waren sie stark gelblich gefärbt – das Rauchen, was ihm unheimlich starke Freude bereitete, brachte eben auch so seine Nachteile mit sich. Das Schönste an Opa waren aber – trotz allem – seine sonnige Ruhe, seine Verträglichkeit und seine stahlblauen Augen, die verständnisvoll auf den Betrachter schauten. Wenn ihm aber doch einmal etwas zu viel wurde und etwas generell gegen seinen Strich ging, zum Beispiel, wenn Oma ihn immer wieder bissig attackierte, wurden die blauen Augen grau und es sprühten dunkelrote Funken daraus hervor. Außerdem nahm er zu einem solchen Anlass seine Hände, die er meist tief in den Hosentaschen vergraben hielt, heraus und donnerte zur Erhöhung der Wirksamkeit seiner Sätze mehrfach mit seinen Riesenfäusten auf den Tisch. Eines steht fest und daran ist nicht zu rütteln – Lothar und ich liebten Opa abgöttisch. Wir wurden aber auch immer mehr Zeuge, wie er verstärkt in die Kritik geriet. Aus diesem Grund versuchten wir, Opa zu helfen und ihn zu beeinflussen „Opa, du musst dir mehr deine Hände waschen – so richtig mit viel Seife und mit Bürste und kräftig schrubben. Und dann darfst du deinen Saft von der Pfeife nicht auf deine Jacke und die Hosen schmieren – niemals, bitte, bitte, bitte! Sich auf den Ofen zu setzen ist auch nicht sinnvoll. Du brennst noch einmal an und wir haben keinen Opa mehr!“ Lothar ergänzte plötzlich noch etwas deftig: „Außerdem darfst du deinen Rotz aus der Nase oder sonst woher, ebenfalls nicht an deine Jacke oder Hose schmieren.“ Da Opa traurig zu Lothar schaute, ergänzte dieser: „Wir wollen dir doch nur helfen, Opa. Das musst du doch auch einsehen und vor allem bekommst du immer mehr Ärger mit der Oma und den anderen. Davor möchten wir dich gerne bewahren.“ Wir gingen so weit, dass wir sogar mit Oma Martha über Opa redeten. „Oma, du musst auch etwas Verständnis für Opa haben. Er raucht nun mal gerne und da schmiert er eben dieses schwarze Dreckszeug überall herum. Sei doch so gut und hilf ihm einfach! Gib ihm ein Tuch und sage und zeige ihm, dass er damit alles abwischen soll, auch, dass er diesen Pfeifenreiniger nicht überall herumliegen lassen kann, denn außen an dem Ding ist ja dieses schwarze Teergelumpe dran.“ Generalfeldmarschall Martha wollte uns immer unterbrechen und redete in unsere Argumentation hinein. Sie konnte einfach nicht zuhören und andere Meinungen akzeptieren. Da Lothar und ich dies aber wussten (wir hatten uns schon vor dem Gespräch eingehend unterhalten und etwas Strategie gemacht), sprachen wir einfach weiter mit der Bemerkung: „OOOOma, bitte, lass uns doch auuuuuch mal reden. Wir haben uns das genau überlegt und höööööre uns mal bitte genauuuu zu.“ Das wirkte, wenn sie auch immer wieder versuchte, in unser Gespräch hinein zu kommen. Als wir dann zu Ende deklamiert hatten, kam aber ihre große Rede. „Ihr Kinder macht es euch verdammt einfach. Was denkt ihr denn, wie schwer ich es habe, den Alfred zum Waschen zu bewegen.
Er mault herum, sagt, der Max (sein Bruder) habe es auch nicht so mit dieser blöden Seife und den Handtüchern gehabt und habe trotzdem das Gut ordentlich geführt und sei 76 Jahre alt geworden. Ich kann ihn maximal dazu überreden, sich die Hände zu waschen – selbst das tut er nur im Eilgang und mit äußerster Schnoddrigkeit. Er schmiert alles an seine Sachen, ohne Belehrung anzunehmen. Das, mit dem auf den Ofensetzen, ist die Krönung.“ All das hatte Oma, zwar mit Erregung, aber doch einigermaßen ruhig ausgesprochen. Plötzlich wurde sie aber wieder hysterisch. „Ich muss euch aber sagen, Jungs, so geht das einfach nicht mehr weiter! Hier muss eine Änderung her! Der Alfred gehört in ein Heim und unter Beobachtung! Am Ende brennt er uns noch einmal das gesamte Haus ab. Ich habe schon mit Selma gesprochen und ihr erzählt, was sich hier so abspielt. Übrigens – sie hat die gleiche Meinung wie ich.“ Lothar und ich waren entsetzt. „Das kann nun aber nicht wahr sein, Oma. Ihr wollt den guten Opa abschieben. Das empört uns. Am besten ist, Lutt, wenn wir das Opa einmal selbst erzählen!“ Nun wurde Oma aber ganz verdreht. Sie stand auf. „Wenn ihr das tut, Kinder, dann bin ich längstens eure Oma gewesen. Alfred darf davon nichts erfahren – er ändert sich nicht, und da hat er die Quittung nun eben am Hals!“, bellte sie uns an und marschierte aufgeregt im Zimmer auf und ab. Sie war rot im Gesicht, fuchtelte aufgeregt mit den Armen. Wir versuchten sie zu beruhigen, was nicht gelang. Also verständigten wir uns mit Zeichen hinter ihrem Rücken, dass wir einfach gehen, denn es hatte ja offensichtlich keinen Sinn, uns länger das Gekreische anzuhören. Wir gingen grußlos hinaus und wollten noch einmal über den Gang hinweg zu Opa. Da öffnete sich hinter uns die Tür wieder und wir hörten Omas geifernde Stimme: „Traut euch, zum Alfred zu gehen! Das ist eine Schande! Wenn das die Erziehung eurer Eltern ist – na dann prost Mahlzeit! Ich will euch so schnell nicht wieder sehen!“ Lothar und ich waren schon ziemlich geschockt und berieten. „Weißt du, wir müssen mit unseren Eltern reden – du mit deiner Mutti, ich mit meiner und auch mit Vater, da er ja nun wieder da ist. Wir müssen erreichen, dass das nicht passiert, was Oma vorhat.“
