die Lieder komponierte) sich in dem Zimmer aufhielten, war nur ein Stuhl unbenutzt geblieben, außer den beiden natürlich, auf die sich nie jemand setzte – und der einzige Platz, wo man stehen konnte, war von der Katze eingenommen, auf die der alte Jolyon denn auch unverzüglich trat.
In diesen Tagen war es durchaus nichts Ungewöhnliches für Timothy soviel Besuch zu haben. Jeder einzige der ganzen Familie hatte immer wahre Verehrung für Tante Ann gehegt, und nun, wo sie nicht mehr war, kamen sie noch häufiger und blieben länger.
Swithin war zuerst gekommen, er saß träge in einem roten Armsessel mit vergoldeter Rückenlehne und sah aus, als wolle er die andern alle überdauern. Mit seiner schweren Gestalt und seinem Umfang, dem dichten weißen Haar und dem unbeweglichen rasierten Gesicht entsprach er vollkommen Bosinneys Bezeichnung ›der Dicke‹ und wirkte in dem reich möblierten Zimmer urwüchsiger denn je.
Seine Unterhaltung drehte sich wie gewöhnlich in letzter Zeit, um Irene, und er hatte nicht versäumt Tante Juley und Hester seine Meinung hinsichtlich der Gerüchte zu sagen, die im Umlauf sein sollten. Ja – sie brauche wohl ein wenig Flirt, hatte er gesagt, eine schöne Frau bleibt nie unangefochten; aber mehr als das glaube er nicht. Es war nichts erwiesen, sie sei viel zu vernünftig, wüßte zu gut, was sie ihrer Stellung und der Familie schuldig war. Kein Sk– er wollte ›Skandal‹ sagen, aber der Gedanke war so abgeschmackt, daß er abwehrend die Hand bewegte wie um zu sagen – ›aber lassen wir das!‹
Möglich, daß Swithin die Situation vom Standpunkt des Junggesellen aus betrachtete – aber wozu war diese Familie, in der so viele durch eigene Kraft eine gewisse Stellung erreicht hatten, nicht berechtigt? Wenn er in dunklen pessimistischen Augenblicken auch die Worte ›Pächter‹ und ›sehr kleine Verhältnisse‹ in Verbindung mit seinen Vorfahren gehört hatte, glaubte er daran?
Nein! er hegte die geheime Ansicht und schlug sich dabei pathetisch auf die Brust, daß irgend einer unter seinen Vorvordern etwas Vornehmes gewesen sein müsse.
»Es muß so sein,« hatte er einst zum jungen Jolyon gesagt, ehe dieser auf schlechte Bahnen geraten war. »Sieh uns an – wir sind vorwärts gekommen! Es muß doch gutes Blut in uns stecken!«
Er war dem jungen Jolyon sehr zugetan! Der Junge war in Cambridge in guter Gesellschaft gewesen, hatte die Söhne des alten Halunken, Sir Charles Fiste gekannt – von denen einer auch ein schöner Lump geworden war. Und er hatte einen gewissen Stil – es war jammerschade, daß er mit diesem fremden Mädel durchgegangen war – mit einer Erzieherin noch dazu! Wenn er schon so auf und davon mußte, warum nicht mit einer, die ihnen Ehre gemacht hätte! Und was war er nun? – Beamter beim Lloyd; er sollte sogar Bilder malen – Bilder! Verflucht! er hätte als Sir Jolyon Forsyte, Bart.1 enden können, mit einem Sitz im Parlament und einem Gut auf dem Lande!
Einem Impulse folgend, der früher oder später ein Glied jeder angesehenen Familie dazu treibt, war Swithin auch auf das Heroldsamt gegangen, wo er die Versicherung erhielt, daß er ohne Zweifel der nämlichen Familie angehöre, wie die wohlbekannten Forsites mit einem ›i‹ deren Wappen ›drei Spangen rechts in schwarzrotem Felde‹, er, wie sie hofften, nun annehmen würde.
Swithin tat es jedoch nicht, aber als er sich vergewissert hatte, daß ihr Abzeichen ein ›stehender Pfau‹ war und das Motto ›Für Forsite‹, hatte er den Pfau auf seinem Wagen und den Knöpfen seines Kutschers, und das Abzeichen mit Motto auf seinem Briefpapier anbringen lassen. Das Wappen ließ er fort, teils weil er fürchtete, daß es auffallen könnte den Wagen damit zu schmücken, da er es nicht bezahlt hatte, und alles Auffallende war ihm verhaßt, und teils weil er, wie jeder praktische Mann im Lande, eine geheime Abneigung und Verachtung für Dinge hegte, die er nicht verstand – er fand, wie andere wohl auch, ›drei Spangen auf schwarzrotem Felde‹ waren ein harter Bissen.
