Rose Zaddach

Das Leben ist ein tiefer Fluss


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ließ sich aber nicht vereinnahmen. Er schien unabhängig, was Paula beindruckte.

      Paula beobachtete ihn von ihrem Standort aus. Sie fand ihn sympathisch. Sein markantes Gesicht, seine Haarpracht, sein wilder Bart hatten etwas von einem Seemann an sich, der die Weite liebte, den Blick frei bis zum Horizont. Gleichzeitig aber strahlte er Sensibilität und Feinfühligkeit aus. Paula fand: eines seltene Mischung.

      Immer wieder schaute sie zu KA herüber, der eigentlich Konrad Anton Kirsch hieß, der aber der Abkürzung halber KA genannt wurde. Paula übernahm sogleich den Namen und konnte sich später nicht mehr umstellen.

      KA also war an diesem Tag so eng von einer ihn umschwärmenden Damenschar umgeben, dass es nicht zu einer näheren Begegnung kam, auch nicht zu einem einzigen Wort. Sie ging wieder nach Hause und KA strebte in eine andere Richtung davon. Doch Paula traf ihn von da an immer wieder, mal bei Jazzkonzerten, bei einer Ausstellung oder einem Vortrag, ohne dass sich ein Kontakt ergab. Irgendwann aber musste es passieren. Paula war nun schon acht Jahre allein. Sie war ausgefüllt und zufrieden mit ihrem Leben. Aber sie begann die Zweisamkeit zu vermissen.

      Die Begegnung mit KA entzündete ihre Phantasie, sodass sie sich öfter dabei ertappte, wie sie ihn in ihre Zukunft einplante und mit ihm unterwegs war.

      Auch KA hatte begonnen, Paula bei den unterschiedlichsten Veranstaltungen der regionalen Kulturszene zur Kenntnis zu nehmen. Er sah sie rank und schlank, eine leger gekleidete, jugendlich wirkende Person, etwa gleich alt wie er selbst, mit ergrauten Haar, in das der Friseur hübsche, rotbraune Strähnchen gezaubert hatte. Hinter ihrer dicken Hornbrille entdeckte er aufmerksame Augen. Einmal lächelten sie sich zu.

      Ansonsten nahm er sie wahr wie einen vorübergehenden Film, an den man sich gerne erinnert. Sein wirkliches Leben spielte aber in einem anderen Orchester. KA war Leiter einer Institution für Erwachsenenbildung und dort von Dozentinnen und Sekretärinnen umgeben, die ihn anhimmelten, ihn bewunderten und tagtäglich in den Genuss seiner hervorragenden Fähigkeiten kamen: Klugheit und scharfer Verstand, soziales Einfühlungsvermögen und Souveränität sowie männliche Ausstrahlungskraft. Er wurde aufgrund dieser Eigenschaften der Held mancher Frauenträume. Einige machten sich Hoffnungen, da KA seit kurzem solo war.

      Paula wollte keinen Helden. Vor allem keinen Frauenhelden, deshalb ging sie ihm aus dem Wege und suchte keine Gelegenheit, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie wollte eine seriöse Reisebegleitung in ihrem Alter. Keine Abenteuer. Keine Aufregung. Die Gelegenheit ergab sich aber trotzdem, und es ergab sich noch eine zweite Gelegenheit, die dann zu einer dauerhaften Verbindung führte.

      Allein unterwegs wie so häufig, an einen Pfeiler im Raum gelehnt, ein Sektglas in der Hand, feierte sie mit anderen geladenen Gästen die neue dadaistisch anmutende Malerei von Max Rendy, zu dessen Ehre die heutige Matinee stattfand.

      Nichts als Schnipsel, Collagen aus aktuellen Zeitungen auf Leinwand fixiert, und darüber große, schwarze Kleckse, die alles infrage stellten, und mittig Fotografien aus der digitalen Welt, Tablets, Smartphones, Notebooks, fragile Zeichen wie aus der Geisterwelt gerufen. Die Tradition hatte mal wieder ausgedient. Max beschäftigte sich seit einiger Zeit mit dem Thema und hatte seine eigene Version anlässlich eines DADA Gedenkjahres auf die Leinwand gebracht.

      Außerdem hing ein großes Plakat mit dem Text aus einer DADA-Zeitschrift der 1920er Jahre mitten im Raum, das allen in die Augen sprang.

      Was ist Dada?

      Eine Kunst? Eine Philosophie? Eine Politik?

      Eine Feuerversicherung? Oder: Staatsreligion?

      ist dada wirkliche Energie?

      oder ist es>>>>>>Garnichts.

      Alles?

