Andrew Taylor Still

Das große Still-Kompendium


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so lange, bis wir in die Enge getrieben werden. In Gefahren ist es oft sehr wichtig Zeiten und Wege so kurz wie möglich zu halten. Ganze Armeen gehen verloren, wenn sie einige Minuten zu spät kommen, ganze Ernten fallen aus, weil sie nicht rechtzeitig eingebracht werden. Pünktlichkeit ist also zu aller Zeit sehr wichtig. Während des blutigen Krieges in Kansas, in den Fünfzigern, war ein Mann verhasst, wenn er die Freiheit liebte. Die Feinde der Freiheit dachten, er habe kein Recht zu leben und sie verfolgten ihn mit Revolvern und Gewehren. Es war gefährlich für einen Freistaatler alleine angetroffen zu werden und da ich ein Freistaatler auf dem Territorium von Kansas und als praktizierender Arzt überall im Land unterwegs war, reiste ich besonders, als die Befürworter der Sklaverei sich zum Krieg sammelten und die Freistaatler in einem gemeinsamen Hauptquartier zusammenblieben, mit äußerster Anspannung und nur auf Routen, die mir als sicher bekannt waren. Beide Armeen waren bewaffnet und ausgerüstet: auf der einen Seite, um die Sklaverei zu verbreiten, auf der anderen Seite, um sie zu verbieten. Im Jahre 1855 befand sich der Staat im Bürgerkrieg: Partisanen standen sich gegenüber, rangelten miteinander und Morde waren an der Tagesordnung.

      In dieser Phase befand ich mich einmal in einer gefährlichen Situation. Auf der Heimreise von einem meiner Arztbesuche fand ich mich plötzlich vor einem tiefen Graben mit steilen Uferwänden. Der einzige Weg führte über einen roh behauenen Balken mit einer nicht mehr als 40 Zentimeter breiten Oberfläche, dessen Enden in das Ufer eingegraben waren. Der Balken bestand aus Pappelholz, war etwa 6 Meter lang und insgesamt 70 Zentimeter breit und mit den Enden an beiden Uferseiten befestigt. Er war als Fußgängerüberweg für die Leute aus der Nachbarschaft gedacht. Ich musste entweder den Graben an dieser Stelle überqueren oder einen sechs Kilometer langen Umweg machen und mich somit vielen Möglichkeiten aussetzen, von den Verfechtern der Sklaverei getötet zu werden. Sie hassten mich mit der Galle politischer Bitternis, und das war schon lange nicht mehr lustig. So riss ich mich zusammen, nahm mein Leben in meine Hände und hob meinen Körper auf meine treue und erst kurz zuvor beschlagene Maultierstute. Sie schnupperte an dem Balken, welcher etwa 3 Meter über dem zugefrorenen Wasser schwebte. Das Eis war keine 3 Zentimeter dick, darunter befanden sich 60 Zentimeter Wasser und noch einmal 60 Zentimeter Schlamm, wohingegen die Distanz zum anderen Ufer etwa 5 Meter betrug. Meine Stute setzte erst einen Huf auf den Balken, dann einen weiteren und nahm, die Nase direkt am Balken, verwegen und mit festen und vorsichtigen Tritten, den Weg zum gegenüber liegenden Ufer. Es gelang ihr, und nach einer Minute lagen Balken und alle Gefahren hinter mir. Schon erreichte ich die Unterkunft meiner Freunde 800 Meter von meinem Zuhause entfernt.

      Als ich meine Maultier- und Balken-Geschichte im Camp berichtete, gab es eine Menge Ungläubige. Da ich die Wahrheit liebte und die Anschuldigung einer Lüge mir nicht behagte, bat ich den Hauptmann um ein Komitee von drei Personen, die überprüfen sollten, ob mein Maultier den Balken überquert hatte. Da die Stelle nur 800 Meter entfernt lag, antwortete der Hauptmann: „Wir werden alle als Komitee gehen!“ So kamen alle mit und drohten mir, mich in den Bach zu werfen, falls ich gelogen hätte. Als wir den Überweg erreicht hatten, sagte der Hauptmann: „Hier sind überall Hufspuren auf dem Balken, die nur von einem Maultier stammen können. Still hat die Wahrheit gesprochen, die Spuren beweisen es!“

      Einige Monate nach dem Maultier- und Fußwegübergang-Abenteuer wurde ich zu einer 16 Kilometer entfernt lebenden kranken Frau namens Jones gerufen. Um den Weg so kurz wie möglich zu halten, schlug ich mich durchs Unterholz. Weil ich durch einen dichten Waldabschnitt ritt, konnte ich mehr als drei Kilometer sparen. Ich erreichte den Waldpfad und wollte gerade los galoppieren, als meine Stute plötzlich abbremste, ihre Ohren aufmerksam nach vorne richtete und anschließend nur sehr langsam und widerstrebend ihren Weg fortsetzte. Mir war sofort klar, dass hier Menschen in der Nähe waren und mir war ebenfalls bewusst, dass das Blut der Gegentruppe bereits siedete. Also zückte ich meinen Revolver, nahm mein Gewehr von der Schulter und wappnete mich so gegen die Gefahr. Da ich weder die Position noch die Zahl des Feindes genau kannte, erschien mir als beste Strategie, möglichst gefährlich auszusehen. Innerhalb einer Minute befand ich mich auf einer offenen Lichtung in Gesellschaft von 50 oder mehr Anhängern der Sklaverei, meinen tödlichen politischen Feinden. Sie waren an diesem geheimen und abgeschiedenen Platz versammelt, um sich auf den Kampf mit den Gegnern der Sklaverei vorzubereiten. Ich kann nicht mehr sagen, ob mir die Haare zu Berge standen, denn ich hatte nicht den Eindruck, dass mir überhaupt noch Zeit blieb, um mich um meine Haare zu kümmern. Ich wusste, dass Bluff in jeder Situation eine Menge ausmachen kann; deshalb sprach ich mit lauter, bestimmter und kommandierender Stimme:

