Peter S. Kaspar

Der gute Mensch von Assuan


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›Die haben Stuart umgebracht.‹

      Iris fragte mit einem unschuldigen Augenaufschlag: ›Warum sollten wir das tun?‹

      Omars Augen verwandelten sich wieder zu Eis und ich begriff, dass ich nun gefordert war. ›Als wir den Wagen verließen, da hat er noch gelebt, unüberhörbar. Er hat laut geschnarcht. Vermutlich hast du ihn um die Ecke gebracht, um an sein Geld zu kommen.‹

      John quollen beinahe die Augen aus den Höhlen: ›Du Schwein‹, brüllte er mich an und wollte auf mich losgehen, ›das wirst du mir büßen.‹

      Omar stellte sich zwischen uns und hatte plötzlich einen Revolver in der Hand. ›Ihr habt gewusst, dass ihr euch auf eine gefährliche Reise einlasst. Was willst du? Es ist der Wille Allahs. Beruhige dich und lass Souliman in Ruhe. Er sieht mir nicht nach einem Mörder aus, und wenn Stuart bis gerade noch gelebt hat, dann muss es ja wohl jemand anderes gewesen sein.‹

      John atmete schwer und funkelte uns an. Omar hielt es für besser, uns vorerst zu trennen. Er verließ mit John den Platz und schärfte uns sein, hier solange auf ihn zu warten. Ich verstand gar nichts mehr.

      ›Wieso ist der Ghanaer tot, er war doch noch quicklebendig?‹, fragte ich.

      Sie zog eine etwa 20 Zentimeter lange, dünne Stricknadel aus ihrem Bündel. ›Wenn ich damit an der richtigen Stelle zusteche, merkt er es nicht einmal und er verblutet innerlich.‹

      Ich schüttelte ungläubig den Kopf. ›Was erzählst du da?‹

      Sie schaute mich belustigt an. ›Sagt dir Sissi, die Kaiserin von Österreich etwas?‹

      Ich zuckte mit den Schultern. ›Nie gehört.‹

      Iris erklärte: ›Sie ist genau so gestorben. Ein Attentäter hat sie mit einer schmalen Feile bei einem Spaziergang am Genfer See erstochen und sie hat es nicht einmal bemerkt. Sie wurde plötzlich ganz schwach und fiel tot um.‹

      Ich war völlig überrascht. ›Woher weißt du das alles?‹

      Sie wiegte leicht den Kopf. ›Ich bin vielleicht ein Mädchen, aber dumm bin ich nicht – und Geschichte interessiert mich einfach. Außerdem bin ich gelernte Krankenschwester. Ich weiß also schon deshalb, wie man möglichst effektiv zusticht.‹

      Die letzten Worte hatten schon einen kleinen bedrohlichen Unterton, dachte ich noch. Da wurde es mir plötzlich heiß und kalt und ich realisierte: Sie hatte es getan. Sie hatte es tatsächlich getan und ihren Vergewaltiger umgebracht. Offenbar hatte sie nur auf diese Situation gewartet, um ihn auszuschalten. Ob die Bitte um Hilfe nur ein Ablenkungsmanöver war? Ich weiß es bis heute nicht.

      5. Kapitel

      Der Rettung kleiner Nachen

      Wird sofort in die Tiefe gezogen.

      Mansur sog scharf die Luft ein. Sein Blick wanderte vom einen zum anderen. Sie schauten einander betroffen an. Die Situation wirkte völlig bizarr und unwirklich. Da sprach einer in aller Seelenruhe über einen Mord, der in seiner unmittelbaren Nähe begangen wurde. Und trotzdem schien das alles ganz normal zu sein. Es war schwer, den Menschen, der das jetzt alles erzählte, mit demjenigen in Einklang zu bringen, der das alles erlebt hatte. Fast schien es ihnen, als spreche Souliman über jemand ganz anderen.

      Wir mussten unbedingt nach Agadez. Von hier starteten die LKW durch die Wüste. Auf Omar warteten wir vergeblich. Wir hatten keine Ahnung, was mit ihm passiert war. Doch wir schlugen uns durch. Zwei Tage dauerte die Fahrt mit dem Buschtaxi. Einmal entgingen wir knapp einem Überfall. Banditen schossen auf unseren Bus. Der Fahrer trat voll aufs Gas und wir entkamen.

      Doch in Agadez angekommen, hatten wir ein Problem. Es gab keinen Kontaktmann für uns. Wie sollten wir nun durch die Wüste kommen? Es war ja schon alles bezahlt, aber was nützte das, wenn wir unseren Fahrer nicht finden würden? Iris glaubte, dass es nie einen Kontaktmann gegeben hatte und Omar nur deshalb verschwunden sei. Wahrscheinlich sei es von vornherein der Plan gewesen, uns hier irgendwo in Niger unserem Schicksal zu überlassen. Ich weiß nicht, ob sie recht hatte. Es kann auch durchaus sein, dass Omar festgenommen oder von jemand getötet wurde. Auf dieser Route konnte niemand sicher sein, ob er den nächsten Tag überlebt – ob als Flüchtling oder als Schleuser.

