sich der Gruppe von Che anschloss, wusste sie, dass sie sich in Lebensgefahr brachte. Sie ist dieses Risiko eingegangen, um für eine bessere Welt zu kämpfen, statt nur darüber zu reden. Die Nachricht von ihrem Tod traf viele von uns zutiefst und ihr Leben, ihr Einsatz und ihre Aufopferung wurden umfassend gewürdigt. Dabei wurde immer betont, für welche Ziele Tamara gestorben ist. Die Erinnerung an sie, ihr Vorbild als Revolutionärin, lebte in der DDR in den Einrichtungen, die ihren Namen trugen, weiter.
VH: Nach gut 20-jähriger Erfahrung in verschiedenen Positionen in der DDR sind Sie 1970 zum ersten Mal nach Kuba gereist. Was war der Anlass für Ihre Reise?
HM: Anlass war die Teilnahme einer hochrangigen SED-Delegation an den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag am 26. Juli. In Kuba wurden die Gespräche von einer Arbeitsdelegation der SED geführt, die unter meiner Leitung stand. Wir besuchten verschiedene Regionen und führten in Cienfuegos, damals Kubas größter Zuckerexporthafen, Gespräche über eine Steigerung der Lieferungen in die DDR. Neben wirtschaftlichen Verhandlungen hatten wir auch politische Gespräche, unter anderem mit Kubas damaligem Präsidenten Osvaldo Dorticós Torrado. Für mich war das eine neue Herausforderung. Denn meine bis dahin unternommenen Reisen in die Sowjetunion, nach Skandinavien oder China betrafen immer die Beziehungen der Jugendverbände oder der Parteien. In Kuba leitete ich nun eine Arbeitsdelegation, deren Auftrag gemischt war. Es ging sowohl um einen Austausch zwischen den Parteien als auch um wirtschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Für uns ging es darum, die gemeinsamen Interessen der beiden Länder herauszufinden. Die DDR war vor allem an einer Steigerung der Zuckerimporte interessiert. Das konnte nur erreicht werden, wenn wir im Gegenzug Waren und Dienstleistungen anbieten konnten, die in Kuba gebraucht wurden. Ein weiterer Punkt war der Ausbau des Hafens in Cienfuegos für den Seeverkehr mit der DDR. Unser Außenhandel mit Kuba ging zu der Zeit vor allem über Cienfuegos.
VH: Was waren Ihre ersten Eindrücke in Havanna?
HM: Der erste Anflug auf Kuba war und bleibt für mich ein unvergessliches Erlebnis. Ich hatte schon einige Länder besucht, aber Kuba war für mich etwas Neues. Meine damaligen Gefühle sind nur schwer mit Worten zu beschreiben. Wir hatten das Glück, am Tag anzukommen, und die Insel präsentierte sich im strahlenden Sonnenschein. Aus dem tiefen Blau des Ozeans wurden die Konturen einer Küste erkennbar. Dann waren Wellen zu sehen, die an diese Küste rollten, sich an felsigen Abschnitten brachen und plötzlich waren Palmen zu erkennen. In uns allen wuchs die Spannung auf das, was uns erwarten würde. In diesen Minuten des Anflugs war es für mich ein sehr erhebender Eindruck, den ich von der Schönheit und Faszination der Natur, die sich uns darbot, hatte. Das war das erste, was uns überwältigte – und dabei hatten wir natürlich dort oben in der Luft noch keine Ahnung von den großartigen Menschen, die wir auf Kuba treffen und kennenlernen sollten.
VH: Viele Besucher werden von der Insel, vor allem aber von ihren Menschen vom ersten Besuch an in den Bann gezogen. Wie war das bei Ihnen?