      „Was zum Tl macht Ihr hier?“ 17

      Der kommandierende Hauptmann antwortete mir:

      „Wo zur Hle willst Du hin?“

      Ich sah sofort, dass mein festes Auftreten einen guten Eindruck gemacht hatte und ich nicht länger in Gefahr schwebte. Ich saß ab, stellte mich vor die Kompanie, schüttelte dem Hauptmann die Hand, bat ihn mir das Kommando zu überlassen, damit ich diese Männer trainieren und ihm zeigen könne, wie Jim Lane und John Brown dies zu tun pflegten und schloss mit den Worten:

      „Wenn Deine Männer nicht besser trainiert werden und Jim Lane Dich eines Tages trifft, wird er Dich vermöbeln!“

      Der Hauptmann übergab mir seine Männer. Ich ließ sie in einer Reihe Aufstellung nehmen, alle Übungen der Kavallerie durchführen, verwickelte sie ineinander und entzerrte den Haufen wieder. Ich sagte zum Hauptmann, er müsse seine Männer besser drillen, sodass sie sich besser aus der Bredouille bringen könnten, sofern sie auf uns stießen. Nachdem ich die Kompanie wieder ihrem Hauptmann Owens übergeben hatte, sagte dieser zu seinen Männern:

      „Achtung Kompanie! Dies ist Dr. Still, der verte Gegner der Sklaverei außerhalb der He. Er fürchtet sich weder vor der He noch vor Hochwasser. Wenn ihr krank seid, ruft nach ihm! Er hat das Leben meiner Frau gerettet, als sie an Cholera litt und ich weiß, dass er überall dort erfolgreich sein wird, wo ihr ihn hinstellt. In der Politik ist er euer Feind, bei Krankheiten hat er bewiesen, dass er ein Freund ist!“

      Er schloss mit den Worten:

      „Doc, kommen Sie mit zu mir nach Hause zum Abendessen und dann werde ich Sie zu Mrs. Jones begleiten.“

      Ich begleitete ihn zum Abendessen und er hielt sein Wort. Von da ab, bis zum Ende der Sklavereifrage 1857 passierte ich seine Leute ohne jede Belästigung.

      Ich wurde als Repräsentant von Douglas County, Kansas, in die gesetzgebende Versammlung gewählt. Unter meinen Kollegen waren Leute wie John Speer, George Ditzler und Hiram Appleman, alles glühende ‚Freistaatler‘, welche die Sklaverei in allen ihren Formen hassten und in ihr ein Hindernis für den Fortschritt des Menschen und der Nationen sahen.

      Ich machte mir Gedanken darüber, dass mein alter Staat Missouri, der 20 Jahre meine Heimat gewesen war, 150.000 Hektar Schulgelände besaß und dennoch nicht einen Dollar für die Schulen verwendet worden war. Als ich in meinen jungen Jahren zur Schule gehen wollte, wurde dieses, über $ 1.000.000 betragende Geld dazu verwendet, um ‚Maultiere und Nigger‘ zu kaufen. Ich fühlte mich um mein Recht auf Schulbildung betrogen und bezahlte meine Ausbildung mit beschädigten Gleisen.18 Als Mitglied der gesetzgebenden Versammlung in Kansas wollte ich dafür sorgen, dass so eine Tyrannei nicht wieder stattfinden sollte. Die Versammlung plädierte mit großer Mehrheit für die Freiheit. Beide Häuser sowie Gouverneur Reeder waren da mit uns einer Meinung.

      Als ich das erste Mal 1857 in die gesetzgebende Versammlung gewählt wurde, einigten sich die Freistaatler auf ein Treffen in Lawrence und Topeka und machten sich gemeinsam auf den Weg nach Lecompton. Da ich zum unteren Distrikt gehörte, ging ich ebenfalls nach Lawrence. Die Freistaatler hatten sich darauf geeinigt um 10:30 Uhr, begleitet durch eine bewaffnete Truppe in die Stadt einzuziehen. Wir kamen kurz vor den anderen an, versorgten unsere Pferde und schlenderten in kleinen Gruppen plaudernd durch die Stadt. Unser Verhalten erweckte sofort Vorahnungen bei den Befürwortern der Sklaverei. Unweit vom Rathaus entfernt pöbelten mich einige von ihnen, Richter Elmore, zwei Männer namens Kato und Brindle und ein gewisser Hall, an:

      „Wo kommst’n her?“

      Ich antwortete ihm, ich käme von Douglas County und Elmore fragte: