nicht morgens früh.”
„Wir haben es ja nicht anders gewollt.”
„Ich bereue nichts!” „Ich auch nicht.”
„Aber trotzdem. Morgens ausschlafen, Brötchen holen, in Ruhe Kaffee trinken, wenn man will, oder auch nicht, wenn man nicht will. Mensch, das isses, das isses! Wir sind raus aus dem Dreck! Das ist jetzt real existierender Urlaub! Wir haben unser Leben zurück bekommen.”
„Wie sagt man: ich bin ein freier Schweizer und kann tun und lassen, was ich will, und selbst das muss ich nicht!”
„Kennst du den Weg zur Ferienwohnung?”
„Ich bin ein Mann. Ich fahre intuitiv. Ich richte mich wie eine Biene nach dem Sonnenstand. Ich muss den Weg nicht kennen und auch nicht nach dem Weg fragen!”
„Sei doch mal ernst!”
„Ferien, Frau, Ferien! Der Ernst ist zuhause geblieben und geht weiter arbeiten.”
„Nein, wirklich, ich hasse diese Sucherei.”
„Ich auch. Ich denke, wir sind jetzt da!”
„Glaubst du?”
„Glauben heisst nicht wissen. Ich weiss, dass wir da sind. Ort gut, Strasse gut, Hausnummer gut. Wir sind da!”
„Endlich Urlaub!”
Auto korrekt parken. Ferienwohnung beziehen. Gepäck reintragen. Die eigene Unordnung installieren und somit heimische Gefühle herstellen. Kleiderschränke füllen. Balkontür auf. Meer riechen. Meer hören. Meer erleben. Ein guter Slogan. Passt in jede Werbebroschüre. Da könnte man mit einem h spielen und schreiben: „mehr erleben – Meer erleben” oder auch „mehr Meer bei uns” oder „noch mehr Meer”.
Jetzt eine halbe Stunde ruhen, so eine lange Fahrt ist trotz ausreichender Pausen ziemlich anstrengend. Dann ein Käffchen, leider nur von der löslichen Sorte. Eine Espressomaschine hat es in der Ferienwohnung nicht. Noch rasch einkaufen. Die Grundausstattung muss her. Toilettenpapier, Spülmittel, Seife, was Ethanolisches zu trinken für den Abend, Milch für den Kaffee morgen früh, ein paar Brötchen und Marmelade, … das übliche eben.
Und dann aber gleich ans Meer. Mal schauen, ob es noch da ist.
Deswegen fahren sie nämlich viel lieber an die Ostsee als an die Nordsee. An der Nordsee sind sie mal angekommen und voller Vorfreude auf’s Meer sind sie hoch auf den Deich, und was sehen sie?
Viel sehen sie, aber kein Meer. Das Wasser war weg! Da hatte wohl jemand den Stöpsel von der grossen Badewanne gezogen. Das Wasser war weg, definitiv. Das Meer war gerade woanders, da war nur Schlamm und Sand, was auch dadurch nicht schöner wird, dass man das Schlick und Watt nennt. Sauerei. In einer Wohnung würde man das wegputzen. Vorher natürlich alles fotografieren und die Hausratversicherung anrufen und den Schaden melden.
Dort finden die Touristen das aber toll und laufen mit gelbem Friesennerz barfuss durch den Wattwurmdreck.
Die Eingeborenen nennen dort die Abwesenheit des Wassers Ebbe und versprechen einem hoch und heilig, dass das Wasser demnächst wieder kommt, und deswegen müsse man aufpassen beim Rumrennen auf dem Schlick und auf dem Sand. Sonst schneidet einem das Wasser heimtückisch mit Hilfe eines Priels den Rückweg ab und dann guckt man doof aus der Wäsche. Und damit das für die Abenteuertouristen spannender wird, veranstalten sie das jeden Tag zu einer anderen Uhrzeit. Blödes Spiel.
Sie lehnen dort jede Verantwortung dafür ab und sagen, der Mond wäre schuld.
Ja, ja, wer’s glaubt. Die machen sich das einfach.
Nein, da fallen sie nicht mehr drauf rein, dann doch lieber Ostsee. Da kommt man an und ziemlich sicher ist das Wasser da, und nicht erst in ein paar Stunden wieder. Das ist einfach seriös.
Man kauft Urlaub am Wasser und man kriegt Urlaub am Wasser. Es gibt zwar auch Ebbe und Flut, aber der Tidenhub in der westlichen Ostsee beträgt gerade mal 30 cm, das ist aber von Kanton zu Kanton verschieden, äh … nein, von Ort zu Ort verschieden, wir sind ja jetzt im Norden in den Ferien und nicht mehr in der Schweiz.
