er den schwimmenden Vogelkadaver näher und näher ans Ufer. Dann packte er ihn an den mit Schwimmhäuten versehenen Füßen und warf ihn respektlos auf die Uferböschung. Der Jäger wusste genau, dass er, gemäß den Bestimmungen der Kormoranverordnung, den Abschuss des Vogels an die zuständige Jagdbehörde melden müsste. Doch darum kümmerte sich Johann Hammer schon lange nicht mehr. Ob es Jagdzeit oder Schonzeit war, auch das interessierte ihn längst nicht mehr. Keuchend überwand er den buckeligen Uferbereich, nahm sein Gewehr wieder auf, packte den Tierkadaver erneut bei den Füßen, und steuerte auf ein dichtes Gebüsch am Waldrand zu. Füchse, Raben und selbst Ameisen sollten auch leben. Sie fraßen ihm keine Karpfen weg, aber einen toten Kormoran verschmähten sie sicherlich nicht. Erneut sah Hammer um sich und lauschte. Dann warf er den Kadaver achtlos in das Gebüsch und deckte ihn notdürftig mit herumliegendem trockenen Laub zu. Die beiden Krähen, die über ihm im Geäst des Baumes saßen, sahen ihm mit Interesse zu.
Die Sonne war zwischenzeitlich vom Himmel verschwunden. Lediglich ein glutroter Feuerball schickte hinter dem westlichen Horizont noch Lebenszeichen von ihr und setzte den Waldwipfeln eine riesige, leuchtende Mütze auf. Während im Osten ein blasser, dünner Sichelmond die nahende Nacht ankündigte, marschierte Hanni der Hammer, laut über seine beschissene Situation nörgelnd, auf dem engen Flurweg zwischen dem Breitweiher und dem Mittweiher dahin. Dann meldete sich sein Mobiltelefon. Er erkannte die Nummer auf dem Display. „Ja, Bertl, was is los?“, meldete er sich.
„Hanni, seit einer Stund versuch ich dich am Telefon zu erwischen“, blaffte ihn sein Gesprächspartner, Gisbert Holzmichl, unfreundlich an.
„Habs ausgschalt ghabt, war auf Kormoranjagd“, erklärte Hanni der Hammer.
„Hast des damische Viech wenigstens derwischt?“
„Und wie, schaut aus wie durchn Fleischwolf dreht.“
„Horch Hanni, es gibt was Wichtiges zu beredn. Der Horst is auch grad da. Kannst schnell mal vorbeikommen?“
„Eigentlich wollt ich etz zur Sissi fahrn. Hab so einen unheimlichen Druck in den Lenden. Weißt schon. Was gibts denn so Dringendes?“
„Du mit deiner Rumvögelei. Wart nur, bis dir eines Tages deine Alte dahinterkommt. Zur Sissi kannst später auch noch fahrn. Es gibt Neuigkeiten von dieser vermaledeiten Genossenschaft. Mir brennt der Buckel, und dir wirds genauso gehn, wenn mer net schnell eine Lösung findn. Unsere Existenz steht auf dem Spiel.“
„Also gut, komm ich halt schnell vorbei“, antwortet Hanni der Hammer widerwillig. „Aber bloß a Stund.“ Der Druck in seinen Lenden hatte sich verflüchtigt. Sissi musste sich noch etwas gedulden. Noch fünf Minuten Fußweg bis zu seinem Jeep Wrangler TJ.
*
„Etz trink erst mal was“, forderte Gisbert Holzmichl den Ankömmling auf, als der sich an den Küchentisch setzte, und reichte ihm eine geöffnete Flasche Alt-Bamberg Zwickl Kellerbier. Auch Horst Jäschke, Teichwirt aus Neuhaus und der Dritte im Bunde, prostete ihm zu. „Hau nei“, forderte er den Hanni auf.
„Also, was gibts denn so Dramatisches?“, wollte der ungeduldig wissen.
„Horch zu, was ich heut erfahren hab“, begann Bertl Holzmichl. „Der Antrag dieser Wichser von der Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen auf eine geschützte geografische Angabe is genehmigt worn.“
„Hör auf“, entglitt es Johann Hammer ungläubig.
„Gell, da staunst“, fuhr der Hausherr in seinen Erläuterungen fort. „Spiegelkarpfen a Punkt d Punkt A Punkt lautet die offizielle Bezeichnung.“
„Und was soll des Gschmarri haßn“, wollte Hanni der Hammer wissen.
„Spiegelkarpfen aus dem Aischgrund“, mischte sich nun auch Horst Jäschke aus Neuhaus in das Gespräch ein.
„Aber das würde ja bedeuten …“, überlegte Johann Hammer laut.
