrer Hüne, massig, fett, mit schütterem Haar, war schon mit einigen Wettkunden beschäftigt. Er zog die Aufmerksamkeit der vier Rauhreiter weniger an als der zweite Händler und Wetteinnehmer, ein schwarzhaariger Kerl, der etwa vierzig Jahre alt sein mochte und sich laut als reelles Wettbüro anpries. Wenn er den Mund aufmachte, war zu sehen, dass er schon alle Zähne verloren hatte.

      »Ben!«, rief der Hahnenkampf-Bill ihn an. »Zahnloser, verdächtiger Geselle! Bist du auch wieder im Jagdrevier?«

      »Wie du siehst, vielfacher Hahnenkämpfer. Wollt ihr Wetten abschließen?«

      »Gib uns einen Tipp, Ben!«, suchte Bill seinen alten Bekannten zu überreden. »Einen guten Tipp! Welche Partei siegt?«

      »Was weiß ich! Ihr müsst wetten! Nicht ich.«

      »Alter Gauner!«, Bill war erbost. »Du wirst schon wissen, auf wen du setzt, aber uns sagst du nichts, damit wir nicht deine Quote drücken.«

      Die gesamten, von den Wettern eingezahlten Beträge wurden unter Abzug eines Prozentsatzes für den Wetteinnehmer an diejenigen ausgezahlt, die auf den Sieger gesetzt hatten. Je weniger Wetter also den Einsatz auf den Sieger gemacht hatten und je mehr Wetter ihr Geld verloren, desto höher war im Verhältnis zum Einsatz der Betrag, der an die Gewinner ausgezahlt wurde.

      »Gib uns einen Tipp!«, versuchte jetzt auch Pitt den Wetteinnehmer zu überreden. »Können dir dafür schöne Grüße bestellen von deinem alten Blockhaus am Niobrara, wo du mal so gut verdient hast – bis vor zwei Jahren.«

      »Es steht immer noch«, ergänzte Tom.

      »Müsste ich mir beinahe mal wieder ansehen! Habt ihr noch keinen neuen Wirt?«

      »Keinen Wirt, zurzeit nicht mal Brandy!«

      »So, so. Ich werde mir das beschnuppern. Aber wie steht’s jetzt? Wettet ihr?«

      »Gibst du uns einen Tipp?«

      »Hab doch keinen!«

      Die Reiter wurden ärgerlich. Pitt hatte während des Gesprächs umhergespäht. »Kommt! Ich seh einen Freund von mir, einen besseren als diesen zahnlosen Gauner hier!«

      Pitt steuerte, von seinen Gefährten gefolgt, auf einen in bunt gesticktes Tuch gekleideten kleinen Kerl zu. Die lebhaften schwarzen Augen des anderen schienen Pitt schon entdeckt zu haben.

      »Pitt, mon ami, ganz guter Freund, lass dich umarmen!«

      »Louis, der Kanadier!«, stellte Pitt vor. »Louis, wir brauchen dich!«, ging er gleich auf sein Ziel los. »Es wird gewettet. Wir sind alle arme Teufel, haben wenig Geld, müssen was gewinnen. Gib uns einen Tipp!«

      »Tipp? Oh! Tipp? Ihr wollt haben Tipp? Ganz großen Tipp?«

      »Ganz großen Tipp, Mann! Lass uns gemeinsame Kasse machen für die Wetten!«

      »Gemeinsame Kasse? Oh! Pitt, Stummelnase, du bürgst für deine Freunde?«

      »Ich bürge.«

      »Also, ganz großen Tipp!«, begeisterte sich der Kanadier, der nur gebrochen Englisch sprach. »Kommt, meine Freunde! Ich führe euch zu dem, der alles weiß, wie es wird kommen! Zu dem Capt’n von blaue Partei!«

      Die kleine Gruppe machte sich wieder auf den Weg. Das ganze Lager vor den Toren des Forts war schon auf den Beinen, und die Männer steuerten zusammen durch das Gewimmel von Menschen hindurch.

