Horst Bosetzky

Der Lustmörder


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im Kriegsministerium alle Namenslisten der Freikorps, die in die Reichswehr eingegliedert worden waren, auf die Namen Schlucht, Schluchter und Schluchtmann hin durchzusehen.

      «Vielleicht hat sich der Bruda ooch jeirrt, und sie hat den Mann Schlucki jenannt, weila so viel jesoffen hat.»

      Kappe schüttelte den Kopf. «Nein, er hat ganz deutlich Schluchti gesagt.»

      Er selber machte sich daran, die Freundinnen und Kolleginnen der Ermordeten nach dem mysteriösen Schluchti zu fragen - Eltern hatte sie keine mehr.

      Ihre beste Freundin, so hatte ihr Bruder zu Protokoll gegeben, sei eine gewisse Vera Orschel gewesen, Verkäuferin in der Hutabteilung des KaDeWe. Kappe machte sich auf zum Wittenbergplatz.

      Das Kaufhaus des Westens stand nun schon dreizehn Jahre und versuchte, wieder an den Glanz der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Als Kappe das Gebäude betrat, bekam er fast ein wenig Atembeklemmungen, denn dieser Luxus war absolut nicht seine Welt. Wer in Wendisch Rietz aufgewachsen war und als Kriminalkommissar sein Geld verdiente, kaufte in aller Regel im Laden um die Ecke ein. Aber das konnte sich noch ändern, denn Klara hatte ja diesen gewissen Hang zum Höheren …

      Er trat an die Information und suchte nach der Abteilung für Damenhüte. Sie war schnell gefunden. Ein feudaler Lift trug ihn nach oben. Suchend ging er umher und freute sich, dass man ihn misstrauisch musterte. Irgendwie juckte es ihn in den Fingern, sich eines dieser komischen Gebilde aufzusetzen. Manche erinnerten ihn an eine Form für Napfkuchen.

      Eine der Verkäuferinnen hielt es nicht länger auf ihrem Platz, und sie kam auf ihn zu.

      «Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, mein Herr?» Kappe konnte sich ein gewisses Grinsen nicht verkneifen. «Ich glaube schon …»

      «Ich muss doch sehr bitten!»

      «Wieso?» Er präsentierte ihr seine Dienstmarke. «Ich bin beruflich hier und hätte gern ein Fräulein Orschel gesprochen.»

      «Das bin ich persönlich. Es geht sicherlich um meine Freundin …»

      Kappe staunte nicht schlecht. Vera Orschel war offenbar ebenso intelligent wie hübsch. «… um Erna Reczyn, ja.»

      «Schrecklich!»

      Kappe nickte. «Es ist der fünfte Fall mit derselben Handschrift, und da sind wir natürlich sehr interessiert an …» Er stockte. Das lag vor allem an dem Parfum und dem Lippenstift der jungen Dame. Klara kam ihm dagegen wie ein Landei vor.

      «Woran?»

      «An … an den Männern, mit denen Fräulein Reczyn Kontakt hatte, denn eine Eifersuchtstat ist nicht ausgeschlossen.» Das durfte er verraten, das hatte auch in den Zeitungen gestanden.

      Vera Orschel überlegte einen Augenblick. «Zuletzt hatte sie nur diesen Tischlermeister mit dem Haus draußen in Hermsdorf, diesen Kittlitz, aber vorher … Wenn die Männer von der Front gekommen sind, dann …»

      Kappe hakte nach. «Es waren also auch Soldaten darunter?»

      «Ja, das auch.»

      «Nennen Sie doch mal bitte ein paar.»

      Sie kam seiner Bitte nach, und tatsächlich fiel auch der Name Schluchti.

      Kappes Blutdruck schnellte nach oben. «Hieß der so - oder war das ein Spitzname?»

      «Das war sein Spitzname.»

      «Und wie hieß er wirklich?»

      «Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er bei den Baltikumstruppen war und fürchterlich mit seinem Orden angegeben hat.»

      Kappe hatte Mühe, sich seine Freude über diese Auskunft nicht anmerken zu lassen. «Ist er Ihnen dadurch aufgefallen, dass er besonders eifersüchtig war?»

      Vera Orschel zuckte zurück. «Sie meinen, dass er Erna deswegen getötet hat?»

      «Wie gesagt: Wir halten es nicht für ausgeschlossen.» Sie zögerte mit einer Antwort. «Ich weiß nicht …»

      Kappe ahnte den Grund: Auch sie hatte ganz bestimmte Sympathien für diesen Schluchti gehegt und wollte ihn nicht ans Messer liefern. «Aber eine Photographie von Erna und ihm haben Sie doch ganz sicher.»