„Ja, ganz genau“, unterbrach ihn der Bertl, „das würde bedeuten, dass das Konzept der Genossenschaft, der Teifl soll sie holen, aufgeht: Nur die Mitglieder der Genossenschaft, und das sind immerhin schon mehr als zweihundert von uns Fischbauern, dürfen dieses Gütesiegel für ihre Fisch verwenden.“
„Dafür“, fuhr nun wieder Horst Jäschke fort, „müssen sie aber die Auflagen für eine artgerechte Zucht akzeptiern, welche die Deppen von der Karpfenteichwirtschaft vorschreiben und die die Genossenschaft veröffentlicht hat.“
„Und wie lauten die?“
„Kannst du dir aus dem Internet runterladen und ausdrucken“, klärte ihn Bertl Holzmichl auf, „aber grob gsacht: Auf einen Hektar Teichfläche dürfen maximal 1,3 Tonnen Karpfen abgfischt werdn. Die Fütterung der Fische muss mer hauptsächlich auf Naturbasis umstellen. Mais derf net zugfüttert werdn. Der Fettgehalt der Fische muss unter zehn Prozent liegn. Die Qualitätsvorgaben für Wasser und Hygiene sind streng und müssen ständig kontrolliert und lückenlos dokumentiert werdn, und die sogenannte Besatzdichte für zweijährige Karpfen derf net größer sein als maximal achthundert Fisch je Hektar. Das ist das, was ich mir gmerkt hab.“
„Des kannst ja vergessen“, entfuhr es Johann Hammer, „die paar Fisch, die dann noch in dem Weiher drin sind, frisst ja scho alla der Kormoran.“
„Genau“, hakte der Teichwirt aus Neuhaus wieder ein und trank seine Bierflasche leer. „Geh zu Bertl, bring mer noch a Zwickl. Aber ihr habts es ja noch besser als ich. Ihr könnt die Scheißvögel vom 16. August bis zum 30. April abknalln, aber meine Weiher liegen im Naturschutzgebiet, des heißt, ich derf die Viecher nur vom 1. September bis zum 15. Januar jagn.“
„Und was mach mer etz?“, wollte Johann Hammer wissen.
„Des weiß ich auch noch net“, zeigte sich Gisbert Holzmichl ziemlich ratlos. „Ich waß bloß, dass die Gastwirte bevorzugt den Spiegelkarpfen a. d. A. kaufen werdn, weil sie ihren Gästen ein biologisch besonders wertvolles Produkt auf den Teller bringa wolln.“
„Aber des is doch Quatsch“, widersprach Hanni der Hammer, „die Fisch brauchn länger, bis sie ihr ideales Schlachtgewicht erreichen und damit werdns automatisch teurer. Die Gastwirt wolln doch mittlere Karpfen, net so klane Hundskrüppl.“
„Des brauchst du uns net zu erzähln“, stimmte ihm Horst Jäschke zu. „Aber des is net des Problem der Gastwirte. Die gebn die Mehrkosten an ihre Gäste weiter, weil die sen bled gnuch und mehr als bereit, dafür an höhern Preis zu bezahlen, weil sie nämlich einen Karpfen a. d. A. dafür kriegn.“
„Leut, so kommer net weiter“, schlug Johann Hammer vor, „die Situation muss gründlich überdacht werdn, und des machen wir auch. Heut is Montag, der 11. August 2014. Habt ihr am kommenden Samstag, am 16., scho was vor?“
Horst Jäschke und Gisbert Holzmichl schüttelten nach einem kurzen Nachdenken die Köpfe.
„Dann kommt ihr am Samstag so gegen siema zu mir nach Röttenbach. Grill mer a weng. Bis dorthin kann sich jeder von uns überlegn, was wir unternehma. Is des was?“
„So mach mers“, stimmte der Bertl zu.
„Genau, so mach mers“, wiederholte Horst Jäschke aus Neuhaus.
„Und etz fahr ich zur Sissi“, verkündete Hanni der Hammer und griff sich in den Schritt seiner Hose, „ich spür ihn scho wieder, diesen Druck …“
2
Die Sektkorken knallten in den Büroräumen der „Genossenschaft Aischgründer Spiegelkarpfen“ in der Brauhausgasse in Höchstadt an der Aisch. Die lokale Politprominenz war zahlreich vertreten, als da waren: Walter Dillich, Staatssekretär und Bundestagsabgeordneter der CSU, Gerhard Trittweich, Landrat der CSU, Bürgermeister Hans Duffner aus Höchstadt an der Aisch, Sabine Hummert, Bürgermeisterin aus Neustadt an der Aisch, Benno Unterholz, Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Landwirtschaft und Leiter der Außenstelle für Karpfenteichwirtschaft in Höchstadt an der Aisch. Die Namensliste der Bürgermeister der umliegenden kleineren Dörfer und Gemeinden, sowie