HM: Das war zu Beginn wie ein Kulturschock – aber im positiven Sinne. Zunächst waren wir etwas hilflos, weil wir merkten, dass die Mentalität der Kubaner völlig anders war, als das was wir kannten. Wobei dieses Gefühl in Havanna nicht so ausgeprägt war wie später in den Provinzen und kleineren Städten. Havanna ist eine große Stadt, ist laut und hektisch. Dann bescherte uns jeder Tag neue Erlebnisse, Eindrücke und Entdeckungen, die haften blieben. Dazu kam eine von Herzen kommende Gastfreundschaft und das Gefühl, in das Geschehen integriert zu sein, dazu zu gehören und sich nicht als Außenstehender zu fühlen. Trotz der Sprachbarrieren erlebten wir einen Umgang, der immer offen und locker war. Egal, ob wir uns mit Hafenarbeitern in Cienfuegos, Beschäftigten in einer Fabrik, den Macheteros auf den Zuckerrohrfeldern, Bauern auf dem Lande oder unseren Gesprächspartnern von der Partei und den Ministerien unterhielten – die Menschen auf Kuba hatten keine Distanz, keinen Abstand zu uns. Unabhängig von der politischen Nähe war und ist Kuba für mich gleichbedeutend mit dem Erschließen einer neuen Welt.
VH: Sie haben am 26. Juli 1970 als Vertreter der DDR in Havanna an der Kundgebung zum Jubiläum des Sturms auf die Moncada-Kaserne teilgenommen. Wie war das?
HM: Ich habe die Kundgebung auf der Tribüne vor dem Denkmal José Martís erlebt. Von allen Seiten strömten Menschen heran, vereinten sich zu einem gewaltigen Zug bis der riesige Platz voll war. Das Bild war für mich beeindruckender als die gut organisierten Demonstrationen, die ich aus der DDR kannte. Fidel Castro begrüßte die kubanischen Werktätigen und die Gäste – unter anderem unsere Delegation, sowie Nadja und Erik Bunke, die Eltern von Tamara. Er hielt eine lange Rede und während der ganzen Zeit blieb der große Platz voll. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich konnte es kaum fassen, dass eine viele Stunden dauernde Ansprache gehalten wurde und die Menschen dem Redner während der ganzen Zeit an den Lippen hingen, und dass trotz Sonne und Hitze niemand wegging. Von der Tribüne aus konnte ich ja den kompletten Platz überblicken und es war während der gesamten Rede keine Bewegung zu sehen. Das kannte ich von zu Hause anders. Wenn auf dem Marx-Engels-Platz in Berlin Kundgebungen stattfanden, dann konnte man von der Tribüne aus sehen, wie sich die hinteren Reihen allmählich lichteten. Doch in Havanna blieb der Platz voll, alle wollten Fidel zuhören.
VH: Auf der Kundgebung sagte Fidel Castro gleich zu Beginn, dass er nicht nur über die Erfolge der kubanischen Revolution, sondern auch über Rückschläge und die eigenen Fehler sprechen wolle. Es sei das Recht der Massen, auch darüber informiert zu werden. Was empfanden Sie dabei?
HM: Unser Eindruck war, dass hier nicht von oben über etwas geredet wurde, sondern ein Dialog stattfand. Da sprach nicht der große Führer zu dem kleinen Volk. Wir hatten den Eindruck, dass das Verhältnis von Fidel Castro und der Kommunistischen Partei zu den Bürgern ein sehr offenes war und nicht ein Umgang auf Distanz. Es war ein Gefühl von Gemeinsamkeit zu spüren, was wir so in der DDR nicht kannten. Auch in der Sowjetunion war diese Art Begegnung zwischen Spitzenpolitikern und der Bevölkerung nicht üblich. Die Analyse und Auseinandersetzung mit Fehlern und Misserfolgen fand bei uns in den dafür zuständigen Leitungsgremien der Partei statt und dort blieben sie auch. Diese offene Art in Kuba ist sicher etwas, was der Kultur und Mentalität geschuldet ist, sehr stark aber auch durch die Person Fidel Castros geprägt wurde, der tiefes Vertrauen in das revolutionäre Bewusstsein des Volkes hatte. Der Sieg der Revolution war ja nur möglich gewesen, weil die große Mehrheit des Volkes sie unterstützt hatte. Das scheint mir einer der Gründe dafür zu sein, dass diese Revolution bis heute überlebt hat und noch immer eine Ausstrahlung auf die Menschen in aller Welt ausübt.
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