Marko Rostek

33 Tage


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einem Zweifrontenkrieg gegenübersehen.“ Bethmann Hollweg klingt besorgt und seine Stimme spiegelt seine müden Augen wider. „Ja, das ist korrekt“, entgegnet Wilhelm. „In diesem Fall tritt Unsere Bündnisverpflichtung in Kraft und Ich habe Österreich jedenfalls Meine Unterstützung auch dafür zugesichert.“

      Bethmann Hollweg, Falkenhayn und die anderen sind erstaunt und blicken den Kaiser entgeistert an. Eine überhastete Aktion Wilhelms hatte man schon des Öfteren zu glätten gehabt, aber eine Unterstützungserklärung für einen Kriegsfall gegen Russland, noch dazu in Abwesenheit des Chefs des Generalstabes, wird von allen als ausgesprochen leichtsinnig empfunden. Verlegen wandern Blicke der Männer umher, wer wohl den Mut aufbringen wird, dem Kaiser den Leichtsinn dieser Zusage vor Augen zu führen. General Falkenhayn, der Kriegsminister, fasst sich ein Herz und erkundigt sich ausweichend beim Kaiser, ob gemäß dieser Zusage nicht auch in Deutschland Vorbereitungen für den Kriegsfall zu treffen wären. Wilhelm II. blickt seinen Minister an und schwächt mit einem lächelnden Gesichtsausruck ab: „Nein, das wird nicht nötig sein, denn es wird Meiner Einschätzung nach nicht zum Krieg kommen!“ Der deutsche Kaiser lehnt sich entspannt im Sessel zurück und genießt die verwunderten Gesichter seiner Gesprächspartner. Mit überlegenem Gesichtsausdruck fährt er fort: „Bedenken Sie, dass man, selbst wenn Russland entgegen aller Logik mobilisieren sollte, davon ausgehen kann, dass die österreichische Armee mit den Serben fertig sein wird und sich an die russische Grenze verschiebt, bevor Russland die Mobilmachung abgeschlossen hat. Ich denke also, dass Russland einen Verhandlungsweg einschlagen wird, bevor es sich auf einen Krieg einlässt.“

      Nach einem Moment der Zurückhaltung macht wieder allgemeines Kopfnicken die Runde. Man entzündet Zigarren, zieht genüsslich daran und versucht, die Strategie des Kaisers noch einmal nachzuvollziehen. Dieser setzt wohl auf die Tatkraft der Österreicher, die ehestmöglich gegen die Serben zu Felde ziehen und diese vernichtend schlagen müssen. Bevor die Russen dann mit ihrer Mobilmachung, die gewiss 30 Tage dauert, die Österreicher bedrohen, hätten diese einen Stellungswechsel vollzogen und könnten die Russen an der gemeinsamen Grenze erwarten. Die Russen würden daraufhin wieder zurückziehen und die Sache wäre erledigt. Zigarren werden zum Mund geführt und blasser Rauch hebt sich langsam zum Plafond empor.

      Nach einer Weile ergreift Erich von Falkenhayn das Wort und bestätigt, sich dabei an die anderen wendend, den Grundgedanken des Kaisers: „Die Einschätzungen Ihrer Majestät zur russischen Mobilmachung werden im Übrigen auch vom Generalstab geteilt. Wir sind überzeugt, dass diese im Moment noch sehr lange dauern würde.“ Niemand antwortet. In typisch militärischer Rhetorik und Gestik verdeutlicht der Kriegsminister den Anwesenden die militärische Lage der beiden großen europäischen Bündnisse und geht dabei insbesondere auf die Lage des Deutschen Reiches ein. Immer wieder auf Bethmann Hollweg blickend, der Falkenhayn in seinen Ausführungen mit zustimmenden Wortmeldungen unterstützt, unterstreicht der Kriegsminister die Warnungen vor einer Übermacht der feindlichen Armeen, die in gemeinsamem Vorgehen einen Vorteil gegenüber der deutschen auf ihrer Seite hätten. Einzig die Schwäche der russischen Mobilmachung halte die Gegner noch davon ab, über Deutschland herzufallen, „aber sie werden laufend besser, denn die französischen Gelder und Militärstrategen zeigen bereits Wirkung. Wir stehen daher auf dem Standpunkt, dass, wenn man losschlägt, um die Einkreisung zu durchbrechen, es jetzt besser ist als später. Ich darf ergänzen, dass auch der österreichische Generalstab, namentlich Conrad von Hötzendorf, diesen Standpunkt vertritt.“ Falkenhayn tritt mit dieser Aussage unter den Besprechungsteilnehmern eine Diskussion los, in der alle für den Kriegsfall ins Auge zu fassenden Maßnahmen und Gegenmaßnahmen detailliert erörtert werden.

      Als Einziger beteiligt sich der Reichskanzler nicht an den Wortmeldungen, er stellt aber mit einiger Genugtuung fest, dass die Anwesenden in der aktuellen Lage durchaus die Gelegenheit für eine Loslösung aus der für Deutschland so beängstigenden Umklammerung sehen. Bethmann Hollweg ergreift in einer Gesprächspause das Wort: „Euer Majestät, meine Herren, um diese Diskussion abzukürzen, schließe ich mich der vorhin geäußerten Meinung Eurer Majestät an, dass, im Hinblick auf deren Verhalten in den vergangenen Balkankonflikten der Jahre 1912 und 1913, die Österreicher einen bewaffneten Konflikt wieder scheuen werden und es ohnehin zu keinem Krieg kommen wird.“ „Da könnten Sie recht haben, Exzellenz.“ Aus Wilhelms Tonfall ist resignierende Enttäuschung herauszuhören.

