Elisabeth Göbel

Von Blüten und Blättern


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und der Freude kam die Epiphanie ins Christentum. Das ärmliche, unscheinbare Kind in der Krippe, Jesus, ist dennoch das göttlich strahlende Kind, dem die Könige – so berichtet die Legende – exquisite Gaben bringen. Sie beschenken es mit Dingen, die im Stall von Bethlehem gewiss nicht von großem Nutzen sind, Geschenke von hoher Symbolkraft: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Was uns an dieser Geschichte und ihren zahllosen Darstellungen in der Kunst betört, vielleicht auch verstört, ist der kaum zu steigernde Kontrast zwischen tiefster Armut und üppigstem Gepränge. Doch letztendlich kommt der Glanz nicht von der Pracht der Königsmäntel und der luxuriösen Geschenke, den Glanz macht vielmehr das Licht. Es sind die Maler – man denke an Caravaggio und an Rembrandt und seine Schule –, die es auf die Leinwand zaubern. Aber auch die Dichter bringen das Leuchten in die Literatur.

      Durch die künstlerische Gestaltung auch im nichtreligiösen Kontext erlangt eine im Grunde alltägliche Szene eine über sie hinaus weisende Bedeutung, eine »Aura«. Alltägliches verliert seine Banalität, Gewöhnlichkeit wird zur Besonderheit. In der Literatur genügt oft ein winziges Detail, um beim Leser etwas aufscheinen zu lassen, was Erklärungen überflüssig macht und dennoch ein tieferes Verstehen bewirkt, eine dem Alltag zuzuordnende Offenbarung. So erzeugt das Wortgewebe auf dem Papier Freude, manchmal sogar einen Hauch von Feierlichkeit.

      James Joyce gilt als Entdecker der Epiphanie in der Literatur. In Kleine Schriften, Epiphanien schafft er Szenen, deren gewöhnliche, doch mit der Sicherheit des aufmerksamen Dichterblickes genauestens wahrgenommene Details ganze Lebenswelten heraufbeschwören.

      Ist das Aufspüren des Details vielleicht eine eher weibliche Wahrnehmungsweise? Auch Virginia Woolf entwickelt sich zur Meisterin der Epiphanien, die sie illuminations oder daily miracles nennt. Im Erzähl- und Erinnerungsstrom hält sie das Leben für einen Augenblick an: »Life stand still here.« In Alltagsgeschichten wie der Vorbereitung einer Bootsfahrt zum Leuchtturm oder dem Blumenkauf für eine Party gibt es Schlüsselmomente von großer Symbolkraft, die in einem durchaus realistischen Zusammenhang erscheinen und auf den ersten Blick nichts als normale Fakten und gewöhnliche Sätze sind. Es seien »Augenblicke von äußerster Flüchtigkeit, die dadurch, dass der Erzähler sie hervorhebt, zur Metapher werden«, schreibt Umberto Eco in Das offene Kunstwerk.

      So schön, so gut. Innehalten, wahrnehmen und aufschreiben – man muss es können. An manchem Tag gelingt mir weder das Aufschreiben, noch will sich der leiseste Schimmer einer Epiphanie heraufbeschwören lassen. Der kreative Funke entzündet sich nicht. Immer gewinnen die banalen Erledigungen die Oberhand, bleiben banal und lassen nicht das Geringste durchscheinen, sie erzeugen nichts als Müdigkeit, bestenfalls eine nüchterne Zufriedenheit, die dem Erledigen notwendiger Dinge innewohnt.

      7. Januar, Freitag

      Arbeit, real. Alles, was das Haus weihnachtlich machte, wird weggeräumt. Der inzwischen lästig nadelnde Baum mit den Strohsternen und dem Sammelsurium bunter Glaskunstwerke muss raus; die Papierkugeln aus Vietnam, wahre Wunderwerke der Schneide- und Klebekunst, auch die Leuchter aus den Fenstern verschwinden in der Weihnachtskiste. Nur die Engelgirlande bleibt noch hängen, Engel kann man immer gebrauchen. Auch der Herrnhuter Stern in der Japanischen Kirsche vorm Haus bleibt fürs erste.

      Ganz und gar nicht erfreulich ist ein Rundgang durch den Garten. Jetzt zeigt sich, was durch den frühen Wintereinbruch versäumt wurde. Nichts zurückgeschnitten, die abgeblühten Stängel der Stauden nicht weggenommen, Winterschutz nur um den roten Mangold und das neu gepflanzte Johanniskraut gelegt. Die Strünke des violetten Grünkohls, der den Winter überdauern und im Frühling neben dem Seidenknöterich seine gelbe Blütenfackel aufstecken soll, sehen erbärmlich aus. So haben wenigstens die Vögel den Nutzen durch die Unordnung, denn es gibt Unterschlupf und reichlich Samen, am Fenchel, am Schleierkraut, der Gelenkblume und an den braunen Resten der einjährigen Rudbeckie. Weil ich nicht beizeiten für Ordnung sorgte, werde ich wieder gegen die zahlreichen Nachkömmlinge des Schleierkrauts kämpfen müssen. Zwei Sorten habe ich, eine steht im Juni als ein tausendknospiger Busch, kommt aber nicht so recht zur vollen Blüte und versamt sich nicht, die andere, langbeinige blüht locker und leicht in die Breite und wirft in unendlicher Fülle ihre Samen übers Land. Selbst an den übelsten Standorten hat sie schon Kinder. Die sonst im Winter so dekorativen Gräser sind jetzt ein wilder Haufen, von schweren Schneemassen zusammengedrückt, die gertenlangen blauvioletten Ruten der Weidenblättrigen Sonnenblume mit den zarten Blätterfahnen hat der Wind in alle Richtungen abgeknickt. Aber die Petersilie. Ich grabe mit der Hand im Schnee und da leuchtet sie mir frühlingsfroh entgegen. Hallo Grünschnabel, Lust auf einen Schwatz?