      In dem Augenblick, als Paula das Plakat las, entdeckte sie, an die Rückseite der Säule gelehnt, KA, alleine, ohne Frauenschwarm. Er wandte sich ihr zu und begann ein Gespräch über die Ausstellung.

      Paula war in dem Moment, als er sie ansprach, so überwältigt, dass sie das Sektglas in der Hand vergaß und es zu Boden gleiten ließ. Das Ganze sollte ja gut beginnen!

      KA lachte!

      Scherben bringen Glück!

      Er nahm ein großes, altmodisches Taschentuch aus seiner Westentasche – extra für solche Gelegenheiten, wie er sagte – und wischte die Sektbrühe von Paulas Kleid - oder Rock oder Hose, oder was auch immer sie damals trug.

      Um sie herum sammelte man die Scherben ein und im Nu wäre das Malheur vergessen gewesen, wenn sie nicht kurz darauf zum zweiten Mal das Sektglas hätte fallen lassen.

      Diesmal ergoss sich der süße und prickelnde Inhalt in den Ausschnitt von KAs Sekretärin, die herbeigeeilt war (möglicherweise um KA vor fremden Frauen zu retten) und dabei in der Enge der Umstehenden über den Schuh eines Mann stolperte, der in einer Gesprächsrunde direkt vor Paula stand.

      Obwohl Paula daran unschuldig war, weil sie angerempelt wurde, nahmen sie die anwesenden Gäste nun als störend und unbeholfen wahr.

      Nur KA ließ sich nicht beeindrucken.

      Er blieb souverän.

      Er kannte die Ursache.

      Er verlor seinen Humor nicht.

      Er wies im allgemeinen Getümmel laut darauf hin, dass es sich heute um eine DADA-Ausstellung handeln und die Einlage als Impuls ausgezeichnet zum Thema passen würde. Ja, dass sie die Einstimmung in diese Kunstform erst so recht anschaulich machte, worauf ein entspanntes Gelächter entstand, und die Umstehenden Paula zu dieser guten Idee beglückwünschten. Es ging dann so weit, dass Max Rendy sein Sektglas nahm, das vor ihm auf einer Staffelei platzierte Gemälde mit dem prickelnden Inhalt sozusagen taufte und gut gelaunt die Aktion als geplante Performance bezeichnete.

      Damit aber endete vorerst wieder der Kontakt zwischen Paula und KA.

      Erst Wochen später, im Winter, kam es zu der wirklichen und entscheidenden Annäherung. KA war bei einem Vortrag in der Stadtbibliothek anwesend. Auch Paula war dort. Sie interessierte sich für das Thema, einen Reisebericht über das Leben in den kanadischen Wäldern. Zu spät gekommen, hatte sie nahe der Eingangstür Platz genommen. Sie wollte auch sehr bald nach Hause.

      Sie verabschiedete sich von einigen Bekannten, die sie immer irgendwo traf und legte draußen, kurz hinter der Eingangstür einen uneleganten Salto hin: sie war der Länge nach ausgerutscht.

      Es war spiegelglatt. Eisglätte. Blitz Eis. Glück.

      Das war die Gelegenheit für KA, der sie in sein Auto beförderte und sie direkt bis zu ihrer Haustür fuhr. Von diesem Zeitpunkt an hatte auch Paula wieder einen Begleiter.

      KASCHMIR UND SEIDE

      Vorige Woche waren Paula und KA schon zum dritten Mal im Tramuntana-Gebirge und besuchten dort auch zum dritten Mal den Ort Valldemossa, der mit seinem Kartäuserkloster weit über das Tal in Richtung Palma blickt, und vor dem sich die mediterranen Gärten mit Zitronen-, Orangen- und Olivenhainen bis weit in die Ebene ziehen. Sie besichtigten dort noch einmal eben dieses Kloster.

      Die Kartause, eine Einsiedelei.

      Die Kartäuser, ein Schweigeorden.

      Nur einmal in der Woche trafen sich die Mönche in ihren weißen Gewändern für eine halbe Stunde zum Gespräch in der Bibliothek. Sonst Stille, Gebet und Kontemplation, soweit nicht die Gärten, welche vor den Mönchszellen liegen, bearbeitet und gepflegt werden mussten, um den Lebensbedarf sicherzustellen.

      Auch KA und Paula schweigen oft. Sie ähneln den Kartäusermönchen. Manchmal hängen sie ihren Gedanken und Träumen nach, jeder für sich allein.

      Manchmal schweigen sie bewusst, denken über dieselben Geschehnisse nach und warten nur auf den richtigen Moment, die Worte zu finden.

      Manchmal ist das Schweigen an der Seite von KA für Paula das höchste Gefühl. Ja, es ist ein hoheitsvolles Gefühl, zu schweigen und still zu sein, wo man sonst nur Belangloses spricht. Man ist