Uwe Westfehling

Mit den Normannen nach England


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I. „Beauclerc“ (etwa: „Schöngeist“ – wegen seiner Gelehrsamkeit), reg. 1106 – 1135 stellt die von Wilhelm „dem Eroberer“ begründete Personalunion wieder her. Von hier an betrachten wir die Herrschaft der Normandie im Rahmen der englischen Erbfolge (S. 116f.).

      Wenn Abenteurer sesshaft werden

      Es gibt „Hohe Herren“, mit denen schwer umzugehen ist, aber dasselbe kann auch für Gefolgsleute gelten. Die Entwicklung der Normandie unter Rollo und seinen Nachfolgern vollzieht sich, so könnte man sagen, in lockerer Anbindung an die Krone von Frankreich. Nominell sind die Fürsten der Rollo-Dynastie als Lehensträger von ihrem König abhängig, aber in der Praxis lassen sie sich nicht gern Vorschriften machen. Ab wann sie eigentlich offiziell den Titel Herzöge führen, ist übrigens nicht klar. Für ihren Begründer selbst und seinen Sohn ist das offenbar noch nicht der Fall, obwohl spätere Chronisten im Rückblick die Bezeichnung anwenden. Richard I. erscheint in Urkunden als Graf, Markgraf und Fürst der Wikinger, aber auch bereits als „Dux“ (Herzog). Für Richard II. scheint dieser Titel dann bereits üblich zu sein (1006). Die Kanzlei der französischen Könige zieht es freilich noch lange vor, in offiziellen Urkunden bei der Bezeichnung „Graf “ zu bleiben.

      Was Regierungsform und Lebensführung angeht, sollten wir uns nicht vorstellen, dass die neu angesiedelten Wikinger augenblicklich ihren Charakter gewechselt hätten. Aus der Zeit von Richard „Langschwert“ hört man sogar noch von Raubzügen. Andererseits beginnt wohl recht bald ein Prozess der „Frankisierung“. Das drückt sich vor allem darin aus, dass die Normannen sich innerhalb weniger Generationen alles das aneignen, was ihnen an französischer Kultur in den Kram passt; vor allem wechseln sie zur französischen Sprache, sodass sie wohl im Jahr 1066 von vielen Angelsachsen als Franzosen bezeichnet und in jedem Fall als solche angesehen werden. Dabei scheint es immer wieder neue Wellen der Einwanderung gegeben zu haben, indem weitere Siedlergruppen aus dem Bereich Skandinaviens oder auch „Nordleute“, die in England oder anderswo sesshaft geworden sind, in das aufstrebende neue Herzogtum nachkommen und „assimiliert“ werden.

      Expansionsgelüste

      Eine Eigenschaft hat die Normannen – bei diesem Namen, der sie von der wikingischen Herkunft abgrenzt, wollen wir von nun an bleiben – ganz zweifellos für lange Zeit zu „schwierigen“ Nachbarn gemacht; man könnte sie als eine Form von „Ellenbogenmentalität“ bezeichnen. Sie streben danach, sich eine Position der Stärke aufzubauen, und diese nutzen sie gerne aus, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet, Druck auf andere auszuüben und ihren eigenen Machtbereich zu erweitern. Kurz gesagt: Die Normannen erweisen sich als unbarmherzige „Expansionisten“ mit starkem Angriffsgeist (Abb. 5). Das ihnen ursprünglich zugewiesene Territorium in der Gegend von Rouen ist verhältnismäßig klein, ja bescheiden. Aber es ist nicht normannische Art, sich mit solchen Gegebenheiten zufrieden zu geben. So kommen Schritt für Schritt weitere Territorien hinzu. Die „Haute Normandie“ (Obere Normandie) wird um das Gebiet der „Basse Normandie“ (Untere Normandie) erweitert. Zwei Bereiche, zwischen denen es zeitweise zu beträchtlichen Spannungen kommt. Im Einzelnen handelt es sich u. a. um das Bessin (die Gegend um Bayeux) im Jahr 924 und das Hiémois (die Gegend um Falaise) 933. Das ist bereits unter Wilhelm I. Fakt. Außerdem kommen zu diesem Gebiet das Cotentin (die Gegend um Coutances) und das Avranchin (die Gegend um Avranches). Einerseits geht es bei dieser Politik um eine Machtprobe gegenüber Frankreich und andererseits müssen die neuen „Nachzügler“ aus Skandinavien integriert werden. Wilhelm I. gelingt dieses letztere Kunststück durch Heirat mit Gunnor, der Tochter eines norwegischen Fürsten. Der Schachzug erweist sich als so wirksam, dass R. A. Brown von einer „zweiten Gründung des zukünftigen Herzogtums“ sprechen kann.3 Die aggressive Außenpolitik der Rolloniden erinnert an das Vorgehen, das im 20. Jh. als „Salami-Taktik“ charakterisiert worden ist: ein Stück nach dem anderen. Diese Linie lässt sich bis zu Wilhelm „dem Eroberer“ verfolgen, der in den Jahren 1051/1052 Alençon, Domfront und das Passais hinzugewinnt. Aber so weit sind wir an dieser Stelle noch nicht.

