kleinen Ärmchen um sich, dass es nur so eine Freude war, zuzuschauen.
Mit strahlenden Gesichtern gingen die beiden Helfer von dannen. Allerdings schüttelten sie auch die Köpfe und ein Herbert sagte: „Meine Mutter hat immer zu mir gesagt, dass der mütterliche Trieb über die Gene so stark ist, dass es nie im Leben etwas Fürsorglicheres gibt als eine Mama für ihren Nachwuchs. Offensichtlich hat hier die Geneübermittlung versagt. Sie las in einer Illustrierten, während ihr Baby nach ihr schrie.“
„Herbert, halten wir ihr doch mal Folgendes zugute – daneben lag auch Strickzeug!“
Alle Familienväter, außer Oma, Opa und Tante Frida, die sich schon zur Ruhe gesetzt hatte, bemühten sich um eine gesicherte Zukunft außerhalb unseres Bauerngutes – zukünftige Arbeit, Wohnung, eben um eine möglichst sinnvolle Bleibe mit ordentlicher Arbeit und Sicherheit für die kommende Zeit. Am schnellsten in diesem Bemühen war wieder einmal Onkel Heinrich. Er hatte eine Anstellung in Zwickau als Verantwortlicher – oder vielleicht auch schon damals so genannter Amtsleiter für Tiefbau – erreicht. So rasch wie ihm das gelungen war, war auch die komplette Familie, inklusive Tante Marie, Nachwuchs Elisabeth und Helmut, von dem sicheren Bauernhof verschwunden. Auf alle Fälle waren diese sechs Jahre auf dem Gut eine Rettung für uns alle in schweren Kriegs- und Nachkriegszeiten. Wenn ich heute an diesen Abschied zurückdenke, macht mich das schon ziemlich traurig. Viele Jahre hatte uns dieses Anwesen unter Leitung von Hilfsbauer Alfred Straßburger, meinem Opa, Zuflucht, Nahrung, Schutz und familiäre Gemeinschaft geboten. Für mich war besonders angenehm, dass ich damit Cousins und andere Freunde um mich hatte, mit denen ich spielen und irgendetwas unternehmen konnte. Nun hatte es ausgedient – es hatte seine Pflicht erfüllt und – wurde weggeworfen. Alle suchten etwas Neues, Besseres, entsprechend ihres Könnens und ihren Wünschen Geeigneteres. Verständlich war das schon. Onkel Heinel war Bauingenieur, mein Vater Kaufmann, Ei Gott, bei Onkel Herbert weiß ich das gar nicht so genau. Auf alle Fälle war keiner der Taugliche für die Bestellung von Feldern, Getreideanbau und die Viehwirtschaft.
ARMER OPA
Tante Frida hatte sich schon seit einigen Jahren aufs Altersteil zurückgezogen. Sie hatte ihre Bleibe im ersten Stock des Wohnhauses ganz außen am Giebel der Südseite, da, wo wir immer nach knochenharten Brötchen und nach dem Doktorbuch fahndeten. Ähnlich gestaltete sich der neue Wohnraum für Oma Martha und Opa Alfred. Allerdings zogen sie im ersten Stock genau auf die entgegengesetzt andere Seite und zwar den Giebel Nord. Zwischen beiden Wohnungen war ein Abstand von (Gott sei Dank, wie sich später herausstellte) weit über 25 Metern. Sie hatten beträchtlich mehr Wohnraum als Frida, na ja, sie waren auch zwei Personen. Oma und Opa hatten auf der einen Seite des Ganges zwei Zimmer und auf der anderen Seite die Stube und daneben eine längliche Küche. Die zwei nebeneinanderliegenden Zimmer wurden als Schlafzimmer genutzt, wobei Oma behauptete, sie könne mit Opa niemals in einem Zimmer schlafen. Es würde immer klingen, als wenn eine Rotte Waldarbeiter mehrere Hektar Wald zersägen würden. Opa wurde von ihr immer mehr in die kleine Küche gedrängt, wo er sich aufzuhalten hatte – bis auf den Zeitraum, wo sie dort den Ofen fürs Kochen und die Schränke für das Geschirr benötigte. Da kein fließendes Wasser vorhanden war, musste Opa ran. „Alfred, immer muss ich dich auffordern und dann noch hundertmal erinnern, dass du Wasser holen musst. Und zwar mindestens zwei Eimer und zwar – sofort – auf der Stelle!“ Opa stöhnte meist, zündete sich erst einmal umständlich seine Tabakspfeife an und entgegnete: „Gemaaach, gemaaach, Maaaarrrrtha – du kommst mir immer wie ein Feldwebel oder, besser noch, ein General, vor. Die kommandieren genauso rabiat wie du und lassen einen nicht einmal so ein kleines Bedürfnis erledigen wie die Pfeife mit Tabak zu füllen und anzuzünden. Wir haben ja auch nicht mehr so viel toll Schönes auf dieser Welt zu erwarten – da lass mir doch die kleine Freude. Ich lass dir doch auch deinen Willen, wenn du heimlich vom geräucherten Schinken isst bzw. wenn du, falls ausnahmsweise einmal vorhanden, dein Lieblingsessen saure Heringe in dich hineinschlürfst. Hinzu kommt, dass mir zwei Eimer Wasser auf einmal zu viel sind – das packe ich bei dieser verflucht steilen Treppe vom Erdgeschoss hier hoch nicht mehr. Nur, wenn ich meine letzten Körner mobilisiere. In einer Stunde kommt doch der Herbert, vielleicht kann er das für uns erledigen.“