      Das Spielfeld wurde eben abgemessen. Zwei Zelte waren als Tore einander gegenüber aufgestellt worden. Bei diesen Toren sammelten sich bereits die Spielmannschaften. Der lebhafte kleine Kanadier führte seine Begleiter zu dem im Norden aufgestellten Zelt. Innerhalb einer Gruppe von indianischen Spielern, die sich dort zusammengefunden hatten und ihre Stöcke schon zur Hand hielten, war ein riesiger Neger zu erkennen. Mit lebhaften Gesten instruierte er seine indianische Mannschaft.

      »He! Bobby!«, schrie der Kanadier. »Bobby!«

      Der Neger schaute zu der Gruppe her.

      Tom ohne Hut und Schuhe riss die Augen weit auf. »Was seh ich! Das ist doch … das ist doch …«

      Bei Toms Ausruf wurde auf dem lebhaft und intelligent wirkenden Gesicht des Afrikaners für den Bruchteil einer Sekunde ein Mienenspiel sichtbar, als ob er sehr unliebsam überrascht, vielleicht sogar tief erschrocken sei. Aber das ging so schnell vorüber, dass die vier Rauhreiter, auch Tom selbst, nicht darauf aufmerksam geworden waren.

      Der Neger durchbrach, schnell gefasst, den Ring der Umstehenden. Mit einem Hochsprung setzte er über einige noch hinderliche Gestalten hinweg, dann war er bei Tom angelangt, umschlang den Bärtigen mit seinen starken Armen und presste ihn an die Brust. »Tom ohne Hut und ohne Schuhe! Oh, wahrhaftig! Was sehen meine glücklichen Augen! Tom ist da! Tom ohne Hut und Schuhe! Tom ist gekommen mit Hut und Schuhen!«

      Dem Umarmten ging bei der stürmischen Begrüßung fast die Luft aus. »Tschapa Kraushaar!«, gurgelte er, »Tschapa Kraushaar! Erdrück mich nicht! Wo kommst du denn her?! Bist du nicht mehr bei …«

      Der Neger küsste den Verblüfften und halb Erstickten wieder und wieder. »Tom, wir sehen uns wieder! Tom hat Hut! Tom hat Schuhe!«

      »Ja doch, ja doch!«, Tom versuchte, aus der allzu stürmischen Umarmung herauszuschlüpfen. »Aber nun sag mir bloß …«

      »Tom ist da! Tom ist da!«

      »So nimm doch Vernunft an, Tschapa Kraushaar!«, schrie Tom. »Du erstickst mich noch!«

      Der Neger gab Tom frei und betrachtete den alten Grenzer freundlich. »Tom ist da!«

      Tom setzte seinen Hut wieder zurecht, tat einen tiefen Atemzug und fragte: »Du bist’s also wirklich, Tschapa Kraushaar! Wie kommst du hierher? Ich dachte, du bist bei der Bärenbande?«

      Pitt fuhr auf. »Was hör ich? Bei den Bärenbanditen?«

      »Da haben wir uns kennengelernt«, erläuterte Tom seelenruhig. »Als ich einmal bei dieser berüchtigten Abteilung der Dakota-Teton-Oglala gefangen war!«

      »Und jetzt?« Pitt blieb argwöhnisch.

      »O Tom! O Tom!«, rief der athletisch gebaute Neger mit dem freundlichen Gesicht immer wieder. »O Tom, o nein, ich nicht mehr Bärenbandit! Bobby nie mehr Bärenbandit sein! Nein, nein, nein!«

      »Warum denn nicht?«, erkundigte sich Pitt, immer noch voller Misstrauen.

      »Fremder weißer Mann mit kurzer Nase glaubt mir nicht? Aber Tom mir glauben! Was hat Tom gesehen in meinem Zelt, als er bei mir war? Sieben Weiber! Sieben Weiber und armen Bobby dazu! Bobby ist weggelaufen!«

      Die Rauhreiter fingen an zu lachen.

      »Es ist wahr«, bestätigte Tom. »Zu viele