Keine Überraschung also. Alles wie es sein soll. Das Wasser ist da. Der Wind aber auch. Den hatten sie eigentlich nicht gebucht. Den gibt es dort gratis und nochmal 10 % extra oben drauf, verflucht.
„Schade sind die Kinder nicht mit. Jetzt könnte man eine Schwiegermutter steigen lassen.”
„Was?”
„Na Drachen fliegen lassen.”
Logische Folge des Spruches: Ellenbogen in die Rippen – mit Kommentar.
„Hör auf, Frechling.”
Jelato lacht nur.
Sie beschliessen, gleich morgen einen Strandkorb zu mieten und gehen erstmal wie alle anderen auch an der Grenzfläche Erde-Wasser entlang. Eine Fokussierung an Grenzflächen, das kannten sie. In der Schweiz findet das Phänomen auch statt, allerdings überwiegend an der Grenzfläche Erde-Luft in den Bergen. Da sind dann auch erstaunlich viele Menschen auf einem kleinen Ort oben fokussiert und es wird eng in der Hütte.
Die See ist also wie ein Strich durch eine Ameisenstrasse. Da sammeln sich dann auch links und rechts vor dem Strich die Tiere und laufen ratlos am scheinbar nicht überquerbaren Strich entlang.
Die Ostsee beeinflusst die Psyche der Menschen auf eine sonderbare Art. Ganz offensichtlich macht die Ostsee die Menschen alle melancholisch und schwermütig und nachdenklich. Diagnose: manisch depressiv. Eine bipolare Störung durch die vielen H2O-Dipole, müsste also besser dipolare Störung heissen, weil – kommt vom Wasser. Auf jeden Fall laufen sie dort alle mit gesenktem Kopf rum und schauen nur ab und zu auf, um mit keinem anderen Schwermütigen zusammenzustossen. Gelegentlich hat eine solche traurige Gestalt aber ein Glückserlebnis und alle anderen Schwermütigen drumherum werden mit einem Schrei darauf aufmerksam gemacht.
Wenn das einem Kind passiert, läuft es anschliessend zu Mama und Papa, zeigt stolz die Muschel oder den Stein oder sonst was, und dieses Objekt verschwindet dann in der mitgebrachten Plastiktüte. Dann geht es mit gesenktem Kopf weiter.
Der absolute Höhepunkt einer solchen freiwilligen Strandreinigung ist das Auffinden eines sogenannten Hühnergottes. Das ist ein Stein mit Loch, also eigentlich kaputt, und wer sowas findet, den hat der Glücksgott gerne.
Ihn erinnerte dieses Verhalten der Schwermütigen an den einen alten Spruch und er fragte seine Frau: „Weisst du, wodurch sich ein extrovertierter Physiker von einem introvertierten Physiker im Gespräch unterscheidet?”
„Nein.”
„Der Extrovertierte schaut auf die Schuhe seines Gesprächspartners.”
„Jööh.”
Jelato war ein umweltbewusster Mitbürger und machte sich ernste Gedanken um dieses sensible Ökosystem.
Er fragte seine Frau unvermittelt: ”Wenn alle Touristen seit Jahrzehnten jedes Jahr jede Menge Steine von hier mitnehmen, wieso hat es dann eigentlich überhaupt noch welche? Steine sind doch kein nachwachsender Rohstoff! Die treiben doch nicht im Meer und stranden hier – Bernstein mal ausgenommen.”
„Nein, sicher nicht, aber es kommen trotzdem immer neue. Vom abbröckelnden Ufer, oder angespült über Jahrhunderte von den Bergen. Und eine grosse neue Lieferung aus dem Norden ist schon angekündigt mit der nächsten Eiszeit.”
„Das mit der nächsten Eiszeit kann noch dauern, im Moment soll es ja erst mal wärmer werden. Nach Meinung der Klimaforscher soll der Meeresspiegel deshalb langsam ansteigen, wegen dem Abschmelzen der Polkappen. Wenn aber jeder Urlauber ein paar Steine vom Meer mit heim nimmt, dann wird der Meeresspiegel fallen müssen und zwar um genau die Höhe, die etwa dem Volumen der abgeschleppten Steine entspricht.”
„Vielleicht gleichen sich die beiden Effekte auch aus und alles bleibt wie es ist am Strand, mit der Ausnahme, dass die Steine weniger werden.”
Sagte