„Du machst es dir verdammt bequem, Alfred“, brüllte Oma cholerisch, „wenn ich täglich für uns das Essen mache, kann ich auch nicht auf den Herbert warten. Also – bewege dich und zwar hurtig!“ Opa knurrte dann sehr, sehr ärgerlich. Manchmal fluchte er sogar laut und verließ erst einmal das Zimmer, um Zeit zu gewinnen. Häufig ging er dann zu seiner Schwester Frida und – das dauuuueeeerte und dauuuueeeerte, bis er zurückkam. Immerhin war es eine verdammt weite Strecke bis zu Frida, und der Schnellste war Opa nun wirklich nicht mehr. Um die Sache zu Ende zu erzählen – der Herbert kam nicht in einer Stunde, da er auf dem Feld arbeitete und nicht abkömmlich war. Also ging die fürchterliche Streiterei zwischen Alfred und Martha weiter. Opa blieb nichts weiter übrig, als wenigstens einen Eimer Wasser zu holen. Mir tat er immer leid, wie er prustete, schnaufte und Mühe hatte, mit seiner Last die nächste Stufe zu erklimmen. War er oben auf der Etage angekommen, hatte er ja immerhin noch eine ziemliche Strecke bis in ihre neue Wohnung zu laufen. Häufig war ich bei Opa oben, um mit ihm zu schwatzen oder, was zwar selten vorkam, aber immerhin, Mensch ärgere dich nicht zu spielen. Wiederholt passierte es, dass ich, schon bei Annäherung an die Wohnung, dunkle Stimmen, mal laut, mal leise, hörte. Lief mir jetzt Oma, die auf der anderen Seite kampierte, über den Weg, hörte ich von ihr verächtlich: „Der redet schon wieder – mit irgendwelchen Leuten. Einfach furchtbar, der Kerl!“ Vorsichtig und leise öffnete ich die Tür zur Stube. Nun konnte ich Opa deutlich hören, denn die Küchentür stand offen. „Jaawollllll, Herr General, ich werde mit meiner Kompanie den Feind rechts umgehen, indem wir, verdeckt vom Wald, lang marschieren und ihn dann von hinten angreifen. Wieso haben Sie Bedenken? Die erste Reihe kniet nieder und schießt – die anderen schießen im Stehen und ich halte mir auch eine Reserve! Nur Mut, Herr General!“ Leise trat ich in die Stube und hörte zu. „OOOpa, mit wem redest du denn da? War das nicht gerade ein General, von dem du Befehle erhieltest? Wer war denn das?“ Opa war keineswegs über mein Kommen erschrocken. Er drehte sich langsam zu mir herum. „Ach, duuu, Klaus, schöööön.“ Opa Alfred freute sich immer sehr, wenn ich auf der Bildfläche erschien. Er hatte eine sehr dicke schwarze Filzjacke an, welche vorn sieben Knöpfe hatte. Entweder er trug sie offen oder es war mal hier und mal da ein Knopf geschlossen. Nie sah ich eine ordnungsgemäß zugeknöpfte Jacke. Die langen Hosen waren auch aus so einer Art braunem Filz. Sie wurden mit einem dicken, schwarzen Lederriemen in der Hüfte gehalten – aber wie? Er machte den Riemen nie ganz straff und das Ende kam nicht in die dafür vorgesehenen Schlaufen, nein, es hing einfach äußerst leger, na ja, eigentlich sehr liederlich, herab. Auch in der Wohnung trug er stets eine flache Schildmütze aus dickem Stoff, die ich schon von seiner Arbeit im Haus und auf dem Feld kannte. Sonst, bei der Arbeit, trug Opa ständig schwarze Stiefel, welche nie eine Bürste, geschweige denn Schuhcreme, gesehen hatten. Er onkelte ziemlich stark, was mich immer sehr verwunderte, denn ich kannte dies nur von kleinen Kindern und war immer der Meinung, dass dies bei Erwachsenen niemals vorkommt. Hier in der Wohnung hatte er natürlich keine Stiefel, sondern Filzpantoffeln an den Füßen. Seine Sachen waren alle fürchterlich veräuft. Irgendwelche grauen Schmierflecke waren an den Hosenbeinen und vor allem an der Jacke. Daneben hatte er aber noch viele braune und schwarze Schmierflecke, welche allesamt mit seiner Pfeiferei zusammenhingen. Oft schaute ich ihm zu, wenn er die Pfeife reinigte. Da kam ja richtiger braunschwarzer Teer aus den Bohrungen seiner Schmaucheinrichtung heraus. Aber wohin denn damit? Ein Teil floss in einen Glasaschenbecher, ein Teil auf den Tisch und viel war auch an seinen Händen hängen geblieben. Letzteres war ja für Opa kein Problem – er schmierte es einfach an die Jacke oder die Hose. Über den Teer auf dem Tisch und dem Aschenbecher gab es prompt am nächsten Tag fürchterlichen Ärger mit Oma Martha. Demgemäß sahen auch seine Hände aus. Diese riesigen Pranken trugen unheimliche Vertiefungen und Schwielen, in denen sich natürlich der Dreck der Zeit angesammelt hatte. Die Hände sahen immer gelb und leicht schwarz aus. Das Schlimmste aber, was sich in letzter Zeit als übelstes Ärgernis herausgestellt hatte, war, dass sich Opa in der kalten Jahreszeit auf den eisernen Ofen setzte, um etwas mehr Wärme in seinen Körper zu bekommen. Die Hosen waren, um die Hüfte herum, vor allem natürlich am Allerwertesten, ziemlich stark angesengt. Ihn