Tamara war für uns wichtig, weil sie spanisch sprach. Wegen ihrer Sprachkenntnisse und wegen ihres mitreißenden Engagements war sie überall dabei. Wir trafen uns oft beim Essen im Speisesaal. Sie war damals eine der engagiertesten Mitstreiterinnen in der FDJ. Durch ihre Übersetzungen für Jugendfunktionäre hatte sie ein interessantes und für DDR-Verhältnisse abwechslungsreiches Betätigungsfeld. Tamara war eine gut aussehende junge FDJlerin, vielseitig aktiv, doch niemand von uns hätte damals gedacht, dass sie einmal die »Guerillera Tania« wird. Der Besuch von Che Guevara in der DDR hatte nach meinem Eindruck eine große Wirkung auf Tamara und forderte sie als Revolutionärin heraus. Danach wollte sie mehr für die Verwirklichung ihrer Ziele tun, als sie das in der FDJ konnte. Sie verstand sich selbst als Internationalistin.
VH: War sie eher Romantikerin oder Realistin? Wie haben Sie Tamara Bunke erlebt?
HM: Ich habe Tamara als eine sehr selbstbewusste, gesellschaftlich aktive junge Mitstreiterin erlebt. Sie stand immer im Zentrum, war absolut kontaktfreudig, immer begeisterungsfähig – aber auf keinen Fall unrealistisch oder gar fanatisch. Tamara war für uns nicht nur die Dolmetscherin, sondern auch die engagierte Jugendfunktionärin, die Ausstrahlung hatte, die andere gewinnen und begeistern konnte. Sie war trotz ihrer Jugend eine Persönlichkeit, vor der alle Respekt hatten.
VH: In der DDR wurden 242 Jugendbrigaden, Frauengruppen, Kindergärten und Schulen nach Tamara Bunke benannt. Welche Bedeutung hatte sie für die Jugend in der DDR?
HM: Kuba trat mehr und mehr in den Blickpunkt der DDR-Öffentlichkeit und mit der Erklärung der Revolution zu einer sozialistischen wuchsen bei uns das Interesse und die Solidarität mit Kuba. Damals galt Kuba vor allem bei der Jugend als Insel der Hoffnung. Damit rückten auch Tamara Bunke und ihr Schicksal in die Öffentlichkeit. Über ihr revolutionäres Engagement und den Kampf, den Che Guevara in Bolivien begann, wurde bei uns berichtet. Obwohl wir etwas ratlos vor der Frage standen, warum Ches Versuch in Bolivien nicht einen ähnlichen Verlauf genommen hatte wie die Entwicklung auf Kuba, wuchs in dieser Debatte ein ungeheurer Respekt und eine Achtung vor den Menschen, die in Bolivien ihr Leben eingesetzt hatten. Wir, die wir von der Roten Armee befreit worden waren, hatten ja nie die Gefahren des revolutionären Kampfes kennengelernt. Für uns war der Einsatz von Tamara Bunke in Bolivien ein Vorbild und ich will nicht verhehlen, dass wir das auch brauchten und nutzten. Schulen bekamen nicht nur ihren Namen, sondern auch Informationen zu ihrer Biografie. Das war für uns ein Teil der revolutionären Bildung und Erziehung in der DDR. Das Leben und Wirken von Tamara Bunke wurden von vielen jungen Leuten als Beispiel angenommen. Denn sie war ja eine Person wie wir alle, eine von uns, aus unseren Reihen, eine der man selbst mit seiner eigenen DDR-Biografie nahe war. Sie war das Vorbild einer jungen kämpfenden Frau, einer jungen, kämpfenden Revolutionärin. Tamara war eine Person, mit der viele von uns studiert, diskutiert, gestritten, gelacht und getanzt haben. Ihre Geschichte spielte im Hier und Jetzt. Und zugleich erfuhren wir durch sie etwas über einen revolutionären Kampf, der auf einem anderen Kontinent stattfand. Allerdings muss ich einräumen, dass wir in den späten 1970er und den 1980er Jahren in der DDR immer mehr den Bezug zur Jugend verloren haben. Es reicht meiner Meinung nach aber nicht, dies zuzugeben, sondern wir sollten auch versuchen, die Ursachen zu analysieren.
