Gerti Gabelt

Wanda und Wendelin


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möglich fortsetzten.

      „Ich bin dabei, etwas anderes zu planen. Ich denke an eine Gesprächsrunde. Vielleicht wäre das eine Möglichkeit für alle Bewohner, eigene Ideen oder Wünsche einzubringen. Es bedarf sicher mehrerer Gespräche, um das Vertrauen der Teilnehmer zu gewinnen und sie zum Diskutieren zu bewegen. Aber es könnte eine lohnende Sache werden, wenn Kommunikation und Kreativität geweckt werden. Damit erhöht sich die Lebensqualität. Die Themen müssen so gewählt sein, dass sie ein breites Interessengebiet abdecken.“

      Nach einer kurzen Pause, sie sind an der Eingangstüre zu Wandas Zimmer angelangt, sagt Wanda: „Was halten sie davon, mir bei dabei zu helfen? Ich könnte mir vorstellen, dass es eine gute gemeinsame Sache werden könnte, Teamwork sozusagen.“

      Wendelin kann zuerst nicht antworten. Ihre Frage kommt so unerwartet für ihn. „Oh, ja, ich … ich weiß nicht, ich muss darüber nachdenken.“ Dabei hätte er am liebsten jubelnd zugestimmt. Aber, es war einfach doch sehr überraschend für ihn.

      Später, in seinem Sessel sitzend, glaubt er, als Mann sehr klug gehandelt zu haben, indem er seine Antwort offen gelassen hatte.

      So machen es die Damen ja auch. Sie lassen die Herren ja auch ganz gerne zuerst einmal in Unsicherheit. Oder sind das alte Kamellen? Überholtes Verhalten, das heute keine Gültigkeit mehr hat? In einem Hochgefühl, das er seit sehr langer Zeit nicht mehr erlebt hat, schläft er auf seinem Sessel ein.

      ‚Anpassen’ so schwirrt es durch Wandas Kopf, ist ein Wort, mit dem sie schon als kleines Mädchen Probleme hatte. Sätze wie:

      Sich altersangemessen verhalten! Das tut man nicht! Es ist zum Besten für dich! Das machen gut erzogene Mädchen nicht. Das schickt sich nicht!

      Buh, noch heute kann sie sich geradezu aufregen, wenn sie diese Sätze hört. Woher nur dieses ‚Anpassen’ jetzt?

      Morgens um 7:30 Uhr beginnt das Frühstück im Speiseraum. Restaurant, das wäre ein viel besseres Wort. Dann hätte man das Gefühl im Hotel zu wohnen. Obwohl, man kann am Frühstücksbuffet wählen. Ein Vorteil, den Wanda ganz bewusst bei der Entscheidung, hier ihren Wohnsitz zu nehmen, berücksichtigt hat. Die Redewendung, letztes Zuhause, letzter Lebensabschnitt, das hasst sie genauso wie angepasst zu sein. Sie hat nämlich ganz heimlich beschlossen, noch etwas ganz anderes zu erleben. Das Letzte ist dieses hier für Wanda nicht. Mögen alle anderen das auch glauben. Wanda spürt wieder neue Energie, die sie voran treibt. Sie erlebt dieses hier als eine Übergangszeit, die sie dazu nutzt, ihre vielen Ideen wahrzunehmen und auszuwerten. Es hilft ihr, Realisierbares von Illusionen zu unterscheiden. Ruhezeit, zum Auffüllen von neuer Energie, nennt Wanda es. Morgens, wenn sie aufwacht, beginnt sie ihren Tag mit einer Gymnastik.

      Die Übungen der fünf Tibeter basieren darauf, durch gezielte Bewegungen die Energie im Körper in einen harmonischen Fluss zu bringen. Das geschieht über das Ansprechen der Chakren, die über die Meridiane aktiviert werden. Es sind Übungen, bei der die Atmung angesprochen wird, der Geist und die Psyche mit dem Körper ins Gleichgewicht gebracht werden. Wir hier im Westen haben diese Form der Gymnastik von den Tibetern übernommen. Menschen in den Fünfzigern beginnen mit diesen Übungen und werden häufig Anhänger dieser Form der Gymnastik. Die Beweglichkeit des Körpers so lange wie möglich zu erhalten und darüber hinaus die Harmonie zwischen Körper, Seele und Geist zu fördern und zu festigen. Wanda strebt einem Ziel entgegen, dessen Umrisse noch unklar sind. Sie muss feststellen, was sie nicht will. Aus dem Schemenhaften entstehen Konturen und ergeben langsam das Wesentliche, das Ziel. Mit zunehmender Klarheit formt sich das Bild.

      Etwa so: In Gedanken entsteht etwas Plastisches, etwas zum Anfassen. Aber jede gute Idee basiert auf einer Illusion und daraus entwickelt sich die Realität.

      Wanda muss und will weg von hier.

      ‚Schiebe es nicht auf die lange Bank’, so hört sie ihre innere Stimme.

      ‚Wohin soll es diesmal gehen?’

      Ich beginne heute mit einer kleinen Reise.