„Genauso machen wir das, Klaus!“ Leider zogen Tante Friedel, Onkel Herbert, Helga und Lothar am nächsten Tag auf die Juchhé in Kleinwaltersdorf. Die Juchhé war der Bahnhof Klewado, welcher mindestens zehn Kilometer fernab, nach einer unbebauten Straße Richtung Hainichen, lag. In der Nähe dieses Bahnhofs waren eine Handvoll Häuser und in eines davon zog die Familie Schulze. Gleich nebenan war auch ein relativ großer Betrieb Müller und Straßburger als Landhandelsfirma, wo mit Holz, Kohle, Getreide und Düngemitteln gehandelt wurde. Das bot sich bei der Nähe des Bahnhofs an, denn hier war der Transport auf Gleisen günstig. Offensichtlich hatte mein Onkel, der Schulze, Herbert, eine Arbeit gefunden. Uns Kindern wurde ja auf diesem Gebiet recht wenig erzählt. Nun war ich also allein mit meinem Kummer zu den negativen Plänen von Oma gegenüber Opa. Ich konnte ja auch nichts weiter tun. In meiner Not erzählte ich es dem Kornblume, Erik, der aber auch nicht recht weiter wusste und den es offensichtlich auch nicht sehr interessierte. Also besuchte ich, außer Frida, vor allem unseren Opa und versuchte, auf ihn einzuwirken, dass er alles etwas sauberer und weniger gefährlich gestalten sollte. Er hörte sich auch meine Ratschläge wohlwollend an, schaute lächelnd und gütig auf mich. „Du bist ein guter Junge, Klaus. Komm nur mal öfter zu mir. Du wirst schon sehen – es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird, und ich versuche schon, den Priem nicht mehr an der Jacke abzuwischen. Mach’s gut – bis zum nächsten Mal, mein junger Freund.“ Ich freute mich über seine Bemerkungen, wollte dies gern Lothar mitteilen, er war ja aber weg und ich konnte ihn nicht einmal per Telefon erreichen. Eine Woche später hatte ich ein teuflisches Erlebnis. Ich war bei Oma, sie hatte mir gerade Erdbeerkompott gegeben und nebenbei erwähnt, dass dann meine Eltern und die Friedel kommen würden. Ich freute mich und das war so etwas von falsch. Sie kamen auch wirklich, auch Tante Friedel, wie angekündigt. Allerdings war in ihrer Begleitung Frau Dr. Erler-Dieda, die ich ja schon von meinem Nabelbruch her kannte. Sie klopften an, kamen herein und sprachen mit Oma. Ich verstand nicht alles, sie flüsterten geheimnisvoll, und ich war, wie immer, zu zurückhaltend, hatte aber begriffen, dass Opa von der Frau Doktor eine Spritze erhalten sollte. Plötzlich kam in mir Angst und Misstrauen hoch. „Verzeihung, weshalb soll Opa eine Spritze bekommen?“ Freundlich wandte sich die Ärztin zu mir hin. „Dein Opa ist sehr krank und aus diesem Grunde muss er ein Medikament gespritzt bekommen.“
„Damit er wieder gesund wird?“ Frau Dr. Erler-Dieda schniefte etwas unsicher. „Na ja, so richtig gesund wird dein Opa nicht wieder. Wir wollen aber das Beste für ihn. Nun geh mal zur Seite. Wir wollen jetzt rüber zu ihm gehen.“ Ich räumte das Feld, ging aber hinterher. Opa lag im Bett und schlief. Mutti sagte zu ihm: „Vater, da du krank bist, gibt dir jetzt die Frau Doktor eine Spritze.“ Opa schaute zu Mutti, sah die Ärztin und drehte sich willig um, nachdem sie ihm gesagt hatte, dass die Spritze in den Po gegeben würde. Mit gemischten Gefühlen sah ich Opas Hintern. Bereitwillig zog er die Schlafanzughose nach unten und ich sah seinen blanken Popo. Er war weiß, fast wie ein Blatt Papier und ich war sehr erstaunt, denn Opa sah immer sehr braun aus. Auf der Stelle kamen in mir starke Mitleidsgefühle hoch, denn ich ahnte Schlimmes. Und Opa, das kleine Dummerle, tat immer alles, was höher gestellte, in diesem Fall sogar eine Frau Doktor, von ihm verlangten. So was aber auch! Die Ärztin knallte brutal und rücksichtslos die Spritze in eine Backe hinein und bat Opa, aufzustehen und sich anzuziehen, was dieser, leider Gottes, auch sehr devot und bereitwillig tat. Misstrauen und Angst stiegen richtiggehend, wie eine Welle von unten beginnend, in mir hoch. „Da soll nun wohl Opa in ein Krankenhaus?“, wollte ich mit ziemlich erregter Stimme wissen. Jetzt schaltete sich Tante Friedel ein. „Der Junge (so anonym hatte meine nette Tante noch nie von mir gesprochen, ich wurde immer unruhiger) sollte doch mal von hier weggehen!“ Prompt kam Mutti auf mich zu, legte mir eine Hand auf die Schulter und wollte mich wegschieben.