Peter S. Kaspar

Der gute Mensch von Assuan


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nicht mache?‹, wollte ich wissen.

      ›Dann nimmst du beide Datteln, bedankst dich artig und lässt dich besser nie wieder bei Tarek blicken. Solltest du doch noch von hier wegkommen, gibt’s auch noch andere Händler.‹

      Ich ging zurück zu Iris und erzählte ihr von dem Treffen mit Essam. Ich war hin- und hergerissen. Zwar schien mir das Risiko gar nicht mal so groß, aber es handelte sich immerhin um Rauschgift. Dass es Kokain war, habe ich erst später erfahren. Mit so etwas hatte ich keine Erfahrung und wollte auch keine machen. Aber wenn die Sache schiefgehen sollte, dann hing Iris auch mit drin. Und davor hatte ich Angst. Doch Iris machte sich über meine Bedenken lustig. ›Du bist ja süß, mein Lieber. Hast Angst, ein wenig zu schmuggeln, weil deiner Freundin, der Mörderin, etwas passieren könnte.‹ Ich war verblüfft und auch ein wenig ärgerlich. Ich wollte nicht, dass sie so über sich sprach. Doch irgendwie schien sie ihre Scheu und Zurückhaltung verloren zu haben. Sie wirkte ziemlich brutal – und ziemlich anziehend. An diesem Tag habe ich mich endgültig in sie verknallt. Und sie sich wohl auch in mich.

      Plötzlich machte es mir gar nichts mehr aus. Was soll’s?, dachte ich, dann schmuggelst du halt ein wenig Rauschgift. He, hier geht es ums nackte Überleben, was scheren mich da noch Gesetze? Es war genau diese Einstellung, die Iris schon länger trug und die sich nun auf mich übertragen hatte. Und ich sage es euch ganz ehrlich: Ich würde es natürlich wieder tun. Da unten am Rande der Sahara gab’s keine Gesetze, und wenn doch, dann wurden sie von niemandem beachtet, schon gar nicht von der Polizei.

      Ich weiß gar nicht mehr, wie lange wir in Agadez blieben. Es mochten vielleicht ein oder zwei Wochen gewesen sein. Wir hatten uns aus einer blauen Plastikplane und ein paar Sperrholzkisten eine Art Hütte zusammengebaut, die nun unsere Bleibe war. In der ersten Nacht, da hielten wir nur Händchen, in der zweiten küssten wir uns und in der dritten … naja, hinterher fiel es uns dann gar nicht mehr schwer, uns wie ein Ehepaar zu benehmen.

      Eines Tages kam ein Junge, etwa zehn Jahre alt, angerannt und sagte, er käme von Essam. Wir sollten mit all unserem Gepäck in einer halben Stunde bei seinem LKW sein. 20 Minuten später standen wir vor seinem Siebeneinhalb-Tonnen-Truck. Das Fahrzeug war nicht gerade groß. Allerdings war seine Größe nicht exakt zu erkennen, weil es über und über mit Bündeln, Kisten, Kanistern, Körben und Paketen beladen und behängt war.

      Ich riss die Augen auf und fragte, wo denn da noch Platz für uns beide sei.

      Essam grinste und deutete aufs Dach, wo sich ebenfalls schon meterhoch das Gepäck stapelte. ›Das ist gar kein Problem. Das machen wir immer so. Es schaukelt zwar ein wenig, aber ihr seid da völlig sicher. Es kommt übrigens noch ein Paar. Dann seid ihr zu viert, dann wird es nicht so langweilig.‹

      Das Paar, das wenige Minuten später auftauchte, war etwa in unserem Alter. Sie kamen aus dem Sudan, genauer aus Darfur, und hatten sich durch den Tschad bis nach N’Djamena und von dort nach Agadez durchgeschlagen. Sie hatten eine Reise von fast tausend Kilometern hinter sich. Besonders gesprächig waren beide nicht. Sie war scheu und stets verängstigt, er stumm und ernst. Wenn man sie ansprach, lächelten sie freundlich, aber zurückhaltend und gaben keine Antwort. Ob sie uns nicht verstanden oder völlig traumatisiert waren – ich weiß es nicht. Ich habe von den Reitermilizen in Darfur gehört. Wahrscheinlich waren sie vor denen geflohen. Die Fahrt begann und es wurde ein grauenvolles Erlebnis. Wir saßen dort oben auf Bündeln von Gepäck, sicher mehr als vier Meter über der Straße. Krampfhaft hielten wir uns an allem fest, um nicht von Dach heruntergeschleudert zu werden. Recht bald wurde uns allen schlecht. Die Frau aus dem Sudan musste sich als erste übergeben. Wir hatten keine Möglichkeit, anzuhalten und uns zu säubern. Der Gestank war so erbärmlich, dass wir drei in kurzer Folge ebenfalls kotzen mussten.

      Der Frau war es schon bei ihrer Ankunft in Agadez ziemlich schlecht gegangen. Doch jetzt wurde es mit jedem Kilometer schlimmer. Sie begann zu schreien, dann stöhnte sie nur noch.

      Der LKW schwankte, schien manchmal zu kippen, wenn er in ein Schlagloch geriet, doch Essam blieb unerschütterlich am Steuer.