      Nach einer Weile des Nachdenkens fährt er fort: „Aus den mir heute zur Kenntnisnahme gebrachten Dokumenten geht überdies hervor, dass sie höchstes Augenmerk darauf legen wollen, dass Bulgarien dem Dreibund beitritt. Bevor es so weit ist, würde man nichts unternehmen wollen. Meine Unterstützungszusagen sind daher nicht wirklich als riskant anzusehen.“ Dem Kaiser wird nach dieser Analyse allgemeine Zustimmung zuteil. „Meine Herren“, Wilhelm steht auf und gibt damit das Ende der Unterredung bekannt, „hiermit sind alle Punkte besprochen und ich überlasse Ihnen ab nun Berlin.“ Mit einem Augenzwinkern verabschiedet er sich von seinen Gästen und verlässt das Konferenzzimmer.

      Unmittelbar danach wird der Kaiser abgeholt und im Automobil zum Bahnhof gebracht, wo bereits sein Sonderzug nach Kiel bereitsteht. Wie jedes Jahr steht auch diesen Sommer wieder der alljährliche Kreuzfahrturlaub auf dem Programm. Bethmann Hollweg ist mit dem Ergebnis der Sitzung ausgesprochen zufrieden. Er hat nicht nur im Kriegsminister einen profunden Mitstreiter gefunden, sondern dieser hat ganz in seiner Argumentationslinie bereits seine bevorstehende außenpolitische Ausrichtung vorgegeben: In Wien ist Druck zu machen, damit die Österreicher schnell und kräftig in Serbien Klarheit schaffen, und gegenüber den Mächten ist mit Bestimmtheit der Standpunkt zu vertreten, dass die Angelegenheit nur Österreich-Ungarn und Serbien betreffe. Da mit einer Einmischung von Russland unbedingt zu rechnen sei, wäre es ein Leichtes, das Odium des Verschuldens einer europäischen Auseinandersetzung diesem umzuhängen. Damit wären die Weichen für eine Lösung der Umklammerung gestellt.

      Bethmann Hollweg sitzt noch in seinem Stuhl, als die anderen bereits den Raum verlassen haben. Sein Kopf ruht während dieser Gedanken auf seinen Händen, die er beidseitig auf den Armlehnen des riesigen Lehnstuhls abgestützt hat. Langsam greift er nach seinem Glas, trinkt den letzten Schluck und steht auf. Bedeutend leichteren Schrittes geht er zur Tür und folgt den anderen, die sicherlich schon auf ihn warten. Selbst wenn die Österreicher aktiv reagieren sollten – und wann haben sie das schon jemals getan? –, erscheint das Risiko eines großen Krieges nur minimal.

      „Was, meine Herren, machen Sie mit Serbien nach dem Sieg?“ Theobald von Bethmann Hollweg formuliert diese Frage in einem bewusst provozierenden Tonfall. Er blickt dabei abwechselnd von Staatssekretär Hoyos zum österreichischen Botschafter Szögyény-Marich und wieder zurück. Neben Bethmann Hollweg sitzt Unterstaatssekretär Zimmermann, ein enger Mitarbeiter im Ministerium. Dieser kann bei der Frage ein zynisches Lächeln nicht ganz unterdrücken. Gespannte Blicke sind auf die beiden Österreicher gerichtet.

      Bethmann Hollweg und Zimmermann sind schon geraume Zeit vor der Unterredung mit den Österreichern zusammengekommen und haben die gestrige Konferenz beim Kaiser Revue passieren lassen und auch die kaiserlichen Randbemerkungen am Bericht Tschirschkys ins Kalkül gezogen. Sie sind zum Schluss gekommen, ganz die Linie Wilhelms fortführen zu wollen, wenn die Österreicher willens sind, diesmal Konsequenz, Initiative und Durchhaltevermögen unter Beweis zu stellen. Sollten sie im bevorstehenden Gespräch eine derartige Haltung aus dem Auftreten der österreichischen Delegierten ablesen können, dann könne man sich eine Unterstützungserklärung für Wien auch für eine militärische Aktion gegen Serbien vorstellen. Man will von Österreich Sicherheiten haben, dass es diesmal wisse, was zu tun ist. Aus den beiden vergangenen Balkankriegen hat sich das Deutsche Reich mit dem Hinweis herausgehalten, dass es keine klare Linie in der Wiener Politik zu erkennen in der Lage sei. Auf eine typisch österreichische „Schlamperei“ werde man sich nicht einlassen.

      Noch immer wartet der Reichskanzler auf eine Reaktion und seine Blicke verfinstern sich zusehends. Hoyos erkennt, dass dieser Moment der entscheidende Augenblick seiner Berliner Mission ist, und setzt alles auf eine Karte. Abgebrüht und eiskalt erwidert er: „Wir teilen Serbien zwischen Bulgarien, Rumänien und uns auf. Diese Ziele sind selbstverständlich festgeschrieben.“ Bethmann Hollweg weicht verblüfft zurück und durchbohrt Hoyos