verfeindet, ihre Kontakte beschränkten sich auf ein Minimum. Sich für Marie zu engagieren, wäre für Elisabeth nie infrage gekommen. Daher war es undenkbar, dass sie – wie oft in der Literatur erwähnt – den Rothschilds in Pregny nur als Dank für die ihrer Schwester gewährten Darlehen eine Höflichkeitsvisite abstattete.
Letztes Ausflugsziel am 9. September: das Château Pregny in der Nähe von Genf, erbaut 1860 für Elisabeths Freunde Adolphe Carl und Caroline Julie de Rothschild.
Die kaiserlichen Pläne zu einer Fahrt in die unmittelbare Nachbarschaft von Genf, verbunden mit einem Besuch dieser Stadt, stießen wider Erwarten auf Ablehnung bei Elisabeths Haushofmeister Generalmajor Berzeviczy, der ansonsten willig ihre ausgefallensten Reisepläne unterstützte und organisierte. Der Grund dafür lag beim Informationsbüro des k. u. k. Ministeriums des Äußeren in Wien, der Zentrale des Geheimdienstes, das ihn stets über die große, höchst gefährliche radikale Szene in Genf auf dem Laufenden hielt. 1869 hatten 30 anarchistenfreundliche Westschweizer Sektionen der Internationale in Genf getagt und 1873 gab es einen Kongress der Anarchisten, der neu gegründeten »Antiautoritären Internationale«, mit Delegationen aus ganz Europa. Berzeviczy meinte daher: »Überall hin, nur nicht nach Genf. Ich hege für Ihre Majestät größte Befürchtungen.« Elisabeth reagierte belustigt: »Der stets besorgte Berzeviczy. Er fürchtet um mein Leben. Was könnte mir denn in Genf zustoßen?« Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss. Der Sekretär Kromar sollte mitfahren, aber im Hintergrund bleiben und nicht in Erscheinung treten. »Ich weiß jedoch nicht, was es mir nützen könnte, wenn er, während ich spazieren gehe, im Hotel ruht«, gab Elisabeth zu bedenken. In einem Punkt zeigte sie sich jedoch unnachgiebig. Sie würde, wie immer, den Raddampfer »Genève« benützen. Die angebotene Privatjacht der Rothschilds käme nicht infrage, denn es sei ihr peinlich, dass die Schiffsbesatzung kein Trinkgeld annehmen dürfe.
Schließlich reservierte man für eine Nacht im Beau-Rivage, dem elegantesten Hotel von Genf, und am Morgen des 9. September verließ die Kaiserin per Schiff Territet. Ihre Begleitung bestand, wie vereinbart, aus Dr. Kromar und Irma Sztáray. Für das Gepäck und persönliche Dienste waren ein Lakai und drei Zofen zuständig. Das wunderschöne Wetter am Genfer See versetzte die Herrscherin, wie Gräfin Sztáray erfreut feststellte, in beste Stimmung, sie schien das Leben zu genießen. Auf dem Deck unterhielt sie sich mit den anderen Passagieren. Freundlich beruhigte sie ein brüllendes Kind, indem es ihm Obst schenkte. Um 12 Uhr meldete die Schiffsglocke die Ankunft in Genf, wo bereits eine Kutsche für die Weiterfahrt bereit stand.
In Pregny empfing Baronin de Rothschild ihre Gäste beim Eingang ihres prächtigen Schlosses, auf dem eine Standarte mit dem Habsburgerwappen wehte, die man jedoch nach einem diskreten Hinweis auf das Inkognito der Kaiserin sofort einholte. Die in Frankfurt am Main geborene Caroline Julie de Rothschild, Gattin von Adolph Carl de Rothschild, hatte 1850 im Alter von 20 Jahren ihren Cousin geheiratet. Sie lebte in Paris, liebte aber vor allem Pregny, dessen Erbauung und Ausgestaltung sie maßgeblich bestimmt hatte. 1898 war sie eine Dame fortgeschrittenen Alters, klein, untersetzt, von temperamentvoller Heiterkeit, eine begeisterte Fotografin und Gärtnerin. Nach der Begrüßung bat die Baronin in den riesigen Speisesaal, wo für drei Personen gedeckt war. Das hinter einem Vorhang verborgene Orchester spielte flotte italienische Weisen, während eine livrierte Dienerschar den Damen auf Altwiener Porzellan ein üppiges Dejeuner servierte.
Laut Menükarte bestand das Dejeuner de sa Majesté l’Impératrice aus mehreren Gängen, darunter Filets de boeuf jardinière und Mousse de volaille sowie der Lieblingsspeise der Kaiserin, Crème glacée à la hongroise.
Elisabeth blühte auf. Die ungezwungene Atmosphäre sowie die entspannte Heiterkeit der Hausfrau versetzten sie in derart gute Stimmung, dass sie mit einem Glas Champagner auf das Wohl von Julie de Rothschild trank. Schon lange hätte sie die Kaiserin nicht in derart heiterer, fast euphorischer Stimmung erlebt wie an diesem Nachmittag des 9. September 1898, sollte sich Gräfin Sztáray später erinnern.
