Sie sei zu einem „gefälligen Schwein“ geworden, eine „Komödiantenhure“ voll „unsäglicher Gemeinheit, Geilheit und Verlogenheit“, deren Leib „vom Schweiß und Samen jenes Schauspielers, Gauners und Gecken befleckt“ sei. (Brief an Marie Glümer vom 2. Juni 1893) So wütend und gnadenlos Schnitzler hier in Momenten ehrlicher Wut über seine Mizi und ihren Liebhaber herfällt, so geschickt weiß er – wenn notwendig – Frauen über seine wahren Gedanken und Absichten zu täuschen – er spricht zu ihnen von „Liebe“, obwohl er nur allzu gut weiß, dass dieses Wort nicht dazu taugt, die Natur seiner Beziehungen tatsächlich richtig und wahrhaftig zu beschreiben. „Liebe“, so erkennt er auch im Tagebuch, ist ein Begriff, der für vieles stehen kann: Sie ist „Sinnlichkeit“, also Sex, ist „Leichtlebigkeit“ und „Behaglichkeit“, manchmal freilich auch – wie im Fall von Olga Waissnix – grande passion (TB, 4. Mai 1895), auf die jedoch unausweichlich Gleichgültigkeit und Kälte folgen.
Schnitzlers Bettgefährtinnen halten sich, bezaubert durch seine verführerische Sprache der „Liebe“, für auserwählt und sind doch nur Episode, manchmal „was Hübsches zum Erinnern“ oder nur ein willkommenes instrument de plaisir, manchmal auch rasch lästig, „ekelhaft“ und „zuwider“, werden als „Dirnen“, „geile Luder“ und „Canaillen“ abgestempelt, vor allem aber sind sie „Weiber“. Wenn es nun so ist, dass Schnitzler einen „hohen ethischen Anspruch“ an die Sprache stellt und einen „unerbittlichen Maßstab“ an seine Wortwahl im Tagebuch legt, wie es Peter Michael Braunwarth formuliert hat, wenn es so ist, dass er „im Gebrauch des Worts immer verantwortungsvoll und seriös“ ist, dann muss es gestattet sein, seine Sprache auch tatsächlich mit diesem Maßstab zu messen. Ja, Worte machen gesellschaftliche Realität spürbar, das ist Schnitzlers Überzeugung und das gilt auch für seine Tagebucheinträge: Sie führen uns ein „Ich“ vor Augen, das auch sprachlich gefangen ist in der letztlich Frauen verachtenden Welt des Fin de Siècle.
Es ist eine Welt des Scheins und der Lüge: In seiner Rolle als einfühlsamer Kavalier und „Frauenversteher“ fördert Schnitzler die Illusion von Liebe bei seinen Sexualpartnerinnen, solange es ihm opportun scheint, er spricht noch von großen Gefühlen, auch wenn ihm ein „Mädel“ schon längst wieder „gleichgiltig“ ist. Er verwendet den romantisch verklärten Begriff „Liebe“, obwohl er dessen armselige Brüchigkeit nur allzu deutlich durchschaut und weiß, dass sich dahinter verlogene bürgerliche Doppelmoral verbirgt.
Erklärtes Ziel einer jeden Affäre ist es, die betreffende Frau zu „besitzen“ – ja, es ist dieser Begriff der Aneignung, den Schnitzler bevorzugt für den Sexualakt wählt: Er „besitzt“ Frauen zum ersten und zum letzten Mal, „anstandshalber“ und – der Herr Doktor ist nicht zimperlich – „gegen ihren Willen“, in kalten Hotelzimmern und gemütlichen Vorstadtwohnungen, im sommerlichen Wienerwald und im Comfortable, dem speziellen Fiaker für alle Paare, die Grund haben, allzu viel Öffentlichkeit zu meiden, und über kein Absteigequartier in der Nähe verfügen. Sein bevorzugter Typus ist das junge „süße Mädel“, am besten ohne viel Herumgerede gleich „frisch und naiv genossen“ – so sind sie ihm am liebsten.
Das Wort vom „Besitzen“ der Frauen bildet zweifellos ein Erfolgserlebnis ab, einen gewissen Stolz und die Zufriedenheit des erfahrenen Liebesstrategen über die Eroberung: Als „Gefallene“ gehen sie ein in sein erotisches Imperium.
DAS THEATER UM DIE JUNGFRÄULICHKEIT
Das erwähnte Notieren der Beischlafhäufigkeit mag nun eine kleine harmlose Schrulle sein, sie fügt sich jedoch nahtlos in das sexuelle „Krankheitsbild“ Schnitzlers: Jene Frauen, denen es gelingt, die Beziehung zu ihm länger aufrechtzuerhalten, müssen erkennen, dass dieser Mann von zwei „fixen Ideen“ gepeinigt wird, die ursächlich miteinander zusammenhängen: Da ist einerseits der Kult der Jungfräulichkeit, der Wunsch, bei einer nächsten Geliebten auf eine Jungfrau zu treffen. Schnitzler weiß, dass dies in dem Milieu, in dem er Frauen sucht und verführt, sehr unwahrscheinlich ist, dennoch hängt er an dieser Vorstellung, würde ihn doch die Begegnung mit einem „reinen“ Mädchen, so seine Überzeugung, vor den Qualen bewahren, die ihm seine zweite fixe Idee verursacht: die zwanghafte Eifersucht auf das sexuelle Vorleben und die sexuelle Zukunft seiner Geliebten. Schnitzler rechtfertigt diesen Zwang vor sich selbst mit der Begründung, dass er doch die „Wahrheit“ wissen müsse, tatsächlich aber ist er krank. In immer neuen Fantasien stellt er sich das image physique vor, das Liebesspiel zwischen seiner Geliebten und ihrem Ex-Freund, immer wieder schafft er neue Verbindungen von Orten und Dingen zu den früheren Liebesbeziehungen seiner Geliebten und quält sie damit. Der immer wiederkehrende Versuch, aus den Frauen die vermeintliche Wahrheit herauszupressen und „herauszuzwingen“, wird zu einer „Form sadistischer Aggression“ – man kann dies durchaus so deutlich sagen, wie Peter Gay dies tut. Schnitzler, der sich selbst als „Gewohnheitsquäler“ (TB, 11. März 1894) beschreibt, verheimlicht nicht, dass er aus den ewigen „Sekkaturen“ eine seltsame Lust zieht. Mit Bezug auf Mizi Glümer, die mit unendlicher Geduld über Jahre hinweg seine Zumutungen erträgt, notiert er im Tagebuch: „Es macht mir zuweilen ein ausgesprochenes Vergnügen, sie ganz ausgesucht zu quälen. Warum? Manches sag ich ihr ganz überflüssigerweise.“ (TB, 9. Mai 1891)
Selbst Hypnose wird eingesetzt, um die „Wahrheit“ aus der Geliebten „herauszuzwingen“: Anatol und Max mit Cora. Bleistiftzeichnung von Moritz Coschell zum „Anatol“-Einakter „Die Frage an das Schicksal“.
So ist die Geschichte seiner Liebesbeziehung zu Mizi Glümer, das sei hier exemplarisch vorweggenommen, die Geschichte einer fortwährenden Aggression und Demütigung. Mizi, die jahrelang verzweifelt um ihn kämpft, ist das ideale Medium für ihn, um seine kranken Fantasien auszuleben. „Ich quäle sie viel und oft“, notiert er schon neun Monate zuvor, im August 1890. Schnitzler, 29 Jahre alt, hat eben in Würnitz im Weinviertel, im Wald und in ihrem angemieteten „Bauernzimmerl“, glückliche und sexuell erfüllte Tage mit Mizi verbracht. In einem langen Tagebucheintrag versucht er Klarheit über sein „Problem“ zu gewinnen: „Es ist sonderbar, daß ich absolut nicht darüber weg kann. Im Gegenteil, es wurde immer ärger. Ich erinnere mich, daß es mich im Sommer vor. J. noch wenig plagte. Im Winter hatte ich schon arge Anfälle – im Frühjahr wieder eine Verschlimmerung. Im Sommer jedoch einfach so, daß ich toll zu werden glaubte! Wie ich damals im Wald neben ihr lag und jammerte, schrie, weinte, als alle Gedanken wieder über mich kamen! Ihr thut es in der Seele weh. Und Briefe hat sie mir geschrieben, so tief, so wahr, so aus dem Herzen heraus, daß man das vergangene thatsächlich als verwischt denken könnte – wenn es sich eben verwischen ließe. Zuweilen, Augenblicke, Viertelstunden lang bin ich beinahe ganz darüber hinweg – es ist, wie wenn man weiß, daß man einen wehen Zahn hat – aber momentan keine Schmerzen. (…) Aber rasch kommt es wieder, und es packt mich wie einer jener Schmerzen, die nicht enden können. –“ (TB, 10. August 1890)
Schnitzler hat über seine Krankheit und speziell über sein seltsames sadistisches Spiel mit Marie Glümer ein ganzes Stück geschrieben, Das Märchen, das ursprünglich den wesentlich aussagekräftigeren Titel Das Märchen von den Gefallenen trug. Fedor Denner, der selbstquälerische Held des Stücks und Schnitzlers literarisches Alter Ego, missfiel schon den Zeitgenossen – das war nicht die Art von Liebhaber, die man auf der Bühne sehen wollte. Ein Mann, der seine fixe Idee mit quälender Zwanghaftigkeit bis in jedes kleine Detail zelebriert, der eifersüchtig ist auf alles, was nur irgendwie sich in eine Beziehung zum Ex-Freund seiner Geliebten bringen lässt, und von der Unmöglichkeit des Vergessens spricht: Es „gibt keinen Kuß, keusch genug – und keine Umarmung glühend genug, und keine Liebe ewig genug, um die alten Küsse und die alte Liebe auszulöschen. Was war, ist! – Das ist der tiefe Sinn des Geschehenen.“ Indem er seine Maxime zitiert – „Was war, ist!“ –, versucht Schnitzler eine letzte Rechtfertigung für seine Wahnvorstellungen zu finden, sie einzuordnen in seine vielfältigen Bestrebungen, die Ereignisse seines Lebens immer gegenwärtig zu halten, in jene stete Arbeit der Selbsthistorisierung, der wir nicht zuletzt auch sein Tagebuch verdanken. Auch wenn sich seine idée fixe