Werner Rosenzweig

Karpfenkrieg


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der Genossenschaft, die Büroräume. Die Unterhaltungen der geladenen Gäste verstummten, und tosender Beifall empfing den Jupp, wie sie ihn alle liebevoll, aber auch mit größtem Respekt nannten. Ihm und seinem persönlichen Einsatz war es zu verdanken, dass diese Feier heute, am Dienstag, den 12. August, stattfinden konnte.

      Der Hornauers Jupp rühmte sich der größte Teichwirt im Aischgrund zu sein, was sich jedoch nicht auf seine körperlichen Maße bezog – da ähnelte er mehr der Gestalt eines kleinen, dicken Zwerges – sondern auf die Flächen seiner Fischweiher, die ausnahmslos in der Umgebung von Krausenbechhofen lagen. Dreiundsechzig Lenze zählte der Jupp nun, aber ans Aufhören dachte er noch lange nicht. Wozu auch? Gerade feierte er einen seiner größten Erfolge. „Seine Fische seien zu klein“, warfen ihm dereinst viele Gastwirte vor, die bei ihm einkauften und genau wussten, dass die „mittleren Karpfen“ von ihren Gästen am häufigsten nachgefragt wurden. Doch das störte den Jupp nicht. „Aber es kommt doch auf den Geschmack an“, argumentierte er. „Meine Karpfen werden artgerecht gezüchtet und sind biologisch wertvoll.“ Dennoch, das ständige Genörgel der Gastronomen ging ihm langsam auf den Sack. Also schaltete Jupp Hornauer die Politik ein. „Genau wie die Nembercher ihre Bratwurst ham schützn lassen, genauso brauchn wir eine geschützte geografische Angabe für unsere Karpfen“, argumentierte er. „Oder wollt ihr, dass bei uns Fisch aus Poln verkaft werdn und wir unsern Beruf an den Nagel hänga könna?“ Da hatte er den Nerv der Lokalpolitiker getroffen. Es ging um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Die rannten los, ackerten und sprachen mit anderen Politikern auf Landes- und Bundesebene, und siehe da, am Freitag der vegangenen Woche erhielt die Genossenschaft ein hochoffizielles Schreiben, wonach ihr das Zertifikat „Spiegelkarpfen a. d. A.“ zugesprochen wurde, was so viel heißt wie „Spiegelkarpfen aus dem Aischgrund“. Der Jupp triumphierte innerlich, konnten in Zukunft doch die Gastwirte, welche einen a. d. A.-Karpfen auf den Tisch bringen wollten, nur noch bei der Genossenschaft kaufen, denn nur deren Mitglieder hatten sich den vorgeschriebenen Aufzuchtsbedingungen verpflichtet und bekamen für ihre Fische das begehrte Gütesiegel. Und bei der Genossenschaft war er größter Erzeuger und Vorstandsvorsitzender.

      Der Hornauers Jupp genoss den tosenden Beifall, der ihm entgegenbrandete. Die Vertreter der lokalen Presse veranstalteten ein wahres Blitzlichtgewitter, als die kleine, gedrungene Gestalt sichtlich stolz auf das Rednerpult zustrebte, welches in einer Ecke des Raumes aufgebaut war. Das rege Stimmengewirr verstummte augenblicklich, als der Genossenschafts-Vorsitzende das Rednerpult für sich vereinnahmte, das Mikrofon zu sich herabzog und in die Runde blickte. Ihm gefiel, was er da vor sich sah. Dann erhob er laut und kräftig das Wort: „Liebe Freunde der Aischgründer Teichwirtschaft, liebe Kollegen, liebe Vertreter unserer kommunalen und überregionalen Politik, heute ist ein besonderer Tag, auf den wir alle mächtig stolz sein können. Das Zertifikat für die lange beantragte und sehnsuchtsvoll erwartete geschützte geografische Angabe für unsere Aischgründer Spiegelkarpfen ist da.“ Erneut brach tosender Beifall aus. Blitzlichter zuckten durch die Büroräume, als Jupp Hornauer die Arme in die Höhe riss und allen Anwesenden das V-Zeichen entgegenstreckte. Als sich der Applaus gelegt hatte, fuhr er fort: „Die Zertifizierung für unsere Fische ist auch ein Sieg für unsere artgerechten Züchtungsmethoden und wird Maßstäbe setzen.“ Erneutes Klatschen. „Was artgerechte Züchtung bedeutet, nun darüber berichten wir in einem neu gedruckten Flyer, der gleich in diesen Büroräumen ausgelegt wird. Insbesondere die Vertreter der Presse möchte ich darum bitten, in ihrer Berichterstattung darauf hinzuweisen, denn ihre Leser, die Endverbraucher, sollten wissen, dass nur ein mit der Bezeichnung Spiegelkarpfen a. d. A., bezeichnetes Produkt wirklich biologisch wertvoll ist. Die Teichwirte, welche noch nicht Mitglied unserer Genossenschaft sind, lade ich herzlich ein, uns beizutreten. Aufnahmeformulare finden Sie am Ausgang unserer Büroräume. Mehr als zweihundert Ihrer Kollegen sind diesen Weg bereits zufrieden und erfolgreich gegangen. Unsere Mitglieder kommen, in alphabetischer Reihenfolge, aus den Gemeinden Adelsdorf, Dachsbach, Gremsdorf, Gutenstetten, Heroldsbach, Höchstadt an der Aisch, Ipsheim, Lonnerstadt, Marktbergel, Mühlhausen, Neustadt an der Aisch, Oberreichenbach, Pommersfelden, Uehlfeld, Vestenbergsgreuth und Weisendorf. Und nun liebe Freunde und Gäste, hab ich mich gnuch angstrengt, hochdeutsch zu redn, etz hör ich auf mit meim Gwaaf, und wir solltn etz zum gmütlichen Teil übergehn und unsern Erfolg feiern. In zehn Minutn kumma Weißwürscht und frische Brezn, damit ihr mir net verhungert.“ Von Hochrufen und Beifall begleitet, verließ der Hornauers Jupp das Rednerpult. Ein süffisantes, zufriedenes Lächeln lag auf seinen Lippen.

      *

      Kunigunde Holzmann, Margarethe Bauer und Dirk Loos hatten es endlich geschafft, das neue Fernsehgerät der Marke Philips einzurichten. Gerade meldete der neue Flachbildfernseher, dass der Sendersuchlauf erfolgreich abgeschlossen wurde, und Bild und Ton erschienen auf dem Bildschirm, beziehungsweise tönten aus den Lautsprechern. „Des ist doch a Tatort“, stellte Kunigunde Holzmann fest, „mitn Leitmayr, mein Liebling. Schaut amol des scharfe Bild an“, forderte sie die beiden anderen auf.

      „A Wiederholung“, merkte Margarethe Bauer an. „Des Dritte bringt immer Wiederholunga. Ham mer scho gsehn.“

      „Stimmt“, bestätigte ihre Freundin, „etz, wos des sagst. Des war doch die Sendung, wo der blede Batic völlig daneben war und auf den falschen Mörder tippt hat. Waßt scho, wo der Leitmayr den Täter mehr oder weniger im Alleingang überführt hat. Kannst dich da nemmer dran erinnern?“

      „Doch kann ich scho“, holte die Angesprochene zum Gegenschlag aus, „des war doch der anziche Fall wo sich der Batic – der beste Kriminaler aller Zeiten – mal geirrt hat. Sunst is doch immer der Leitmayr der Blede.“ Die beiden Freundinnen waren bei einem ihrer Lieblingsthemen angekommen, bei dem ihre Meinungen völlig auseinander gehen, obwohl sie sich schon von Kindesbeinen an kennen. Beide sind in Röttenbach geboren, gingen dort zur Schule und leben immer noch in dem Dorf, gar nicht weit voneinander entfernt. Kunigunde Holzmann bewirtschaftet in der Kirchengasse ihr kleines Häuschen, und quasi gleich um die Ecke, in der Lindenstraße, lebt ihre Freundin, mit einem Untermieter unter dem Dach. Wenn man so will, sind sie nie aus Röttenbach herausgekommen. Ihre Ehemänner hat der Herrgott schon vor Jahren zu sich geholt. Nur die Kunni hat noch eine verwandtschaftliche Beziehung im Ort. Ihr Neffe Gerald Fuchs, Kommissar der Erlanger Mordkommission wohnt in der Erlanger Straße. Sie sieht ihn nicht oft. Irgendwie haben sie zu unterschiedliche Ansichten, was die Vorgehensweise bei kriminalistischen Ermittlungenangeht. Und außerdem ist er so ein blöder Hund: Da arbeitet er seit Jahren mit so einer netten, attraktiven Assistentin zusammen, aber dass er als Single mal die Chance wahrgenommen hätte … Wie gesagt, in jeder Hinsicht einfach zu blöd. Im Dorf sind die beiden Witwen als die Kunni und die Retta fast jedermann bekannt. Nach außen hin völlig unterschiedlich, sind sie doch die besten Freundinnen. Einzig die Fernsehserie Tatort, welche nahezu jeden Sonntag im Ersten läuft, verursacht hie und da einen im Grundsatz nicht ernst zu nehmenden Streit zwischen den beiden – besonders wenn die beiden Münchner Kommissare Leitmayr und Batic ermitteln. Während die Kunni Kommissar Leitmayr und seine kriminalistischen Fähigkeiten fast abgöttisch verehrt, steht die Retta mehr auf seinen Kollegen Batic. Gerade weil die Kriminalistik sich in den letzten Jahren zu einem der Steckenpferde der beiden entwickelt hat – sie haben schon so manchen verzwickten Fall gelöst – geraten sie sich darüber nicht selten in die Haare. Doch solche Dispute sind immer nur von kurzer Dauer und werden nur oberflächlich ausgetragen. Weit vor der Kriminalistik rangiert ein anderes Hobby: Die beiden essen für ihr Leben gern. Nicht alles. Wenn schon denn schon, und das bedeutet im Fall der beiden Röttenbacherinnen vorzugsweise Gerichte aus der fränkischen Küche. Deftige Schäuferle, gebackene Karpfen aus heimischen Gewässern und Krautwickerli stehen ganz oben auf ihrer Hitliste. Grünkohl, Pinkel und ähnliches preußisches Gefresse, meiden die beiden wie der Teufel das Weihwasser. Neben den kulinarischen Exzessen betreiben die beiden Witwen außerdem ein exzellentes Networking, was heißen soll, sie lieben Klatsch und Tratsch. Was auch immer im Dorf passiert, sie sind stets bestens informiert. Sie kennen Hinz und Kunz, und selbst über so manche zugezogene Preußen wissen sie im Detail Bescheid. Natürlich führt ihr fortgeschrittenes Alter – sie befinden sich mittlerweile im vierundachtzigsten Lebensjahr – zu so manchem Handicap. Insbesondere was ihre Mobilität angeht. So bringt die Kunni bei einer Körpergröße von einem Meter neunundfünfzig ein stattliches Kampfgewicht von circa vierundachtzig Kilogramm auf die Waage. Dass da Probleme mit ihren Knien