von „Psychologie heute“ schrieb in seinem Editorial,
dass von den Berufstätigen in Deutschland offenbar 63 % unfähig seien, sich richtig zu erholen,
dass nur jeder Zehnte wisse, was ihm wirklich guttäte,
dass es den meisten Deutschen schlecht gelänge, abzuschalten, runterzukommen oder auszuspannen,
dass Erschöpfung das Leitsymptom der Moderne sei,
dass auch die Freizeit zur Stressfalle würde.
„Was Erholung überhaupt bedeutet und wie sich etwa die überstimulierte Psyche am besten regeneriert, das muss neu durchdacht werden.“4
Viele Hochsensible gehören zu den „schnell Erschöpften“. Es sind die, deren Psyche „überstimuliert“ reagiert. Genau das ist der Ausdruck, der treffend widerspiegelt, was Hochsensible empfinden.
In anderen Kapiteln wird darüber nachgedacht, was besonders Hochsensible bedenken müssen, um sich zu schützen, sich zu entspannen und sich neu zu orientieren.
Was heißt Hochsensibilität?
Zunächst steckt in dem Begriff das Wort sensibel. Das französische Wort heißt sensible, das lateinische Wort sensus = Gefühl, Empfindung. In der Umgangssprache gleichbedeutend mit feinfühlig, empfindsam, reizempfindlich.
Das Wort sensibel hat bei vielen Menschen einen negativen Beigeschmack.
Es wird mit empfindlich, reizbar und nervenschwach in Verbindung gebracht.
Das Wort sensitiv meint alle Sinne. Und genau da liegt das Problem. Das Gehör, das Auge, der Tast-, Geschmacks- und Geruchssinn sind bei Hochsensiblen nervlich stärker ausgeformt. Sie sind wacher und feiner, sie reagieren empfindsamer. Das Nervenkostüm dieser Menschen ist empfindsamer gestrickt.
Überall werden solche Menschen gesucht und gebraucht. Psychologen, Berater und Seelsorger müssen sensibel sein. Von Tänzern, Schauspielern, Fotografen und Designern ganz zu schweigen.
Hochsensibel meint, wenn wir die sprachlichen Unterschiede weglassen, der Mensch reagiert übersteigert, überempfindlich, überstimuliert.
Der Schweizer Psychiater und Psychotherapeut Dr. Samuel Pfeifer hat die positiven und die negativen Aspekte der Sensibilität gegenübergestellt.
Auch Hochsensibilität kann gute Eigenschaften beinhalten. Sie ist in erster Linie eine Gabe und ein Geschenk. Aber ein paar Schraubendrehungen weiter sind wir im negativen, im kritischen, im überempfindlichen Bereich.
Unterschiede zwischen sensiblen und empfindlichen Menschen5
Positive Aspekte:
feinfühlig,
intensives Empfinden,
tiefes Wahrnehmen und Erleben,
angesprochen von der Schönheit in Natur, Kunst, Musik und Dichtung,
intuitive Wahrnehmung,
wird berührt vom Leid anderer Menschen,
empfänglich für alles Übernatürliche.
Negative Aspekte:
überempfindlich,
verletzlich (vulnerabel),
liest und spürt zwischen den Zeilen,
denkt zu viel nach,
introvertiert und schüchtern,
ängstlich,
nicht belastbar, keine Reserven,
kommt schnell an seine Grenzen,
ihm kommt alles zu nah,
kann sich nicht wehren,
ist oft so überwältigt, dass er nichts sagen kann,
neigt zur Überreaktion,
rasch gereizt, verstimmt,
Gefühle schlagen ihm oft schnell auf den Magen.
Wenn Sie sich schon jetzt einen schnellen und groben Überblick über Ihre seelische Beschaffenheit, über Sensibilität und Hochsensibilität verschaffen wollen, streichen Sie in der obigen Auflistung bitte die Aussagen an, die Sie berühren. Geben Sie den Aussagen Noten.
Note 1 = wenig,
Note 2 = mittelmäßig,
Note 3 = stark.
Notieren Sie für sich Ihre Ergebnisse.
KAPITEL 2
Die Überempfindlichkeit der Sinne
„Meine Frau ist eine Geruchskünstlerin“ – ein weiteres Beispiel aus der Beratung
Ein Ehepaar kommt in die Beratung. Beide sind über vierzig und haben zwei Kinder. Ihre Wohnung ist zu klein geworden. Sie suchen eine neue. Die Eheleute haben Probleme in ihrer Ehe. Ich frage die beiden nach dem Arbeitsauftrag. Der Mann beugt sich vor. Man spürt, dass etwas in ihm brodelt.
Er platzt los: „Meine Frau ist eine Geruchskünstlerin. Sie riecht jede Kleinigkeit. Sie riecht auch dort etwas, wo kein Mensch sonst was riecht.“
Die Ehefrau rutscht unruhig auf ihrem Stuhl hin und her.
„Mein Mann hat nicht Unrecht. Mein Gehör und mein Geruchssinn reagieren empfindlicher als bei anderen Menschen. Leider ist das so. Ich kann doch nicht dafür!“
Er sagt: „Wir haben zwei Töchter, die jüngste ist wie meine Frau, auch eine Geruchskünstlerin. Wenn wir zu Freunden gehen, irgendwo essen, wenn wir im Gottesdienst sitzen … die beiden ziehen ihre Nasen kraus. Sie riechen die feinsten Düfte und philosophieren darüber.“
Ich frage: „Sie sagten eben, Frau Müller (Name ist geändert), dass Sie auch geräuschempfindlich seien.“
Der Mann geht dazwischen: „Auch darin stimmen meine Frau und die jüngste Tochter überein. Am liebsten hätte ich gesagt, sie hören das Gras wachsen. Kaffeetrinken auf dem Balkon ist eine Strafe. Wenn ein Kind schreit, Autos um die Ecke biegen oder im Nachbarhaus Streit ist, gehen sie ins Wohnzimmer, alles ist ihnen zu laut. Das schöne Beisammensein hat dann ein Ende. Manchmal ersticke ich, weil die Fenster fest geschlossen bleiben müssen.“
Der Mann stöhnt, die Frau seufzt: „Lärm ist wie eine Bedrohung für uns. Darum suchen wir auch eine neue Wohnung. Mein Nervenkostüm ist dem Krach in der Stadt nicht gewachsen.“
„Wir suchen eine neue Wohnung? Nein, wir strampeln uns ab, eine neue Wohnung zu finden. Zehn Wohnungen haben wir uns schon angeschaut …“
„Du übertreibst mal wieder“, unterbricht die Frau, „es waren bisher sechs Wohnungen. Alle zu laut, oder es stank dort wie die Pest.“
Der Mann spricht gereizt:
„Es riecht für sie nach tausend Dingen: in der einen nach Öl, in der anderen nach Schimmel, in der dritten nach unreiner Luft. Sagen Sie mir mal, ist das noch normal?”
Ich lasse zunächst alle Beratungsstrategien beiseite. Hier geht es um Menschen, die hochsensibel reagieren. Geruchs- und Gehörsinn sind überproportional entwickelt. Den einen fehlt das Verständnis, die anderen fühlen sich nicht verstanden. Beide Parteien machen sich das Leben schwer.
Gerüche und Lärm beeinträchtigen
Gerüche und Lärm sind mit Gefühlen verbunden. Der Hochsensible erlebt sie intensiver und beeinträchtigender. Seine Konzentration wird gestört. Er fühlt