Stuart Hall

Ideologie, Identität, Repräsentation


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      Stuart Hall

      Ideologie, Identität, Repräsentation

      Ausgewählte Schriften 4

      Herausgegeben von Juha Koivisto und Andreas Merkens

      Aus dem Englischen von Kristin Carls, Dagmar Engelken, Stefan Howald, Tobias Nagl, Nora Räthzel, Victor Rego-Diaz, Bettina Suppelt, Thomas Weber

      Stuart Hall – Ausgewählte Schriften bei Argument:

      Ideologie, Kultur, Rassismus (Schriften 1)

      Rassismus und kulturelle Identität (Schriften 2)

      Cultural Studies (Schriften 3)

      Ideologie, Identität, Repräsentation (Schriften 4)

      Populismus, Hegemonie, Globalisierung (Schriften 5)

      Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

      Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

      Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

      sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

      Alle Rechte der deutschen Fassung vorbehalten

      © Argument Verlag 2004

      Glashüttenstraße 28, 20357 Hamburg

      Telefon 040/4018000 – Fax 040/40180020

       www.argument.de

      E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

      ISBN 978-3-86754-854-0

      Fünfte Auflage 2016

Inhalt

      Vorwort

      Stuart Hall ist einer der wichtigsten – wenn nicht der wichtigste – Begründer der Cultural Studies. Unter den linken Projekten gehören diese, wenigstens im englischen Sprachraum, zu den erfolgreicheren. Inzwischen gibt es entsprechende Studienprogramme und Lehrstühle an den Universitäten, und mit dem International Journal of Cultural Studies sowie dem European Journal of Cultural Studies wurden vor einigen Jahren zwei neue Zeitschriften von akademischen Großverlagen lanciert. Die neue internationale Association for Cultural Studies, vergleichbar zur ISA (International Association for Sociology) hat bereits ihr erstes Business Meeting im Rahmen der fünften internationalen Crossroads Konferenz in Illinois (2004) abgehalten. Die Kehrseite dieses Zugewinns an akademischer Anerkennung, so sagen manche linke Kritiker, die sich schon in einer Minderheitsposition innerhalb der Cultural Studies sehen, besteht in der Depolitisierung des Ansatzes: Die Analyse der umkämpften gesellschaftlichen Verhältnisse – auch der eigenen – findet sich zugunsten einer qualitativen Soziologie bzw. einer dekonstruktivistischen Lektüre populärer Texte verdrängt, in der das eingreifend-politische Selbstverständnis der Cultural Studies verloren geht; der Anspruch also, Theorie in wechselseitiger Verbindung zu den Subjekten, Gruppen und Netzwerken der sozialen und kulturellen Emanzipation zu entwickeln (vgl. Barker, 2003). Zudem zeigt sich, dass starker institutioneller Druck und akademische Traditionen, eine Disziplinierung und Formalisierung der eigenen Theoriearbeit bewirken können, deren lähmende Wirkung auch auf eine erfolgreiche intellektuelle Bewegung nicht ausbleibt.

      Wie uns freilich nicht nur die Cultural Studies vor Augen führen, die schwere Kunst sich kritisch zu positionieren statt passiv positioniert zu werden (wobei letzteres die selbsttätige ›einfügende Bedrängung‹ nicht ausschließt), ist angesichts einer allgemeinen Verengung von Wissenschaft und Erkenntnis auf ihre Marktgängigkeit, eine notwendige Herausforderung. Hier können Halls theoretische Entwürfe einen entscheidenden Beitrag leisten, steht seine Arbeit doch für eine produktive Unruhe im Denken, die sich immer wieder neuen theoretischen und politischen Fragen stellt, die Grenzen überschreitet und dabei am Anspruch festhält, das unlösbare Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis aufrechtzuerhalten. Eine dialogische Vorgehensweise, die keinen endgültigen Standpunkt des Wissens behauptet, sich dem immer auch »willkürlichen Abschluss« (Hall, 2000, 36) eigener intellektueller Reflektionen bewusst ist, und dennoch darum ringt eine Positionierung zu vollziehen, die auf politisches Handeln zielt, die »immer über ihre Intervention in einer Welt nachdenkt, in der sie etwas verändern, etwas bewirken könnte« (ebenda, 51).

      Dieser vierte Band der Ausgewählten Schriften erörtert das Wechselspiel von Ideologie, Identität und Repräsentation. Gibt es etwas Selbstverständlicheres als die eigene Identität? Können wir die Pluralität von Identitäten behaupten? Nachgefragt werden die umkämpften Praktiken und Politiken von Repräsentation, in denen Identifikationen gebildet werden. Ereignisse, Gegenstände und Personen tragen ihre eigenen Bedeutungen nicht auf Schildern geschrieben vor sich her, vielmehr erfahren sie erst durch den Eintritt in den Diskurs eine spezifische Festlegung – innerhalb eines konkurrierenden Systems von Interpretationen – die immer auch auf Selektion basiert, die auf der Hervorhebung und auf dem Ausschluss von Merkmalen aufbaut. Bedeutungen sind daher weder außerhalb von Herrschaftsverhältnissen und dem Spiel der sozialen Kräfte, noch sind sie ein für alle mal festgeschrieben durch die Ökonomie oder die Politik. Allerdings sollten wir mit Hall von »tendenziellen Ausrichtungen« (im vorl. Band, 29) sprechen, die politisch und kulturell aus den materiellen Bedingungen erwachsen, in denen sich gesellschaftliche Gruppen und Klassen ideologisch artikulieren und Repräsentationspraxen der ›Differenz‹ und ›Andersheit‹ hervorbringen.

      In seinen Arbeiten widmet sich Stuart Hall wesentlich dem Prozess der konfliktären Herstellung dieser Repräsentationen, den ihnen innewohnenden Machtspielen, die Bedeutungen und Wahrheiten festlegen, die bestimmte Welteinsichten und Identitäten ermöglichen und andere wiederum verschließen. Am Ausgangspunkt dieser Analysen steht eine die Debatten der Cultural Studies anleitende Frage, die erkenntnistheoretisch das Verhältnis zu dem vom französischen Sprachwissenschaftler de Saussure begründeten (Post-)Strukturalismus verhandelt: Wie kann die Analyse der materiellen Praxen und Politiken von Repräsentation, etwa durch rassistische Stereotypisierung, mit dem theoretischen Vermächtnis von de Saussure, der die Sprache als ein System von Zeichen bestimmt, welches auf Differenzen basiert, erfasst werden? Sein Modell hilft uns in den Sozialwissenschaften einerseits essentialistische Lesarten zu überwinden, Identitäten als instabil und beweglich zu verstehen, auf der anderen Seite tendiert eine entsprechende Kritik dazu, Bedeutungspraxen nur von einem linguistischen Standpunkt aus zu durchdenken. Sobald wir beginnen Bezeichnungen im System der Differenz politisch-gesellschaftlich entlang unterschiedlicher ›Werte‹ zu bestimmen, überschreiten wir notwendig den Bereich der Linguistik, wir untergraben damit Saussures grundlegende Dichotomie von langue und parole, die eine solche Analyse der Bedeutungspraxen blockiert. In Derridas philosophischen Erkundungen – oder vielleicht seiner philosophischen ›Ausbeutung‹ – von Saussures zentraler Idee der Differenz, finden wir diese Problematik fortgeschrieben, wenn es darauf ankommt, die Materialität von Bezeichnungen über ihre Einbindung in antagonistische soziale Verhältnisse zu verstehen.

      Halls Überlegungen zum Wechselspiel von Ideologie, Identität und Repräsentation, wie sie in verschiedenen Beiträgen, bei unterschiedlicher thematischer Schwerpunktsetzung, im Zeitraum von über zwanzig Jahren entstanden sind, verdichten sich maßgeblich entlang dieser theoretischen Herausforderung. Eine Auswahl dieser Texte, teils schon Klassiker geworden, finden sich in dem vorliegenden Band dokumentiert. Dabei gelingt es Hall durch den konstruktiven Rückgriff auf Theoretiker wie Gramsci, Volosinov, Althusser, Pecheaux und Foucault, identitätsstiftende Repräsentationspraxen als umkämpft und herrschaftsmächtig durchsetzt zu theoretisieren, analytische Werkzeuge zu entwickeln, um die ideologischen Prozesse, Kämpfe und Konjunkturen der kapitalistischen Gegenwart zu kritisieren. Wider den Fallstricken einer Identitätspolitik, die sich in der Vertretung ›ihrer‹ spezifischen Interessen verliert, entwickelt er in den Jahren ein kreatives Denken, das unterschiedliche Logiken repräsentiert, ohne den gesellschaftlichen Zusammenhang, das gegliederte Ganze, aufzugeben.

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