      «Nein!»

      «Fräulein Orschel, ich kann Sie auch der Mittäterschaft verdächtigen und mitnehmen zum Alexanderplatz, damit sich meine Kollegen mal ein bisschen mehr mit Ihnen beschäftigen.»

      Das wirkte, und sie schien den Tränen nahe. «Ich kenne ihn doch gar nicht weiter.»

      «Aber Sie haben eine Photographie von ihm?»

      «Eine ganz kleine aber nur, darauf ist er kaum zu erkennen.»

      «Und wo haben Sie die?», wollte Kappe wissen.

      «Bei mir zu Hause.»

      «Dann holen Sie sie bitte.»

      Vera Orschel zeigte auf ihren Abteilungsleiter. «Ich kann hier nicht weg.»

      «Dann komme ich heute Abend bei Ihnen vorbei. Wo ist das, bitte?»

      «In der Barbarossastraße, gleich am Bayerischen Platz.»

      Um sieben Uhr stand Hermann Kappe vor ihrer Wohnungstür, und als er eine Stunde später wieder ging, hatte er nicht nur die begehrte Photographie in der Brusttasche stecken, sondern auch einiges an amourösen Erfahrungen gesammelt. Nicht dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen wäre - sie hatten sich nur heftig geküsst und umarmt und schließlich intime Berührungen sehr direkter Art ausgetauscht. Fremdgehen konnte man das seiner Meinung nach beim besten Willen nicht nennen, und so hielt sich sein schlechtes Gewissen Klara gegenüber auch in Grenzen. Gott, man war nun schon seit vier Jahren verheiratet - und es war ja nicht seine Schuld, denn Vera Orschel hatte ihn in klassischer Manier verführt.

      In den nächsten Tagen kamen Kappe und Galgenberg nicht weiter, denn es begannen die «Tage der Säbelherrschaft», wie das Berliner Tageblatt titelte.

      In der Abendausgabe von Freitag, dem 12. März 1920, war noch von der Vereitelung eines reaktionären Putschversuchs die Rede gewesen: In Berlin hat seit einiger Zeit das Treiben einer rechtsradikalen Clique eingesetzt, deren Bestrebungen auf gesetz- und verfassungswidrigen Umsturz hinauslaufen. Dem Ganzen wurde keine Chance eingeräumt, denn selbst weite Kreise altkonservativer Richtung lehnen die Desperadopolitik dieser rechtsspartacistischen Clique restlos ab. Dennoch werde die Reichsregierung Vorsicht walten lassen.

      Am nächsten Tag musste das Berliner Tageblatt dann zugeben, die Lage falsch eingeschätzt zu haben: Die im gestrigen Abendblatt von uns mitgeteilten Vorgänge über einen reaktionären Putschversuch bleiben weit hinter bereits vollzogenen Tatsachen zurück. In der Nacht vom 12. auf den 13. März waren die in Döberitz untergebrachten Truppenteile der Brigaden Ehrhardt und Löwenfeld in Berlin einmarschiert, ohne dass die Reichswehr Widerstand geleistet hätte. Der Generallandschaftsdirektor Dr. Wolfgang Kapp übernahm als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident die gesamte Staatsgewalt. Der General der Infanterie Walther Freiherr von Lüttwitz wurde militärischer Oberbefehlshaber und Reichswehrminister.

      Das Erste, was die Kapp-Regierung tat, war, die Zeitungsredaktionen Berlins militärisch zu besetzen, um das Erscheinen der Blätter unmöglich zu machen. Auch das Berliner Tageblatt war betroffen und musste bereits am Sonnabendvormittag sein Erscheinen einstellen, einerseits weil die Kapp-Leute dies untersagten, andererseits weil die Arbeiter in den Streik getreten waren.

      So waren sowohl die Kapp-Regierung als auch die legale Reichsregierung gezwungen, auf Flugblätter auszuweichen, wenn sie dem Volke etwas mitteilen wollten.

      Als Hermann Kappe am Sonnabend, dem 13. März, zum Polizeipräsidium fuhr, wehten ihm von den amtlichen Gebäuden die alten Reichsfahnen, die Kriegsflagge der Marinebrigade und schwarz-weiß-rote Fahnen entgegen. Stacheldrahtverhaue, Maschinengewehre, Feldgeschütze, starke Militärpatrouillen, umherjagende Automobile und kampfbereite Offiziere und Soldaten machten ihm bewusst, dass der befürchtete Militärputsch Wirklichkeit