      Und der Bambus steht wie eine Eins. Im Mai werden viel zu viele Triebe aus dem Boden kommen, sie schießen geradezu hervor, wachsen schnell wie der Spargel und sind nicht unbedingt der Nachbarpflanzen und des Nachbarn Freude. Man schätzt die Vitalität und holt doch den Spaten, um den Wildwuchs einzudämmen.

      8. Januar, Samstag

      Von der Weihnachtsgans hatte ich am Bauch die Fettlappen abgezogen, kleingeschnippelt und erhitzt und dann mit dem geschmolzenen Fett eine ordentliche Portion Haferflocken getränkt. Die Vögel lieben es. Dazu Sonnenblumenkerne und halbierte angefaulte Äpfel. Im Vogelhaus und auf der Terrasse läuft unser Frühstücksprogramm.

      Amsel, Buchfink, Blaumeise, Kohlmeise, Schwanzmeisenschar, Haubenmeise, Tannenmeise, der braunbrüstige Bergfink in großer Zahl, ebenso Scharen vom Dompfaff. Schön sind sie, die Dompfaffen, besonders die Männchen, mit ihrer Rosenbrust. Ich freue mich, freu mich wie ein Schneekönig. Auch über die Kirschkernbeißer mit dem kräftigen Kegelschnabel. Das Rotkehlchen ist Einzelgänger, ab und zu erscheint ein Kleiber, wenig Spatzen. Stieglitz, Erlenzeisig, Grünling. Der Zaunkönig war nur einmal am Futterplatz, bevor die große Kälte begann, doch er wird zu den ersten gehören, die zurückkommen, Schneekönig heißt er, das ist sein alter Name. Türkentaube, Elster, Eichelhäher. Einmal ein Specht.

      Ein Dompfaffweibchen ist heute gegen das Fenster geflogen und hat es nicht überlebt. Ich nehme den toten, noch warmen Körper in die Hand. Eine Handvoll Leben, eine Handvoll Tod. Das feine weiche Gefieder. Die silberne Kehle und die Brust mit einer Ahnung von Rosenschein, die grauen Deckfederchen der Flügel, das weiße Federhemd darunter, die eingekrümmten Krallen, der kräftige Schnabel, die kleine schwarze Kappe – Dompfaff. Life stands still here. Ich streichle mit den Fingerspitzen. Ich halte den Vogel und nichts pocht in meiner Hand, nichts zappelt, will weg. Ich mag ihn nicht hergeben. Schließlich lege ich den kleinen Körper unter der Fichte, wo der Boden schon weich ist, auf einen Stein neben das Vogelgrab für den Star vom letzten Sommer. Den Tag über liegt er da, neben sich ein Kreuzlein aus Holz, das ein Eichhörnchengrab markiert, schon am Abend ist er verschwunden, eingegangen in den Kreislauf der Natur.

      9. Januar, Sonntag

      Die Sonne scheint, der Schnee geht weg. Die Menschen wenden ihr Gesicht zum Licht und machen die Augen zu. Ich erzähle jetzt eine Geschichte von meinem Enkel.

      Die Sonne scheint, nein, in meiner Geschichte regnet es, richtig garstiges Wetter, obwohl es Frühling ist. Im alten Apfelbaum hat in einem Loch, das der Specht schlug und der Kleiber bewohnte, schließlich ein Starenpaar genistet. Wir haben uns am Metallglanz ihres schwarzen Kleides erfreut, haben zugesehen, wie sie Nistmaterial anschleppten, wie einer der beiden im Loch verschwand um zu brüten, wie sie schließlich unermüdlich Futter brachten. Wir haben um den Baumstamm einen Kranz aus Dornenzweigen gewunden, um die Nachbarskatze vom Kinderraub abzuhalten. Wir lauschten dem Starenlied, dem Schwätzen, Pfeifen, Schnalzen, Zischen im blühenden Apfelbaum und – hör’ mal ganz gut hin, sage ich zum Enkel – das Piepsen und Zitschern der hungrigen Brut. Der Enkel, der noch nicht lange zur Schule geht, liebt Fußball mehr als alles andere, achtet aber darauf, dass der Brutbaum immer verschont bleibt, und er liebt es, uns mit neuen Wörtern und besonderen Sätzen zu erschrecken oder zu irritieren; Gott gibt es nicht, zum Beispiel, das gehört zu den harmloseren.

      An diesem grauenvollen Regentag, an dem es nicht nur Nässe, sondern auch immer wieder beigemischtes Schneegriesel und einen eisigen Wind gibt, ausgerechnet