      In Agadez jemanden zu finden, der uns an die libysche Küste bringt, war nicht besonders schwer. Allerdings sollte der Transfer 1 000 Dollar pro Person kosten. Ich hatte noch genau 1 000 Dollar, zehn Hunderter versteckt in meinen Schuhen und einem Lederbeutel. Das war meine eiserne Reserve. Aber was sollte mit Iris werden? Sie hatte fast nichts mehr. Irgendwie mussten wir an das Geld kommen. Iris deutete an, dass sie es notfalls auch mit Prostitution zusammenkriegen würde. Schließlich sei sie ja schon vergewaltigt worden, dann könne sie jetzt ja auch für Geld die Beine breitmachen. Ich war völlig schockiert und sagte ihr, dass sie es nicht machen dürfe, und ich würde das Geld schon zusammenbekommen.

      Essam, einer der Lastwagenfahrer, war recht freundlich und gab mir Tipps. Er meinte, dass wir noch viel mehr bräuchten als die 1 000 Euro für die Fahrt.

      ›Jeder von euch muss 40 Liter Wasser dabeihaben. Wir fahren einmal quer durch die Sahara, Mann. Das ist kein Spaziergang. Und dann braucht ihr Proviant, der nicht gleich verdirbt. Geh zu Tarek Mussa. Dort bekommst du ein fertiges Paket mit allem, was du brauchst. Der hat sogar Malariatabletten – und er haut dich nicht ganz so brutal übers Ohr wie die anderen. Aber 150 Dollar wirst du schon anlegen müssen.‹

      Ich wandte ein, dass ich mit dem Reiseproviant nichts anfangen könne, wenn ich mir die ganze Reise nicht leisten könne.

      Essam begann in blumigen Worten etwas anzudeuten, was ich zunächst nicht recht kapierte. Dann wurde er deutlicher. ›Du musst dir die Reise verdienen und da gibt es Mittel und Wege. Manche Mittel und Wege sind so einträglich, dass schon der eine oder andere an der Küste umkehrte und wieder zurück nach Agadez kam. Das ist nicht schwerer als, sagen wir, Postbote. Während andere schwer an ihrer Last tragen, ist das, was du trägst, leicht wie eine Feder.‹

      Ich zuckte ratlos mit den Schultern.

      ›Du willst doch nach Europa, weil du deiner Familie Geld schicken willst?‹, fragte er.

      Ich nickte stumm.

      ›Oh, Mann, hier machst du das Geld, hier. Was willst du in Europa? Meinst du, die warten dort nur auf dich? Bleib hier und mach dein Glück.‹ Essam schien ehrlich besorgt um mich zu sein.

      ›Und wie soll ich mein Glück machen?‹, fragte ich ein wenig patzig.

      Essams Augen verengten sich. ›Kann ich dir trauen?‹

      Ich nickte. Mein Hals wurde trocken.

      ›Tja, die Sache ist ganz einfach. Geh zu Tarek und sag ihm, dass du Proviant brauchst. Sag ihm, Essam habe dich geschickt. Er wird seine Hand öffnen und da werden zwei Datteln auf der Handfläche liegen. Nimmst du eine davon und isst sie, wird Tarek dir deinen Proviant zusammenstellen. Wundere dich nicht, wenn drei Wasserkanister dastehen. Einer von den dreien enthält nicht nur Wasser. Sollte dich jemand mit dem anderen Inhalt des dritten Kanisters erwischen, dann …‹ Er hielt inne und fuhr sich mit dem rechten Daumen quer über die Kehle. So langsam dämmerte es mir. Ich sollte Drogen schmuggeln.

      ›Und was ist mit Iris?‹, wollte ich wissen.

      Essam lachte. ›Die reist auf deinem Ticket. Ehepaare sind unauffälliger.‹

      Ich wehrte mit den Händen ab, obwohl mir der Gedanke gefiel: ›Nein, nein, Iris ist nicht meine Ehefrau.‹

      Essam lachte. ›Schade eigentlich, ihr passt gut zusammen.‹

      Ich räusperte mich. ›Wie soll das gehen? Sie ist Christin, ich bin Muslim.‹

      Essam verdrehte die Augen. ›Vergiss diese Religions-Kacke für einen Moment. Das, was ich jetzt sage, meine ich ernst. Wenn du mit dem Stoff erwischt wirst, bist du dran, aber deine kleine Freundin auch. Und ich rede hier nicht nur von den Behörden. Ich rede auch von eventuellen Mitreisenden. Es sind Leute hier schon wegen weit weniger umgebracht worden.‹ Ich musste sofort an Stuart