VH: Vermutlich ist es für viele Jugendliche schwieriger, sich mit einer Person wie Tamara Bunke zu identifizieren als mit einem Idol aus der Film-, Musik- oder Modewelt. Oder?
HM: Ja, gewiss. Die Identifikation mit einem Model oder einem Filmstar ist ja sehr einfach und verlangt Jugendlichen nichts ab. Wenn man sich dagegen eine Revolutionärin wie Tamara Bunke zum Vorbild nimmt, dann hat das auch Konsequenzen für einen selbst. Deshalb ist es schwieriger, dafür Begeisterung zu wecken. Trotzdem fand das Engagement, das Tamara den Jugendlichen in der DDR vorlebte, großes Interesse. In den kapitalistischen Ländern wird es heute lieber gesehen, dass junge Leute sich für Casting-Shows interessieren und davon träumen, Superstars oder Top-Modelle zu werden, statt sich für eine gerechtere Welt einzusetzen.
3. Invasion und Weltkriegsgefahr
Volker Hermsdorf: Tamara Bunke hatte den Wunsch, nach Kuba zu gehen, um die Revolution dort auch mit der Waffe zu verteidigen. Bestärkt wurde ihre Entscheidung durch die von den USA organisierte Invasion in der Schweinebucht am 17. April 1961. Drei Wochen später war Tamara in Kuba. Wie haben Sie von der US-Aggression erfahren?
Hans Modrow: Die Nachricht über die Aggression in der Schweinebucht wurde in der DDR sofort gemeldet und löste Proteste aus. Ende April demonstrierten zehntausende DDR-Bürger in Berlin ihre Solidarität mit Kuba. Wir sahen die Gefahren, die sich im lateinamerikanischen Raum abzeichneten und fingen an zu verstehen, dass Kuba für die Menschen in Lateinamerika zu einem Beispiel wurde und dass die USA genau deshalb dort eingriffen. Unser Eindruck war vor allem: Kuba gibt ein Signal gegen die Vormacht der USA und Washington will dieses Signal zerstören. Für uns war klar, dass unsere Aufgabe darin bestand, die Solidarität mit Kuba zu organisieren.
VH: In den Tagen und Wochen vor der Invasion hatten CIA-Agenten in Kuba eine Serie von Terroranschlägen verübt. Nach der Bombardierung kubanischer Flughäfen erklärte Fidel Castro am 16. April die Kubanische zu einer sozialistischen Revolution. Wie war das Echo darauf in der DDR?
HM: Ich erinnere mich noch gut daran. Zu diesem Zeitpunkt war ich Kandidat des Zentralkomitees der SED. Ich war im Betrieb beschäftigt und saß dort in einer Ecke an einem kleinen runden Tisch als ein Kurier mit eiliger ZK-Post hereinkam. Ganz oben lagen die Meldungen über die Rede von Fidel Castro. Das war für uns ein positives Signal. Zugleich wurde uns bewusst, dass wir jetzt stärker gefordert sein würden. Eine Folge von Castros Erklärung war die spätere Aufnahme Kubas in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, der Wirtschaftsorganisation der sozialistischen Länder Osteuropas. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit sollte die kurz nach der Invasion von den USA gegen Kuba ausgerufene Blockade und die Bekämpfung der Revolution mit wirtschaftlichen Mitteln kompensieren. Wir kannten das ja selbst, denn auch die DDR sollte vom Westen ausgeblutet werden. Kuba war jetzt das erste sozialistische Land Amerikas und damit ein Teil von uns geworden. Dementsprechend wurde mobilisiert.
VH: Eine Frage zum Bau der Mauer. – Nach westlicher Interpretation sollte dadurch vor allem die Abwanderung von Fachkräften verhindert werden. Die DDR behauptete, dass die Schließung der Westgrenzen der Sicherung des Friedens diente. Darauf reagieren Konservative, Sozialdemokraten aber auch manche, die sich links nennen heute geradezu hysterisch.
HM: Und doch ist das ein Teil der Wahrheit. Ich möchte sogar sagen, der wesentliche Teil. Wenn Chruschtschow und Kennedy am 4. und 5. Juni 1961 sich in Wien treffen und die beiden mächtigsten Männer der Welt in dieser Zeit über die Frage eines möglichen Krieges in der Westberlin-Frage sprechen, da war der Frieden wohl keine Randfrage der Zeit.
Gewiss ging es auch darum, die massenhafte