Allein er vergaß nie, daß sie ihm gesagt hatten, er wäre berechtigt das Wappen zu benutzen, wenn er dafür zahlte, und es befestigte seine Überzeugung ein Gentleman zu sein. Unvermerkt hatten sich auch die übrigen Familienmitglieder den angeeignet, und einige, denen es ernster war, nahmen auch das Motto an; der alte Jolyon allein weigerte sich es zu führen und nannte es Humbug, der, so viel er sehen könne, gar keinen Sinn hätte.
Innerhalb der älteren Generation war es vielleicht bekannt, welch großem geschichtlichen Ereignis sie ihr Abzeichen eigentlich verdankten; und wenn sie dringend danach gefragt wurden, gestanden sie lieber schleunigst, daß Swithin es irgendwo aufgestöbert hatte, als daß sie eine Lüge sagten, denn sie logen nicht gern und waren der Meinung, daß nur Franzosen und Russen es täten.
Bei der jüngeren Generation blieb die Sache in Schweigen gehüllt. Sie wollten die Gefühle der Älteren nicht verletzen und sich selbst nicht lächerlich fühlen; sie benutzten einfach das Abzeichen ...
»Nein,« sagte Swithin, »er hatte Gelegenheit gehabt selbst zu sehen und konnte nur sagen, daß nichts in ihrem Wesen gegen diesen jungen Bukanier oder Bosinney oder wie sein Name war, sich von ihrem Wesen gegen ihn selbst unterschied, er würde tatsächlich eher sagen ...« Aber hier brach die Ankunft von Frances und Euphemia die Unterhaltung leider ab, denn diese Dinge konnten vor jungen Leuten doch nicht besprochen werden.
Und obwohl es Swithin einigermaßen erregte, gerade unterbrochen zu werden, wo er im Begriff war etwas Wichtiges zu sagen, gewann er seine Liebenswürdigkeit doch bald wieder. Er hatte Frances – Francie, wie sie in der Familie genannt wurde – sehr gern. Sie war so munter und sollte sich ein hübsches kleines Sümmchen Taschengeld durch ihre Lieder erworben haben; er fand es sehr tüchtig von ihr.
Er tat sich viel darauf zugute, Frauen gegenüber eine sehr freidenkende Haltung einzunehmen, denn er sah nicht ein, warum sie nicht Bilder malen oder Lieder, ja selbst Bücher schreiben sollten, namentlich, wenn es ihnen einen nützlichen Groschen einbrachte; warum auch nicht – es hielt sie von dummen Streichen ab; ein ander Ding, wenn sie Männer wären!
›Klein Francie‹, wie sie gewöhnlich mit gutmütiger Herablassung genannt wurde, war eine bedeutende Persönlichkeit, wenn auch nur als stehende Illustration für das Verhältnis der Forsytes zur Kunst. Sie war eigentlich nicht ›klein‹, sondern ziemlich groß; ihr Haar, (für eine Forsyte) ziemlich dunkel, gab mit den grauen Augen ihrem Aussehen etwas ›Keltisches‹, wie man es nannte. Sie machte Lieder mit Titeln, wie ›Heimliche Seufzer‹ oder ›Küß mich Mutter, eh ich sterbe‹, mit einem Refrain wie ein Anathema:
»Küß' mich, Mutter, eh' ich sterbe;
Küß' mich – küß' mich, Mutter, oh!
Küß', oh, küß' mich e–eh' ich –
Küß' mich, Mutter, eh' ich st–e–erbe!«
Sie dichtete den Text dazu selbst, und auch andere Gedichte. In froheren Augenblicken schrieb sie Walzer, von denen einer, die ›Kensington-Weise‹, in Kensington fast volkstümlich war und einen einschmeichelnden Rhythmus hatte:
Er war sehr originell. Dann waren da noch ihre ›Lieder für die Kleinen‹, zugleich erzieherisch und witzig, vor allem ›Großmütterchens Goldfisch‹ und ein beinahe prophetisch von der künftigen Stimmung des Landes erfülltes Liedchen mit dem Titel: »Haut ihm nur ›ein blaues Auge‹.« Jeder Verleger war bereit sie anzunehmen, und Zeitschriften wie ›Hohe Ziele‹ und ›Frauenhort‹ waren entzückt von »jedem neuen von Miß Francis Forsytes geistvollen, glänzenden, pathetischen Liedchen. Wir waren zu Lachen und zu Tränen bewegt. Möchte Miß Forsyte so fortfahren«.
In dem sichern Instinkt ihrer Rasse war es Francie ein Leichtes die richtigen Leute kennen zu lernen – Leute, die über sie schrieben und sprachen, auch Leute aus der Gesellschaft – sie hatte eine Liste solcher im Kopf, bei denen sie ihre Vorzüge zur Geltung bringen konnte und ließ die Stufenfolge steigender Preise, die für sie die Zukunft bedeuteten, nicht aus dem Auge. Auf diese Weise gelang es ihr sich allgemeine Achtung zu erwerben.
Einmal, zu einer Zeit als ihre Gefühle durch eine Neigung aufgepeitscht waren – denn