Beim anschließenden Rundgang durch das Haus besichtigte man die wertvollen antiken Möbeln, die flämischen Gobelins und die riesige Sammlung chinesischen Porzellans. Dann ging es in den musterhaft gepflegten Park mit seinen mächtigen alten Bäumen, exotischen Sträuchern und Blumenbeeten. Die Farbenpracht in den nach Ländern und Klimazonen gegliederten Glashäusern voll botanischer Raritäten war überwältigend. Die Pracht der weißen Orchideen bewogen die Monarchin zu einem Ausruf, der im Rückblick als Vorahnung gewertet wurde: »Ach, ich wünschte, dass meine Seele durch eine kleine Öffnung in meinem Herzen in den Himmel entgleiten könnte!«
Elisabeths Freundin Caroline Julie de Rothschild (1830–1907) war die älteste Tochter des Wiener Bankiers Anselm Salomon von Rothschild. 1850 heiratete sie ihren Cousin Adolphe Carl.
Nach der Tragödie in Genf wurde Ferdinand Kirsch, der 51-jährige Verwalter von Schloss Pregny, über Kaiserin Elisabeth befragt. Er bestätigte die Angaben der Hofdame Gräfin Sztáray und fügte hinzu: »Da Ihre Majestät inkognito reiste, wussten nur vertrauenswürdige Personen in Pregny über ihre wahre Identität Bescheid.« Das waren neben Kirsch der Chef de Cuisine, der Kellermeister, der Butler, zwei Kammerdiener und der Obergärtner.
Die Erinnerung an diesen und andere Besuche der Kaiserin von Österreich wurde in der Familie Rothschild hochgehalten. Die Schauspielerin und Autorin Nadine Tallier, verheiratete Baronin de Rothschild, hat darüber berichtet: »Als ich das erste Mal nach Schloss Pregny kam, zeigte mir der Verwalter das Haus. Er machte mich auf eine in einem Türstock angebrachte Stange aufmerksam. »Hier pflegte die Kaiserin von Österreich, wenn sie Gast der Baronin Julie war, zu turnen.« Die beiden Damen waren sehr befreundet und Elisabeth kam gern nach Pregny. Das tragische Ende der Kaiserin hat Julie von Rothschild, wie man in der Familie berichtete, sehr berührt. Ein seltsamer Zufall wollte es, dass ein großer Sturm auf den Tag genau hundert Jahre nach der Ermordung der Kaiserin jene uralte Zeder fällte, unter der sie mit ihrer Freundin Tee zu trinken pflegte.
Beim Abschied am Nachmittag des 9. September 1898 holte Baronin Julie ihr Gästebuch hervor, in dem sich die Kaiserin mit »Elisabeth« eintrug. Die Bitte der Hausherrin um ein gemeinsames Foto schlug die Monarchin mit dem Hinweis ab, dass sie sich schon seit dreißig Jahren nicht mehr vor eine Kamera setze. Man müsse seinen Prinzipien treu bleiben, meinte sie.
Zurück in Genf fuhr die Kaiserin mit Gräfin Sztáray zum Hotel Beau-Rivage. Ein gewisser Luigi Lucheni beobachtete sie beim Aussteigen aus ihrer Equipage, spazierte dann noch eine Weile durch die Parks, bis er schließlich am frühen Abend zu seiner Unterkunft bei Madame Seydoux in die Rue d’Enfer ging. Für 40 Centimes pro Nacht hatte er hier ein Bett gemietet. Die Kaiserin hingegen bezog ihre Suite. Während sie ausruhte, informierte der Hoteldirektor Monsieur Mayer die Presse von der Anwesenheit des hohen Gastes. Die Meldungen erschienen dann am nächsten Tag zur Mittagszeit. Das Journal de Genève schrieb ganz unverblümt: »Fremdenliste – Ihre Majestät die Kaiserin von Österreich ist mit Gefolge in Genf angekommen und im Hotel Beau-Rivage abgestiegen.« Die Tribune de Genève ging noch weiter: »Wir erfahren, dass die Kaiserin von Österreich inkognito unter dem Namen einer Gräfin von Hohenembs reisend, gestern in Genf angekommen ist …« Auch in weiteren Kreisen war also der von der Monarchin damals bereits seit über zwanzig Jahren benutzte Deckname längst kein Geheimnis mehr. So stellte sich bei einer späteren Befragung des Hotelpersonals heraus, dass wirklich alle gewusst hatten, wer sich hinter der Gräfin von Hohenembs verbarg. Viele kannten die Kaiserin von früheren Aufenthalten.
Elisabeth selbst brach kurz nach 18 Uhr in bester Stimmung mit ihrer Hofdame zur Besichtigung der Stadt auf. Bei angenehm warmem Wetter bot Genf von der Montblancbrücke aus einen schönen Anblick. Die Kaiserin gab ihrer Freude Ausdruck. Sie sehe keinerlei Gefahr, auch kein verbrecherisches Gesindel, meinte sie ironisch. Die Warnungen Berzeviczys seien übertrieben und ebenso die Angst ihrer Hofdame, die seine Meinung teile. »Ich verstehe Sie wirklich nicht, Irma«, meinte Elisabeth«, warum Sie diese Stadt nicht mögen, sie ist ja so schön, wie kann Sie Ihnen also unsympathisch sein? Ich liebe Genf. Ich liebe es einzutauchen