      Einmal sahen wir einen LKW, der am Straßenrand liegen geblieben war. Vermutlich ein Achsbruch. Fünf Flüchtlinge und der Fahrer flehten, unser Truck solle doch anhalten. Doch Essam machte keine Anstalten zu stoppen und trat wie zur Bekräftigung nur noch einmal aufs Gas.

      Kurz vor Sonnenuntergang erreichten wir den ersten Rastplatz, wo auch schon andere Lastwagen, die die Sahara von Süd nach Nord bezwingen wollten, haltgemacht hatten. Alle waren sie so vollbepackt wie unser LKW und sahen dadurch eher aus wie in einer Karikatur.

      Wir halfen dem schweigsamen Sudanesen, seine Frau vom Dach des Trucks herunterzuheben. Alleine war sie nicht mehr in der Lage dazu. Ihr Mann legte sie vorsichtig unter eine Tamariske. Sie hatte offensichtlich hohes Fieber und schien zu fantasieren. Iris nahm etwas von unserem kostbaren Wasser, und versuchte damit unser Lager auf dem LKW-Dach zwischen all den Kisten. Bündeln und Truhen einigermaßen zu reinigen. Ich wollte und konnte sie nicht davon abhalten, obwohl ich Angst hatte, dass wir diese Verschwendung von Wasser vielleicht noch bereuen würden.

      Der ganze Körper tat mir weh. Ich hatte überall Prellungen, die es mir schwer machten, mich überhaupt richtig hinzulegen. Wenn ich die Augen schloss, dann schwankte alles. Obwohl ich entsetzlich müde war, fand ich kaum Schlaf. Iris ging es da besser. Sie war sofort neben mir eingeschlafen. Doch es waren auch noch andere in dem großen Lager wach. Man hörte Lachen und Rufen. Aber auch Schreie, schlimme Schreie. Es klang, als würde jemand gequält – oder umgebracht.

      Essam, der in Agadez noch so freundlich zu uns gewesen war, wechselte nun kein Wort mehr mit uns, tat so, als seien wir gar nicht da, und als ich ihn während der Rast einmal ansprach – ich wollte wissen, was mit den Menschen aus dem gestrandeten LKW passierte – fuhr er mich ärgerlich an und brüllte, ich solle mich zum Teufel scheren. Da wurde mir klar, dass wir für ihn nur noch Waren waren, nichts anderes als all die Kisten und Körbe, die an seinem LKW hingen.

      Am nächsten Morgen scheuchte er uns kurz vor Sonnenaufgang auf und schrie, wir sollten uns schleunigst auf den Wagen machen, sonst lasse er uns hier zurück. Die Sudanesin atmete nur noch sehr flach. Ihrem Mann stand die Sorge ins Gesicht geschrieben, Sorge, die sich langsam aber sicher in Angst verwandelte. Ich hatte mir überlegt, an was für einer Krankheit sie wohl leide. Iris, die ja von sich selbst immerhin behauptet hatte, Krankenschwester zu sein, war auch ratlos. Als das Fieber einsetzte, hatte sie eine der Malariatabletten, die wir in Agadez erstanden hatten, angeboten. Der Mann schien zunächst erfreut, studierte dann die Tablette eingehend und runzelte schließlich die Stirn. Mit einem bedauernden Schulterzucken gab er sie zurück. Offensichtlich kannte er das Medikament und offensichtlich glaubte er, dass die Krankheit seiner Frau nichts mit Malaria zu tun hatte. Da das Fieber blieb, glaubte Iris, dass der Mann recht hatte, denn Malariaanfälle zeichneten sich eher durch Fieberschübe aus. Ich jedenfalls wurde nervös. Was, wenn das eine ansteckende Krankheit war und wir uns nun auch damit infizierten? Iris versuchte mir die Angst zu nehmen und erklärte mir allerhand schlaues Zeug, von dem ich nicht einmal die Hälfte verstand.

      Sie hielt noch zwei Tage durch. Dann kam das Ende schnell. Der LKW rollte über eine einigermaßen ruhige Wüstenpiste. Völlig unvermutet geriet er aber mit dem rechten Vorderrad in ein tiefes Schlagloch. Es hob uns alle fast einen halben Meter in die Höhe, ehe wir wieder unsanft auf die Fracht krachten. Da schrie sie laut und riss ihre Augen weit auf. Sie umklammerte mit beiden Händen die rechte ihres Mannes und sagte ihm in schnellen, stakkatoartigen Worten etwa in einer Sprache die wir nicht verstanden. Dann lehnte sie sich zurück – und sie lächelte, der Kopf sank zur Seite, die Augen wurden glasig. Es war aus. Ihr Mann sagte nichts. Es klagte nicht, er schrie nicht. Nur Wasser stand in seinen Augen, als er die Lider seiner Frau zudrückte.

      Souliman machte eine Pause und schluckte. Seine Stimme war in den letzten Minuten immer monotoner geworden. Es schien, als habe er gar nicht mehr zu den vier Leuten am Tisch gesprochen, sondern zu irgendeinem weit entfernten, stummen Auditorium, das von ihm nichts anderes erwartete, als einen kühlen, sachlichen Bericht über das Vorgefallene. Doch gerade die Monotonie seiner letzten Worte hatte Mansur tief berührt und ihm deutlich gemacht, wie tief das alles in Souliman drinsteckte, wie sehr ihn die Emotionen in der Tat noch beherrschten. Es war wie ein Schutzschild,