Stuart Hall

Ideologie, Identität, Repräsentation


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den ein historischer Block gesellschaftlicher Kräfte konstruiert und die Überlegenheit dieses Blocks gesichert wird. Wir begreifen also das Verhältnis zwischen ›herrschenden Ideen‹ und ›herrschenden Klassen‹ am besten, wenn wir es im Sinne von Prozessen ›hegemonialer Herrschaft‹ denken.

      Gibt man andererseits die Frage oder das Problem der ›Herrschaft‹ – der Hegemonie, Beherrschung und Autorität – auf, weil die Art, in der es ursprünglich gestellt wurde, unbefriedigend ist, würde man das Kind mit dem Bade ausschütten. Die Herrschaft der herrschenden Ideen wird nicht dadurch garantiert, dass sie immer schon mit den herrschenden Klassen gekoppelt sind. Vielmehr ist die wirksame Kopplung herrschender Ideen an den historischen Block, der in einer bestimmten Periode hegemoniale Macht erlangt hat, genau das, was der Prozess des ideologischen Kampfes sicherstellen will. Sie ist das Ziel der Übung – nicht die Aufführung eines schon geschriebenen und abgeschlossenen Drehbuchs.

       5. Für eine nicht-ökonomistische Theorie der ökonomischen ›Determination‹

      Es dürfte klar sein, dass dieses Argument sehr weitgehende Konsequenzen hat für die Entwicklung der marxistischen Theorie insgesamt, obgleich es hier nur in Verbindung mit dem Ideologieproblem dargelegt wurde. In Frage steht eine bestimmte Konzeption von ›Theorie‹: Theorie als Ausarbeitung einer Reihe von Garantien. Umstritten ist auch eine bestimmte Definition von ›Determination‹. Ausgehend von der Lektüre, die ich oben vorgeschlagen habe, ist klar, dass der ökonomische Aspekt des kapitalistischen Produktionsprozesses wirkliche begrenzende und einschränkende (d.h. determinierende) Wirkungen auf die Kategorien hat, in denen die Produktionskreisläufe ideologisch gedacht werden und umgekehrt. Das Ökonomische liefert das Repertoire an Kategorien, die im Denken verwendet werden. was das ökonomische nicht kann, ist (a) die Inhalte bestimmter Gedanken bestimmter gesellschaftlicher Klassen oder Gruppen zu einer bestimmten Zeit zu liefern, (b) ein für allemal festzulegen oder zu garantieren, von welchen Ideen welche Klasse Gebrauch machen wird. Das Determinierende des ökonomischen für das Ideologische kann deshalb nur darin liegen, dass es die Grenzen setzt für die Definition des Operationsfeldes, indem es das ›Rohmaterial‹ des Denkens festlegt. Die materiellen Umstände sind ein Netz von Zwängen, die ›Existenzbedingungen‹ für praktisches und vorausschauendes Denken über die Gesellschaft.

      Diese Konzeption der ›Determination‹ unterscheidet sich von der des ›ökonomischen Determinismus‹ im gewöhnlichen Sinn, oder derjenigen, die aus dem Denken der Beziehungen der verschiedenen Praxen in einer Gesellschaftsformation nach dem Muster der expressiven Totalität folgt. Die Beziehungen zwischen diesen verschiedenen Ebenen sind in der Tat determiniert, das heißt: sie sind wechselseitig determinierend. Die Struktur der gesellschaftlichen Praxen – das Ensemble – ist jedoch deshalb weder frei fließend noch immateriell. Es ist aber auch keine transitive Struktur, die ausschließlich als Übertragung der Effekte in einer Richtung, von der Basis nach oben, zu verstehen ist. Das ökonomische kann nicht eine endgültige Geschlossenheit im Bereich des Ideologischen bewirken, in dem präzisen Sinne, dass ständig ein bestimmtes Resultat garantiert wird. Es kann nicht immer ein bestimmtes Set von Entsprechungen gewährleisten oder bestimmten Klassen bestimmte Denkweisen liefern, die ihrer Stellung innerhalb seines Systems entsprechen. Dies genau deshalb, weil (a) ideologische Kategorien nach ihren eigenen Entwicklungs- und Evolutionsgesetzen entfaltet, generiert und transformiert werden, obwohl sie selbstverständlich aus dem gegebenen Material heraus erzeugt werden; und (b) aufgrund der notwendigen ›Offenheit‹ der historischen Entwicklung für die Praxis und den Kampf. wir müssen die reale Unbestimmtheit des Politischen anerkennen – der Ebene, die alle anderen Praxisebenen verdichtet und deren Funktionieren in einem bestimmten Machtsystem gewährleistet.

      Diese relative Offenheit oder relative Unbestimmtheit ist auch notwendig für den Marxismus selbst als eine Theorie. Das ›Wissenschaftliche‹ der marxistischen Politiktheorie liegt darin, dass sie die Grenzen politischer Handlungen zu verstehen sucht, die gegeben sind durch das Terrain, auf dem sie operieren. Dieses Terrain wird nicht durch Kräfte definiert, die wir mit naturwissenschaftlicher Exaktheit vorhersagen können, sondern durch die bestehende Balance der gesellschaftlichen Kräfte, durch die spezifische Art der konkreten Konjunktur. Der Marxismus ist ›wissenschaftlich‹, weil er sich selbst als determiniert versteht und weil er eine Praxis zu entwickeln sucht, die theoretisch orientiert ist. Aber er ist nicht ›wissenschaftlich‹ in dem Sinne, dass die politischen Resultate und die Konsequenzen der Führung politischer Kämpfe in den ökonomischen Sternen vorherbestimmt sind.

      Ein Verständnis von ›Determination‹ eher im Sinne von Grenzziehungen, der Festlegung von Parametern, der Definierung von Handlungsräumen, der konkreten Existenzbedingungen, der ›Gegebenheit‹ gesellschaftlicher Praxen, als im Sinne der absoluten Vorhersagbarkeit bestimmter Resultate, ist die einzige Grundlage eines ›Marxismus ohne Gewähr‹. Es bildet den offenen Horizont marxistischer Theoriebildung – eine Determiniertheit ohne eine von vornherein garantierte Geschlossenheit. Das Paradigma gänzlich abgeschlossener, vollkommen vorhersagbarer Denksysteme ist Religion oder Astrologie, nicht Wissenschaft. Aus dieser Perspektive wäre es vorzuziehen, den ›Materialismus‹ der marxistischen Theorie als ›Determination durch das Ökonomische in erster Instanz‹ zu denken, weil der Marxismus sicher zu Recht gegen jeden Idealismus daran festhält, dass keine gesellschaftliche Praxis oder keine Anordnung von Verhältnissen frei von den determinierenden Effekten der konkreten Verhältnisse dahinschwebt, in denen sie angesiedelt ist. Die ›Determination in letzter Instanz‹ war dagegen lange Zeit der Zufluchtsort für den verlorenen Traum oder die Illusion der theoretischen Gewissheit Und das wurde zu einem hohen Preis erkauft, weil Gewissheit Orthodoxie stimuliert, die eingefrorenen Rituale und die Intonation der bereits bezeugten Wahrheit und all die anderen Attribute einer Theorie, die unfähig ist zu frischen Einsichten. Sie repräsentiert das Ende des Prozesses der Theorie, der Entwicklung und Verfeinerung neuer Begriffe und Erklärungen, die allein das Zeichen eines lebendigen Denkens ist, das noch etwas von der Wahrheit über neue historische Realitäten aufnehmen und begreifen kann.

       Aus dem Englischen von Thomas Weber

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