      EIN DATE

      Sie hatten sich verabredet. An der Kapelle um 14:30 Uhr. Von ihrem Fenster aus sieht Wanda den Wagen von Wendelin aus der Tiefgarage auf die Strasse fahren. Nun muss sie sich beeilen, denn sie will ja pünktlich sein. Sie wundert sich, dass Wendelin mit dem Auto den kurzen Weg zu ihrem Treffen fährt. Na, ist ja seine Sache.

      Er sitzt wartend auf der Bank hinter der Kapelle in der Sonne. Nun erblickt er Wanda, steht auf und geht ihr entgegen: „Schön, dass Sie gekommen sind, Wanda. Und hübsch sehen sie aus.“

      Wanda errötete leicht, blickt in seine braunen Augen. Bisher war es ihr nicht aufgefallen, wie dunkel und geheimnisvoll seine Augen scheinen. „Haben sie lange gewartet? Der Weg zieht sich doch länger hin als ich dachte, und ich habe etwas mehr Zeit gebraucht, als ich eingeplant hatte. Aber nun bin ich da.“

      „Dann möchte ich sie zu einer kurzen Fahrt einladen. Es gibt hier in der Nähe ein hübsches Weinhäuschen, direkt am Rhein gelegen und doch ziemlich ruhig, ohne Autoverkehr. Nur das Tuckern der Schiffe ist zu hören. Oder würden sie ein Cafe in der Stadt vorziehen?“

      „Heute überlasse ich mich ganz ihrer Führung. Sonne und Wasser, ja das mag ich schon sehr. Also, fahren wir.“

      Im Restaurant werden sie vom Kellner zu einem Tisch in einer Fensterecke geführt. Beide entscheiden sich für ein Glas Champagner. Die Situation entspannt sich und die Konversation kommt in einen zwanglosen Fluss.

      Wendelin bemerkt: „Ich empfinde ein neues Gefühl der Freiheit hier außerhalb des ‚Hotels’, wie Sie unsere Residenz zu nennen pflegen, sich zu begegnen. Es ist wie ein Aufatmen.“

      „Wissen Sie, ich habe die Verantwortung mir selber gegenüber bewahrt. Das heißt, dass ich damit auch meinen Freiheitsraum vergrößere. Aus dem Leben hier lerne ich etwas ganz Wichtiges, nämlich, dass es mir sehr gut geht, im Vergleich zu vielen anderen. Und das gibt mir ein gutes Gefühl. In dem mir geschaffenen Freiraum innerhalb der Seniorenresidenz, bin ich heute hier mit Ihnen zusammen. – Haben Sie Lust etwas aus ihrem Leben zu erzählen?“

      „Ja, nun … ich bin vor zwei Monaten aus Brisbane gekommen. Ich bin in München geboren. Mit meinen Eltern habe ich Deutschland als Neunjähriger verlassen. Zuerst lebten wir in Melbourne. Aber Mutter wollte weiter nördlich. Dort ist das Klima wärmer. Mutter wollte in Sydney leben. Ich glaube, diese Stadt war ihre große Liebe. Sydney ist eine Stadt, von einer bezaubernden Faszination. Durch den Bau des architektonisch auffällig gestalteten Opera House, hat Sydney in der ganzen Welt an Popularität und Bedeutung gewonnen. Aber nicht nur das Opera House, auch Paddington, das Künstlerviertel oder Bondi Beach, Badestrand für jedermann oder Double Bay, noble Residenz der VIPs sowie der Hyde Park oder The Rocks. All das ist Sydney. Später bin ich dann nach Queensland gegangen. Ins Land der Sonne der wunderschönen Sonnenuntergänge über dem Pazifik. In der Nähe von Brisbane habe ich gelebt.“

      „Das klingt ja wie im Märchen. Dazu kommt, dass Ihre Art zu erzählen das Gefühl vermittelt, man sei gerade auf einer Rundreise durch Ihr Land. Aber nun würde ich gerne wissen, was Sie zurück nach Deutschland gebracht hat?“

      „Ich weiß es nun nicht mehr so genau. Vielleicht glaubte ich, hier noch Wurzeln zu finden, wollte dem Ursprung meiner Familie hinterher laufen. Nun, das Interesse ist inzwischen auf einem Nullpunkt angelangt. Ich habe wohl einen Fehler gemacht. ‚Der Mensch muss zurück zu seinen Anfängen. Wo er geboren wurde, da sollte er sterben.’ Diesem Spruch glaubte ich folgen zu müssen. Inzwischen weiß ich, dass das alles Quatsch ist. Aber ich habe mich nun mal entschieden und bin gekommen. Nun muss ich hier bleiben und werde wohl hier sterben.“

      „Ihre letzte Bemerkung kann ich nicht einordnen. Sie sollten es sich aussuchen, wo Sie sterben möchten. Und sie müssen auch nicht für immer bleiben. Sie sind ein freier Mensch, mit dem Recht, ihre Meinung jederzeit zu ändern. Vielleicht hilft ihnen der Ausspruch des ersten Bundeskanzlers von Deutschland, Konrad Adenauer. Als er von seinen Beratern darauf hingewiesen wurde, dass er seine Meinung vom Tag zuvor in eine gegenteilige Meinung am nächsten Tag verwandelte, antwortete der große, alte Herr: ‚Meine Herren, was