      Auch im Inneren ist das Herzogtum – auch hier wollen wir von nun an bei dieser Bezeichnung bleiben – durchaus nicht ohne Spannungen. Es gibt Gruppenbildung und Rangfolgekämpfe, die stets im Auge behalten werden müssen, wenn die Regierungsautorität sich behaupten soll. Auch hierfür wird die Zeit Wilhelms „des Eroberers“ typisch sein, besonders in den ersten Jahren, der Phase seiner Unmündigkeit.

      Abb. 5

      Kampfeslustige Expansionisten? Normannischer Ritter im Angriff.

      Ein straffes Regiment

      Der Machtapparat der Herzöge setzt sich durch und es bildet sich in der Normandie trotz mancher Gegenkräfte und Irritationen eine feste und straf organisierte Herrschafts- und Gesellschaftsstruktur. Die entscheidenden Faktoren dieser Entwicklung finden sich am treffendsten bei Brown zusammengefasst, dessen Studien ich in dieser Hinsicht nach wie vor für wegweisend halte. Dominierend sind zwei Gruppen, auf die sich das Herzogtum stützt: die Kirche und der Adel, beide drastisch abgesetzt gegen „das Volk“, welches in erster Linie aus Bauern und erst ansatzweise aus städtischem Bürgertum besteht. Diese Voraussetzungen sind in der Lebenswelt des Mittelalters so gut wie selbstverständlich. Dennoch gibt es in der Normandie ein paar Züge des Systems, die besondere Erwähnung verdienen. Da ist beispielsweise die ausgesprochen enge und deutlich zweckgerichtete Verbindung von Politik und Religion, die sich gleich in mehreren Formen zeigt: Förderung von Klöstern und anderen kirchlichen Institutionen durch das Herzogshaus gehört dazu, ebenso wie stabile familiäre Verknüpfungen und die hervorgehobene Rolle einzelner Personen aus dem Klerus bei Hofe, schließlich auch die Bedeutung, die man den Kontakten zum Papsttum zumisst. Bei solchen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass die zentrale Dominanz kirchlicher Belange umgekehrt auch zur Instrumentalisierung der Geistlichkeit und ihrer Wirkungsmacht führt, indem religiöse Prinzipien und Strukturen ohne Bedenken benutzt werden, um politische Ziele zu erreichen. Denken wir nur an die Bedeutung, welche Wilhelm „der Eroberer“ einer päpstlichen Parteinahme im Konflikt um die englische Krone beimessen wird (S. 57)! Und dann: Wie klar gerade dieser Herzog den Zusammenhang zwischen geistlichen Stiftungen und der Erreichung persönlicher Ziele vor Augen hat, zeigt das Vorgehen bei der Kontroverse um seine (nicht zuletzt politisch motivierte) Eheschließung (S. 46). Übrigens: Einer der wichtigsten Historiographen, die uns Berichte über die Ereignisse von 1066 liefern, ist zugleich Geistlicher am Herzogshof. Die Formulierung von Ansprüchen ebenso wie die Selbstdarstellung des Herrschers sowohl für die eigene Zeit als auch für die Nachwelt sind auf diese Weise klar in das Netz klerikaler Verbindungen eingebettet.

      Und schließlich darf in diesem Zusammenhang ein weiterer Gesichtspunkt keinesfalls unterschätzt werden, mit dem wir uns noch befassen müssen: Die neuen Entwicklungen in der sakralen Baukunst (S. 111), die aus der Normandie wichtige Impulse erhalten, unterstreichen deutlich sichtbar, mit welchem Nachdruck im Herzogtum Wilhelms „des Eroberers“ und später auch in seinem Königreich die religiöse Sphäre mit dem herrscherlichen Handeln bzw. mit dem Verwaltungsapparat und dadurch mit allen gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen verbunden ist.

      Den zweiten Pfeiler herzoglicher Macht bildet – auch dies keineswegs überraschend – die Aristokratie. Diese Führungsschicht ritterlicher Prägung beansprucht in der Normandie traditionell gewisse Freiheiten. In den entscheidenden Punkten und vor allem bei der Gefolgschaftstreue im Krieg zeigt sich aber eine grundsätzliche Loyalität des Adels zum Herzogshaus. Das verhindert freilich nicht, dass es immer wieder zu Rivalitäten und Positionskämpfen, zu Aufbegehren und sogar zu tatsächlichen Rebellionen käme. Auch in dieser Hinsicht werden wir gerade an der Lebensgeschichte Wilhelms des Eroberers und ganz besonders bei Betrachtung seiner frühen Jahre ein drastisches Bild zu sehen bekommen (S. 44). Die Herren geben nicht gerne den eigenen Willen und die eigenen Ambitionen auf. Dennoch: Als es darauf ankommt,